Internationale Schiedsgerichte

Wirtschaft entmachtet Politik?

Blick auf das Gebäude der Weltbank in Washington DC, USA
Die Weltbank - hier ist das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten angesiedelt, vor dem die meisten Klagen auf Investitionsschutz landen. © picture-alliance/ dpa
Von Kristina Hille · 12.08.2014
Derzeit verhandeln EU und NAFTA über die größte Freihandelszone der Welt. Investitionsschutz ist ein Bestandteil der Gespräche. Geht es den Investoren nur um mehr Rechtssicherheit oder auch um mehr Einfluss?
Stellen Sie sich vor, Sie kaufen im Ausland ein Grundstück und bauen dort ein Ökotourismusprojekt auf. Dann kommt der Staat und sagt, wir brauchen das Land jetzt. So erging es dem Ehepaar Marion und Reinhard Unglaube in Costa Rica. Um die weltweit vom Aussterben bedrohte Lederschildkröte zu schützen, erließ die Regierung ein Nationalparkgesetz und begann das Grundstück zu enteignen. Die Unglaubes klagten vor der lokalen Justiz auf Entschädigung.
"Diese Verfahren zogen sich über Jahre vor den costa-ricanischen Gerichten hin und die Unglaubes waren extrem verzweifelt und haben sich an die deutsche Botschaft gewandt in Costa Rica, die ihnen den Rat gab nach dem deutsch-costa-ricanischen Investitionsschutzabkommen vorzugehen."
Eine Investition in Costa Rica und das internationale Schiedsgericht in Washington
Dieses Abkommen mit Costa Rica ist eines von über 100 bilateralen Investitionsschutzabkommen, die Deutschland mit ausländischen Handelspartnern geschlossen hat. Für den Konfliktfall werden Investoren sogenannte Investor-Staat-Klagerechte, ISDS, eingeräumt, nach denen sie vor verschiedenen internationalen Schiedsgerichten klagen können. Da über 140 Staaten die Konvention über die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ratifiziert haben und das Schiedsgericht der Weltbankgruppe in Washington die Verfahren verwaltet, landen dort die meisten dieser Streitfälle - vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID. So auch der Fall Unglaube gegen Costa Rica. Über die Klagen entscheidet ein Gremium aus drei Schiedsrichtern. Die streitenden Parteien benennen jeweils einen. Anwaltlich vertreten wurde das Ehepaar Unglaube von Sabine Konrad.
"Ich berate meinen Mandaten, also Marion und Reinhard Unglaube. Denen stelle ich mehrere Kandidaten vor und sage: Ich rate Ihnen zu Kandidat 1, 2 oder 3. Dann diskutiert man das und am Ende des Tages hat man eine Entscheidung. Dann kontaktiert man diesen Schiedsrichter und sagt, meistens schriftlich, ich habe ein Verfahren gegen Costa Rica, würden Sie bitte einen Konfliktcheck durchführen?"
Der angefragte Jurist prüft, ob er jemals für den betroffenen Staat gearbeitet hat, ob er die Kläger kennt. Sieht er selbst keinen Konflikt, nimmt er das Mandat an. Die Richter des Internationalen Gerichtshofes seien als Schiedsrichter besonders gefragt, sagt Sabine Konrad, und daher oft ausgebucht. Offensichtlich genießen sie Vertrauen. Sollte man daraus den Schluss ziehen, ICSID-Schiedsrichter nach einem ähnlichen Verfahren zu wählen?
"Ich habe ein Problem damit, dass die IGH Richterkandidaten Wahlkampf machen müssen. Die Auswahl der Schiedsrichter halte ich für besser, ohne Wahlkampf. Weil dadurch, dass kein Wahlkampf stattfindet, auch die Richter nicht jemanden von ihrer Eignung überzeugen müssen, indem sie für sich werben."
System beruht auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
Die Parteien versuchen dann, sich auf einen dritten Schiedsrichter, den Vorsitzenden zu verständigen. Oder, wenn keine Einigung zustande kommt, wie es auch im Fall Unglaube gegen Costa Rica war, wird dieser von ICSID ernannt. Während die Parteien die Schiedsrichter frei wählen können, muss sich das Gericht an eine offizielle Liste halten.
