Internationale Politik

Die Weltpolizisten

Eine illuminierte Weltkugel
Großmächte wie die USA verhindern, dass die Welt in Anarchie versinkt, meint der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel in seinem neuen Buch © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Günter Rohleder · 23.05.2015
Was die Welt im Innersten zusammenhält - keiner geringeren Frage widmet sich der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel in seinem neuen Buch. Seine Antwort: Es sind die Großmächte, die auf der Welt für Ordnung sorgen.
Er wolle die Welt erklären. So anspruchsvoll beginnt Ulrich Menzel sein opus magnum aus 1200 Seiten.
"Es soll darin gezeigt werden, was die Welt im Innersten zusammenhält, wer für Ordnung sorgt in der Anarchie der Staatenwelt, in der es keine übergeordnete Instanz, keinen Weltstaat gibt, der mit einem internationalen Gewaltmonopol ausgestattet ist."
Zwei Antworten verwirft er als unzulänglich. Die eine folgt dem realistischen Denkmodell und meint, dass Staaten ihre Interessen am besten nach dem Prinzip der Selbsthilfe vertreten. Die andere, die eher idealistische, setzt dagegen auf Kooperation.
Das Selbsthilfeprinzip benötige militärische und wirtschaftliche Macht. Diese Fähigkeiten, so Ulrich Menzel, seien aber zu unterschiedlich verteilt, als dass sich mit ihnen eine internationale Ordnung herstellen ließe. Außerdem führten sie geradewegs in ein Dilemma.
"Wenn ein Staat rüstet, um seine Sicherheit zu steigern, produziert er bei den anderen Unsicherheit. Macht im internationalen System ist ein Nullsummenspiel. Also müssen die anderen Staaten mit Gegenrüstung antworten, die wiederum die eigene Sicherheit schmälert."
Er unterstellt, dass Staaten sich dem Völkerrecht unterwerfen
Aber auch das sogenannte idealistische Modell überzeugt den Politologen nicht. Es setzt auf Vernunft und Verantwortung im politischen Handeln. Es unterstellt, dass Staaten bereit und fähig seien, miteinander zu kooperieren, sich den Regeln des Völkerrechts zu unterwerfen, um Frieden und Wohlstand zu schaffen, die Menschenrechte und den Umweltschutz zu garantieren.
Angesichts ambivalenter Erfahrungen mit dieser Art Kooperation bezweifelt Ulrich Menzel, dass sie dazu tauge, auf ihr eine internationale Ordnung zu gründen. Aber abgesehen davon, scheitere auch dieser Ansatz an seiner inneren Logik, wie die Umweltpolitik bewiesen habe. So könne es beispielsweise für den einzelnen Fischer durchaus rational sein, immer so viel Fisch wie möglich zu fangen, selbst auf die Gefahr hin, dass das Meer leergefischt wird, wenn alle Fischer sich so verhielten.
"Solange der Anteil des Einzelnen am kollektiven Nachteil geringer ist als der individuelle Nutzen, wird sich der homo oeconomicus so verhalten. Hier liegt der Kern des Problems, warum es so schwierig ist, in der internationalen Umweltpolitik zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, obwohl die Wissenschaft Empfehlungen für vernünftiges Verhalten macht."
Nicht der Konkurrenzkampf, nicht die internationale Kooperation unter den inzwischen fast 200 souveränen Staaten würden die Welt zusammenhalten, sondern eine Hierarchie aus Macht und Einfluss.
"Große Mächte sind in der Lage, entweder allein oder maßgeblich für internationale Ordnung zu sorgen."
Diese Großen unterscheidet Menzel nach imperialen und hegemonialen Mächten. Das Imperium ist eher auf Unterwerfung und militärische Macht ausgerichtet, die Hegemonie auf Führung und Akzeptanz in Form von freiwilliger Gefolgschaft.
"In diesem Sinne war Athen im Attischen Seebund ein klassischer Hegemon, wie es die USA in der NATO heute sind. Die Sowjetunion war dagegen ein Imperium gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes, da ihre Herrschaft auf Zwang beruhte."
Hegemoniale Großmächte bringen Ordnung in die Anarchie
Imperiale wie hegemoniale Großmächte bringen Ordnung in die Anarchie unter den Staaten und sichern sich ihre eigene Vormachtstellung, indem sie öffentliche Güter bereitstellen, beispielsweise militärische Sicherheit oder wirtschaftliche Stabilität versprechen, auch indem sie Privilegien gewähren, also für all jene Länder, die sich mit ihnen in einem Bündnis, in einem Staatenclub zusammenfinden.
"Die Dienste einer Internationalen Organisation, z.B. den Vorteil einer Meistbegünstigungsklausel bei Handelsverträgen, können nur die Staaten wahrnehmen, die Mitglied der Organisation sind."
In Fallstudien zeichnet er den Aufstieg und Niedergang großer Mächte nach. Beginnend mit der Song-Dynastie in China und dem Mongolenreich analysiert er nacheinander den Einfluss der oberitalienischen Stadtstaaten, Portugals, des Osmanischen Reiches, Spaniens, Englands und schließlich der Vereinigten Staaten.
"Aus der Zusammenschau von 1100 Jahren Weltgeschichte ergibt sich eine fast lückenlose Abfolge großer Mächte, die allein, in Kooperation oder sogar in Rivalität mit anderen großen Mächten, entweder mit globaler oder mit regionaler Reichweite bemüht waren, für internationale Ordnung zu sorgen."
Ulrich Menzel sieht sich bestätigt, die USA hätten als Großmacht von heute historische Vorbilder, die einer Hierarchie in der Staatenwelt Kontinuität gegeben haben. Und so beendet er sein Buch mit der Prognose, China könnte als Hegemon zurückkehren und in etwa 20 Jahren die USA in dieser Rolle ablösen.

Ulrich Menzel: Die Ordnung der Welt
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
1229 Seiten, 49,95 Euro

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