Internationaler Leibniz-Kongress

Europa als Universum der Gelehrten

Blick auf die Leibniz Universität in Hannover (Juli 2016)
Blick auf die Leibniz Universität in Hannover, wo der Kongress stattfindet. © imago/Rust
Von Volkhard App · 21.07.2016
Unter dem Motto "Für unser Glück oder das Glück anderer" wird Hannover im Rahmen des Internationalen Leibniz-Kongresses Schauplatz von mehr als 300 wissenschaftlichen Vorträgen. Dabei setzt die Europa-Vision des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz einen besonderen Akzent.
Die Sprache, in der in Hannover vorgetragen und diskutiert wird, wechselt binnen weniger Minuten vom Englischen ins Französische - auch italienische Töne sind zu hören und immer wieder deutsche. Ein Philosoph aus Mexiko entschuldigt sich für sein schlechtes Englisch, ein Politikwissenschaftler aus Tokio wiederum hält seinen Vortrag mit großer Anstrengung auf Deutsch.
Leibniz bringt die Menschen unterschiedlicher Kontinente und Kulturen zusammen – und war selber Kosmopolit, der sich mit den Wissenschaften, die er in seiner Person vereinte, dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlte. Und genau darauf bezieht sich das Kongressmotto: "Für unser Glück – oder das Glück anderer":
"Ach, das ist ein wunderbares Motto und eine wunderbare Formulierung von Leibniz!"

"Es geht um das Allgemeinwohl"

Der in der Volksrepublik China geborene Wenchao Li, der diesen Kongress vorbereitet hat und an der hannoverschen Leibniz Universität als Professor eben für den Universalgelehrten zuständig ist.
"'Für unser Glück oder das Glück anderer': Wir können nur glücklich sein, wenn Andere glücklich sind. Es geht um andere Menschen, andere Kulturen – es geht um das Allgemeinwohl."
Hannover ist Schauplatz von mehr als 300 Vorträgen. Besondere Akzente setzt dabei die Europa-Vision von Leibniz. Er war als unermüdlicher Briefschreiber international gut "vernetzt", und plädierte außerdem für wissenschaftliche Akademien in Berlin und Wien, Sachsen und Russland. Das vorhandene Wissen, so sein Wunsch, sollte dort gesammelt, vermehrt und in Europa ausgetauscht werden. Leibnizforscher Hartmut Rudolph:
"Wenn Sie sich das Motto dieses Kongresses vor Augen führen, dann bedeutet das auch bei seinen Akademieprojekten für die verschiedenen Länder, dass er keinen Nutzen in einem Fortschritt sehen konnte, der zu Lasten anderer Länder passierte, sondern er war im Sinne seines Harmonie-Bestrebens davon überzeugt, dass es immer einen gegenseitigen Nutzen geben wird."
Eine große kulturelle Idee: Europa als Universum der Gelehrten.

Die Bedeutung von Technik für den menschlichen Fortschritt

Leibniz interessierte sich auch für Länder, die er nicht besuchen konnte – so für Russland und China. Wobei er China idealisierte und in das ferne Reich all das projizierte, was ihm in Europa fehlte. Der Politikwissenschaftler Axel Rüdiger:
"Er suchte eine ideale Verwaltung, eine ideale Regierung, die durch Bildung und Philosophie gekennzeichnet war und weniger durch Arroganz und Konkurrenz anderen Meinungsparteien gegenüber."
Für den menschlichen Fortschritt ist gerade die Technik von Bedeutung - keiner wusste es besser als der Erfinder Leibniz, wie in Hannover immer wieder deutlich wird. Der sich für die binäre Zahlensprache, die unserem heutigen Computer-System zugrunde liegt, ebenso engagierte wie für die Entwässerung von Bergbau-Stollen oder für seine Rechenmaschine, die alle Grundrechenarten beherrschte.
Bemerkenswert, dass Skeptiker, die heute vor dem Hintergrund von Kriegen und Katastrophen am vernünftigen Gebrauch von Wissenschaft und Technik zweifeln, ebenfalls bei Leibniz anknüpfen können.

"Es geht um den Einklang mit der Natur"

Keisuke Nagatsuna aus Tokio sieht sich darin gerade nach den Erfahrungen von Fukushima bestätigt:
"Für uns ist Leibniz ein bedeutender Philosoph, denn er zeigt die Möglichkeiten der Technik auf, weist aber auch auf die Bedingungen hin, die erfüllt sein müssen, damit eine technische Idee realisiert wird. Genau das ist für mich wichtig. Es geht um den Einklang mit der Natur, es geht um das Allgemeinwohl. Deshalb ist Leibniz von bleibender Aktualität."
Trotz solcher Aktualisierungsversuche - die Fenster zum Weltgeschehen werden in den Kongreß-Hörsälen Hannovers nur gelegentlich und recht zaghaft geöffnet. Und bei der Ehrfurcht, die "der berühmte Herr Leibniz" offenbar heute noch einflößt, bleiben seine Grenzen und Widersprüche ein wenig unterbelichtet. Und damit die Probleme, ihn in unsere Zeit zu überführen.
Er selbst war ja überzeugt, in der "besten aller möglichen Welten" zu leben, in einem harmonischen Reich Gottes. Das entbindet den Menschen aber nicht von der ethischen Verantwortung, diese Welt zu gestalten und zu vervollkommnen - hebt der Politikwissenschaftler Peter Nitschke hervor:
"Das ethische Handeln betrifft dann jeden Einzelnen, der sich fragen muss: mache ich es richtig, ist das meine Welt, und was verstehe ich von dieser Welt?"

Referat mit gesenktem Kopf

"Für unser Glück, oder das Glück Anderer": in Hannover werden in meist hochspezialisierten Referaten Facetten des großen Leibniz-Kosmos verhandelt, Bausteine eines Gesamtbildes. Wobei die Vortragskunst mit der Fachkompetenz nicht immer Schritt halten kann.
Es gibt ihn noch, den Wissenschaftler, der am Pult mit gesenktem Kopf im D-Zug-Tempo durch sein hermetisches Manuskript rast. Der an Leibniz interessierte Bürger bleibt da völlig chancenlos und empfindet die im Lichthof originellerweise ausgelegten Kekse wahrscheinlich als das einzig Nahrhafte.
Bliebe man der Vision von Leibniz treu, sollte sich auch ein wissenschaftlicher Kongress ein ganzes Stück weiter öffnen und nicht nur Spezialisten ansprechen.
X. Internationaler Leibniz-Kongress: 18.-23. Juli 2016, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Zur Webseite.
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