"Bevor ICSID eine Ernennung macht, übersendet sie den Namen an die Parteivertreter und sagt, gibt es etwas, was ihr gegen diesen Schiedsrichter habt, wisst ihr vielleicht noch etwas, das Zweifel an der Unabhängigkeit wecken könnte. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, darin liegt die Glaubwürdigkeit des Systems."
Meint Sabine Konrad. Dann beginnt für die Anwälte die Phase der Schriftsätze, Gutachterbeauftragung, Zeugensuche.
"Also alle Kommunikation funktioniert über ICSID. Da ist auch noch einmal eine Sicherheit eingezogen, dass keine der beiden Parteien direkt mit den Schiedsrichtern reden kann."
Im Fall Unglaube gab es vor der mündlichen Verhandlung einen Ortstermin, denn
"In diesem speziellen Fall wollten sich die Schiedsrichter einen persönlichen Eindruck verschaffen, wie es dort aussieht. Wir sind also mit allen Anwälten, allen Schiedsrichtern nach Costa Rica gefahren. Das muss man sich wirklich so vorstellen. Es waren auch noch die Experten dabei, alle Verfahrensbeteiligten, die gleichen Personen, die danach auch im Gerichtssaal waren."
Dann gibt es die mündliche Verhandlung. Kläger, Beklagte, Gutachter und Zeugen werden befragt. Die Parteien streiten unter Umständen über die Herausgabe von Beweismitteln, wie Briefe oder Gutachten. Die Verfahrenskosten belaufen sich am Ende auf vier bis zu 30 Millionen US Dollar, in Ausnahmefällen sogar noch mehr. Die Schiedsrichter entscheiden, ob sich die Parteien die Kosten teilen oder der Verlierer diese alleine tragen muss. Es gibt die Diskussion, ob nicht immer der Verlierer die Kosten tragen sollte.
"Da bin ich auch kein großer Freund von, denn wenn Sie gerade ein kleines oder mittleres Unternehmen sind und Sie gehen zum Anwalt und sagen ich bin im Land X geschädigt worden, was ist mein Risiko und der Anwalt sagt na ja, wenn wir verlieren, dann müssen wir noch die Kosten des Gegners zahlen. Dann schluckt der Familienunternehmer erst einmal drei Mal und vor allem wenn der Anwalt dann noch sagt ich weiß, dass der spezielle Staat, z.B. Venezuela, gerne mit ungefähr 70 Anwälten aufläuft. Spätestens dann ist der Familienunternehmer Ihnen in Ohnmacht gefallen."
Der Schiedsspruch wird per Mehrheitsentscheid getroffen.
"Sie brauchen mindestens 2 von 3. Und viele Schiedsrichter wollen gerne und zu Recht eine Entscheidung, die alle Schiedsrichter mittragen. Auch der Schiedsrichter, der von der unterlegenen Partei benannt wurde. Das bedeutet also, dass man wirklich noch einmal herausgefordert wird. Ich sehe das selber, wenn ich als Schiedsrichterin tätig bin. Es ist ein gutes Training als Schiedsrichter und als Anwalt tätig zu sein, weil man weiß worauf es ankommt in einem Verfahren."
Vorteil, Anwältin und Schiedsrichterin zu sein
Sabine Konrad ist nicht nur als Anwältin tätig, sie ist auch Schiedsrichterin, gehört zu den vier Deutschen, die von der Bundesregierung für das ICSID ernannt wurden. Die Anwältin arbeitet in der Frankfurter Niederlassung der US-amerikanischen Kanzlei McDermott, Will & Emery. Aus ihrer Sicht ist es ein Vorteil, sowohl Anwältin als auch Schiedsrichterin zu sein.
"Wenn Sie als Anwalt Ihren Lebensunterhalt verdienen, dann ist das Schiedsrichterhonorar etwas, was nicht wirklich wichtig ist für Sie. Das bedeutet, dass Sie Ihre Entscheidung mit Sicherheit nicht davon abhängig machen werden, ob Sie noch einmal von der Partei ernannt werden. Da sehe ich bei Personen, wie bei pensionierten Richtern oder Professoren ein viel größeres Risiko, die einen erklecklichen Anteil ihres Lebensunterhalts mit schiedsrichterlicher Tätigkeit verdienen. Das halte ich für gefährlich."
Ist das Urteil einmal gefällt, kann es nicht mehr angefochten werden. Es gibt aber die Möglichkeit eines Annullierungsverfahrens wegen prozessualer Mängel, zum Beispiel bei nachgewiesener Korruption von Schiedsrichtern. Ein Berufungsmechanismus im Investitionsschutz ist bereits diskutiert worden…
"Und mit guten Gründen verworfen worden, weil Sie das Verfahren für kleine und mittlere Unternehmen unbezahlbar machen würden. Wenn Sie ein Berufungsverfahren als Teil des normalen Rechtszuges einführen, dann haben Sie eine große Wahrscheinlichkeit, dass der jeweils Unterlegene immer dieses Verfahren beschreitet."
Die Anwältin Sabine Konrad war mit ihrer ehemaligen Kanzlei K&L Gates im Fall Unglaube gegen Costa Rica erfolgreich. Das Tribunal entschied, dass den Klägern eine Entschädigung von 3,1 Millionen US Dollar plus Zinsen zusteht. Die Verfahrenskosten von fast 900.000 US Dollar teilten sich die Parteien, die eigenen Kosten für die Anwälte und andere Ausgaben beliefen sich bei den Unglaubes auf circa 3,4 Millionen US Dollar, bei Costa Rica auf circa 1,6 Millionen US Dollar.
"Investitionsschutz ist Menschenrechtsschutz. Es geht um den Schutz des Individuums gegen den Staat. Staaten tun viel Gutes, Staaten sind aufgrund ihrer Machtfülle aber auch ziemlich gefährliche Entitäten, die, wenn Sie nicht von Gerichten, nationalen Verfassungsgerichten, Menschenrechtsgerichtshöfen, dem IGH und Investitionsschiedstribunalen kontrolliert werden, auch entgleisen können."
Investitionsschutz ist Menschenrechtsschutz?
Stellen Sie sich vor, der Regierung in ihrem Land liegen wissenschaftliche Erkenntnisse vor nach denen Fracking größere Umweltschäden verursacht als bisher angenommen. Die Bevölkerung protestiert. Bis zum Abschluss einer umfassenden Studie wird ein Moratorium verhängt, das Bohrungen bis auf weiteres untersagt. So geschehen in der kanadischen Provinz Quebec. Betroffen davon war auch der Rohstoffkonzern Lone Pine Resources. Das Unternehmen klagte, aber nicht etwa vor einem kanadischen Gericht. Der kanadische Konzern klagte über seine US-amerikanische Tochterfirma, um sich auf das Investitionsschutzkapitel der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA berufen zu können. Im September 2013 wurde die Investor-Staat-Klage eingereicht. Gefordert werden 250 Millionen kanadische Dollar Entschädigung. Das Unternehmen sieht in dem Moratorium einen „willkürlichen Widerruf seines wertvollen Rechts, nach Öl und Gas zu bohren“ und behauptet, die Politiker agierten „ohne jeden erkennbaren Gemeinwohlbezug“.
"Was auch heftig ist, ist ein Urteil gegen Ecuador auf Grund eines nicht zustande gekommenen Ölausbeutungsvertrags, wo der Staat Ecuador fast 2 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen musste. Das ist die höchste bisher geurteilte Schadenssumme."
Michael Efler, Bundesvorstandssprecher des Vereins "Mehr Demokratie" empört sich hier über die Höhe der Entschädigungssumme – denn sie entspricht den Sozialausgaben Ecuadors für die Ärmsten der Bevölkerung für 15 Jahre.
Ursprünglich wurden die Investor-Staat-Klagerechte erfunden, um Investoren in politisch instabilen Ländern Rechtssicherheit zu bieten. Oft befanden sich die Staaten in die investiert wurde in der sogenannten Dritten Welt. Schon damals konnte man sehen, dass es nicht allein um legitimen Investorenschutz ging, sondern auch um Marktmacht und Profit. Inzwischen ist der Wettbewerb globaler, die Konkurrenz größer, sind Konzerne multinationaler und die Auslandsinvestitionen umfangreicher. Laut einer Studie der UN-Konferenz für Welthandel aus dem Jahr 2013 stammen allerdings die Kläger bei 75 Prozent der Schiedsgerichtsfälle noch immer aus der Europäischen Union oder aus den USA.
Es geht nicht mehr nur um Investitionsschutz in politisch instabilen Ländern
Ein großer Player im internationalen Wettbewerb ist die BASF Gruppe mit Hauptsitz in Ludwigshafen. Jan von Herff, Senior Manager für Handels- und Industriepolitik bemerkt, dass auch Freihandelsabkommen globaler geworden sind.
"Klassische Nord-Nord oder Nord-Süd-Abkommen sind auch schon Teil der Vergangenheit. Wir haben heutzutage einige hundert bilaterale Investitionsschutz- oder Handelsabkommen Süd-Süd. Es gibt Länder, die haben das als Kern im globalen Standortwettbewerb, wie zum Beispiel Peru, Singapur, Südkorea."
Es geht also nicht mehr allein um Investitionsschutz in politisch instabilen Staaten. Geklagt wird gegen Demokratien mit funktionierendem Rechtssystem. So auch im Fall der Corporation Glamis Gold, die gegen die USA vorging, weil der Staat Umweltauflagen für ein Minenprojekt erlies. Der kanadische Konzern verlor. Dieser Schiedsspruch sei einer der am besten begründetsten, so Stephan Schill, Referent am Max-Planck-Institut in Heidelberg und einer der vier deutschen Schlichter, also Mediatoren des ICSID.
"Das war ein Fall, in dem durchaus die Möglichkeit bestand, dass die US hätten verlieren können und da die US teilweise sehr sehr ungehalten reagieren, auf das Verlieren von Fällen auf internationaler Ebene, was auch dazu führen kann, dass das ganze System dann von den USA torpediert wird, sind Schiedsgerichte immer sehr sehr vorsichtig, wenn die USA auf der Beklagtenseite stehen.Ich glaube, dass die US häufig eine heißere Kartoffel sind als andere Staaten. Das sind politische Kosten, die bei Schiedsrichtern auch eine Rolle spielen. Die keine Rolle spielen, wenn man davon ausgehen darf, dass der Staat auch eine Verurteilung nicht entsprechend negativ auffasst. Wir sind in Europa viel mehr daran gewöhnt als Staaten Verfahren zu verlieren. Das passiert regelmäßig, in Luxemburg, in Straßburg und das wird sicherlich auch in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit passieren."
Das Vertrauen der USA in die Rechtsprechung europäischer Staaten ist begrenzt und so favorisieren sie halb-private internationale Schiedsgerichte wie das in Washington.
"Die Alternative wären nationale Gerichte. US Investoren werden sich wahrscheinlich bei deutschen Gerichten noch ganz wohl fühlen aber es gibt sicherlich Gerichte, in anderen Mitgliedstaaten, in denen sich US-amerikanische Investoren nicht so wohl fühlen. Auf der anderen Seite gibt es auch in den USA auf der Ebene von Staaten eine Reihe von Gerichte in denen sich Investoren aus der EU nicht notwendigerweise wohl fühlen würden."
Chilling-Effekt: Gesetzgebung wird ausgebremst
Richter urteilen in Deutschland auf Basis der geltenden Gesetze, das Schiedsgericht urteilt auf Basis von Klauseln, die mehr oder weniger vage sind und mehr Spielraum für die Anwälte und Schiedsrichter bieten. Da gibt es zum Beispiel den Tatbestand der indirekten Enteignung. Eine weitere Klausel ist der Tatbestand der fairen und gerechten Behandlung. Stephan Schill.
"Was das bedeutet, ist natürlich sehr offen und auch stark davon abhängig, wer das interpretiert. Man ist heute dazu übergegangen, dass diese Klauseln konkretisiert werden. Billige und gerechte Behandlung wird beispielsweise dahingehend konkretisiert, dass Verfahren anhand rechtsstaatlicher Grundlagen durchgeführt werden. Das bedeutet u.a., dass Investoren zu hören sind vor belastenden Maßnahmen, dass sie Rechtsschutzmöglichkeiten haben."
Kritiker sagen, um erst gar nicht vor Gericht zu landen, bestünde bei vielen Staaten die Tendenz des vorauseilenden Gehorsams, dass Regierungen also Maßnahmen zum Schutz des öffentlichen Wohls nicht erlassen, um das Risiko auszuschließen deswegen von einem Investor auf Schadensersatz verklagt zu werden. Insider sprechen dann von einem Chilling-Effekt, dass sozusagen Gesetzgebung ausgebremst, gechilled, wird. Michael Efler:
"Beispielsweise hat Neuseeland auf Grund einer Klage gegen Australien darauf verzichtet ein konsequentes Nichtraucherschutzgesetz zu verabschieden, mit Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen, weil Australien gerade verklagt wird von Phillip Morris auf zwei Milliarden Euro Schadenersatz. Es gibt auch viele Beispiele in Kanada, wo nach Inkrafttreten des NAFTA bereits in der Planungsphase von neuen Regulierungen mit Klagen gedroht wird und häufig dazu führen, dass diese Regulierungen dann nicht mehr in Kraft treten."
Stephan Schill hält nicht viel vom Vorwurf des Chilling-Effekts und beruft sich auf den deutschen Atomausstieg.
"Ich glaube, dass der Atomausstieg eigentlich ein Beispiel dafür ist, dass diese Überlegungen keine Rolle gespielt haben."
Deutschland wurde bisher zweimal verklagt. In beiden Fällen ist der Kläger der schwedische Konzern Vattenfall. Möglich ist das durch den Internationalen Energie-Charta-Vertrag. Wegen der nunmehr wertlosen Investition und dem entgangenen Gewinn, der aus der Entscheidung zum Atomausstieg resultiert, will der Konzern von Deutschland circa 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz. Die Bundesrepublik wird in dieser Sache übrigens von Sabine Konrad, der Anwältin aus Frankfurt am Main vertreten. Wegen Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg klagte Vattenfall auf Schadensersatz von circa 1,4 Milliarden. Unter diesem Druck gab der Hamburger Senat nach und lockerte die Umweltauflagen.
Zahl der Klagen enorm angestiegen
Insgesamt ist die Zahl von Investor-Staat-Klagen in den letzten Jahren rasant gestiegen. Waren es 2001 noch keine 100 Fälle, so wurden im Jahr 2013 bereits über 560 Verfahren registriert. Von den über 270 abgeschlossenen Fällen wurden circa 30 Prozent für den Investor entschieden und circa 40 Prozent für den Staat, die restlichen Fälle endeten mit einem Vergleich.
"Ich finde, wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anguckt, …dass das im Grunde genommen Geschäftsmodell für Anwaltskanzleien geworden ist."
Sagt Bernd Lange, SPD-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Internationalen Handel.
"Das machen die ganz offen, dass sie auf Länder zugehen, aktiv Prozesse anzetteln und Kunden akquirieren, quasi auch die Vorfinanzierung von Prozessen mitanpacken, weil das ein lukratives Geschäft geworden ist. Wenn man sich die Fälle anguckt, dann sind es nur Großkonzerne, die versuchen dort Gewinne zu erzielen. Ein durchschnittliches Verfahren kostet 8 Millionen, die Anwaltskanzleien haben Stundensätze von 1000 Euro."
Stephan Schill, Referent am Max-Planck-Institut in Heidelberg und Schlichter für den ICSID hat grundsätzlich Vertrauen in die internationale Schiedsgerichtbarkeit und er befürwortet die Verhandlungen über Investorenschutz zwischen der EU und den USA. Aber auch er fragt:
"Ist es zulässig, dass ein und dieselbe Person in einem Verfahren als Schiedsrichter zulässig ist und in anderen Verfahren parallel als Anwalt. Kreiert so etwas Interessenkonflikte, die möglicherweise zu Lasten fairer Rechtsauslegung gehen?"
Das Ungleichgewicht der Kräfte
Obwohl das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten seit Jahrzehnten über Investitionsstreitigkeiten entscheidet, ist es erst seit kurzem im Licht der Öffentlichkeit. Das hat zu tun mit den steigenden Fallzahlen und damit, dass inzwischen immer öfter auch europäische Staaten auf der Anklagebank sitzen. Und es liegt an der Diskussion über TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA.
Zu den kritischen Stimmen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft kommt nach und nach Protest aus Politik und Wirtschaft. Bernd Lange, SPD-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Internationalen Handel:
"Wenn Sie mit dem Verband des Maschinenbaus reden, die können sich das überhaupt nicht leisten, so ein Verfahren durchzuziehen. Und das ist für Deutschland, für Europa, ganz entscheidend, dass viele Mittelständler dann Problemstellungen haben."
Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft und die Verbraucherzentrale warnen vor einer Unterwanderung des europäischen Rechtsstaates durch Investitionsschutzvorschriften. "Mehr Demokratie" und andere europäische Organisationen initiierten eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und ISDS. Michael Efler.
"Es wäre viel günstiger, dass man die Fehler im System erst einmal löst, bevor man zwischen den beiden größten Wirtschaftsblöcken der Welt 75.000 Unternehmen potenziell die Möglichkeit gibt, das anzuwenden."
Auch die Wirtschaftsministerien von Frankreich und Deutschland, ebenso das deutsche Justizministerium erklärten, dass Investor-Staat-Klagen-Rechte in TTIP nicht notwendig sind. Im Juli endete die Online-Befragung der europäischen Kommission. Anhand eines digitalen Fragenkatalogs sollte die Einschätzung der Europäer zu ISDS-Klauseln in TTIP in Erfahrung gebracht werden. Die Auswertung der zahlreichen Kommentare soll Ende des Jahres erfolgen.
"Diese Konsultation war von der Kommission ein Rettungsanker, weil sie natürlich gemerkt haben, dass die gesellschaftliche Diskussion sich sehr kritisch gegen ISDS entwickelt hat. Zukünftig müssen wir Handelspolitik in einem breiten gesellschaftlichen Konsens darstellen und nicht, dass da die Kommission, aus was für Gründen auch immer, versucht so etwas wie ISDS durchzudrücken. Das hatten wir bisher ja auch nicht. Und auch in Deutschland, wir haben keine Verträge mit Ländern der OECD, in den ISDS enthalten ist."
Im Hinblick auf die Verhandlungen beklagt Bernd Lange zudem:
"Ich kriege nicht die Dokumente der Vereinigten Staaten und das bekommen auch nicht die 28 Regierungen. Und das finde ich unhaltbar. Wenn man verhandelt, dann müssen alle Dokumente den Verhandelnden zur Verfügung stehen."
Wie kommen die Verhandlungen dann überhaupt zustande, fragt man sich. Für die US-Amerikanerin Susan George, Politikwissenschaftlerin und Ehrenvorsitzende von Attac Frankreich ist TTIP ein transnationaler Vertrag, zwischen Großkonzernen.
"Es begann mit einer Art Abmachung zwischen den Vereinigten Staaten, der EU und den Großkonzernen, dem Transatlantik Business Dialog. Jetzt haben sie den Transatlantic Economic Council gegründet und sagen, wir sind eine politische Institution. Wir treffen die Entscheidungen, nicht die Regierungen. BASF oder Siemens in Deutschland haben genau dasselbe Format, wie ein Großkonzern in den Vereinigten Staaten. Sie sorgen sich nicht um Deutschland oder Frankreich oder wo immer sie herkommen. Sie sorgen sich allein um ihre Gewinnspanne."
Welche Rollen spielen Großkonzerne?
"Ich habe Verständnis für die große Sorge, wenn ich mir die Vorwürfe anhöre, Abschaffung der Demokratie, dann hoffe ich doch, dass es vorher Proteste gibt. Wir glauben aber, wenn man sich in der Substanz damit beschäftigt, dass diese Befürchtungen einfach nicht gerechtfertigt sind."
BASF ist Mitglied im Transatlantic Business Council, TABC. Jan von Herff wehrt sich gegen den Vorwurf, dass BASF Teil einer transnationalen Vereinigung von Großkonzernen ist, die Regierungen in die Enge treibt und Entscheidungen auferlegt.
"Die Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Wenn man auf die Entwicklungsgeschichte des TABC, genauso wie das Pendant dazu, der Transatlantic Consumer Dialogue und der Transatlantic Legislators Dialogue schaut, waren diese Gremien eingerichtet worden als Beratergremien und von daher müssen diese Organisationen sich natürlich in Verhandlungen wie TTIP einbringen."
Und der Politiker Bernd Lange sieht eine Bringschuld bei den Bürgern.
"Ich glaube, man kann jetzt nicht den Vorwurf machen, dass die, die sich besonders dafür interessieren, besonders stark bisher dafür eingemischt haben, dabei ist letztendlich ein Defizit von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu verzeichnen."
Die meisten Mitglieder des Transatlantic Business Council, TABC kommen aus den USA, gefolgt von Schweden und Deutschland. Dies sind beispielsweise Microsoft und IBM, neben der Deutschen Bank, der spanischen BBVA-Bank und der bulgarischen Corporate Commercial Bank. Auch Anwaltskanzleien, wie die ehemalige Firma von Sabine Konrad, K&L Gates, sowie Hogan Lovells oder Covington & Burlington LLP sind dabei. Ebenso Audi, Siemens, SAP und BASF. Die Politik verliert Handlungsspielräume – Reichtum und Macht seien in einigen wenigen Großkonzernen konzentriert, sagt Susan George und verweist auf die Studie dreier Mathematiker der ETH Zürich.
"Sie zeigen anhand einer Datenbasis von 43.000 Unternehmen, dass diejenigen, die am stärksten miteinander verbunden sind, die Aktien voneinander besitzen - nur 50 Unternehmen sind. 48 kommen aus der Finanzbranche: Hedgefonds, Banken, Versicherungen. Lediglich zwei stammen aus der Realwirtschaft."
Im Windschatten der Proteste gegen TTIP schreiten die Verhandlungen über CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada lautlos voran. Das Abkommen steht kurz vor dem Abschluss. Dann könnten zum Beispiel die USA die in CETA festgelegten Normen nutzen, um über ihre kanadischen Tochterfirmen auf den europäischen Markt vorzudringen. TTIP wäre dazu gar nicht mehr notwendig. Kritiker bemängeln außerdem, dass in CETA die Definition von Investition viel zu breit gefasst ist und der Finanzsektor noch immer unzureichend reguliert wird. Riskante Finanzgeschäfte seien damit nicht unterbunden, ebenso wenig Spekulationen gegen Umschuldungsverhandlungen. Bernd Lange:
"Das Europäische Parlament hat eine Stellungnahme beschlossen zu dem Abkommen mit Kanada, wo wir fordern ISDS rauszulassen und ich kann der Kommission nur empfehlen, dies auch zu beherzigen. Zwischen Staaten mit entwickelten juristischen Systemen ist ein zusätzlicher Investitionsschutzmechanismus nicht nötig."
Für Michael Efler von Mehr Demokratie steht nicht der Ausbau des Schiedsgerichtssystems auf der Tagesordnung, sondern dessen Veränderung. Kurzfristig geht es um mehr Transparenz und klar formulierte Schutzklauseln.
"Die Schutzrechte für Investoren und das Recht auf Regulierung von Staaten, das ist außer Balance geraten, das muss wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden. Langfristig kann man sich überlegen ein internationales Wirtschaftsgericht zu etablieren, so wie den internationalen Gerichtshof, wo dann wirklich gewählte Richter transparent arbeiten, nachvollziehbar mit Berufungsverfahren."
Links im Internet:
Studie von Pia Eberhardt/Cecilia Olivet: Profiting from injustice
ICSID Dokumentation Unglaube v. Republic of Costa Rica
Transatlantic Economic Council
Transatlantic Buisiness Council TABC
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