Debatte

"CSU-Parolen haben überhaupt keinen Lösungscharakter"

Aydan Özoguz
Aydan Özoguz © dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke
Aydan Özoguz im Gespräch mit Andre Hatting · 11.01.2014
Man tue so, als sei jeder, der arm sei, ein Betrüger, sagte die SPD-Politikerin, auch wenn "ganz klar" sei, dass man nicht jedem helfen könne. Zudem beklagte sie Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt.
André Hatting: Stimmungsänderung in Deutschland. Eine deutliche Mehrheit ist jetzt für Zuwanderung, das war jahrelang anders. Aber diese Ansicht gilt nur, wenn es sich dabei um Menschen handelt, die hier auch arbeiten, also so eine Art Edelmigration. Die findet die Bevölkerung gut. Genau das ist aber ein Problem, denn wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Die Arbeitslosenquote unter den Migranten ist mit 14 Prozent fast doppelt so hoch wie unter deutschen Staatsbürgern. Und junge Deutsche mit ausländischen Wurzeln haben es ebenfalls immer noch schwerer als die Mehrheitsgesellschaft. Seit Dezember ist Aydan Özoguz Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – damit zum ersten Mal jemand mit türkischen Wurzeln in dieser Funktion. Guten Morgen, Frau Özoguz!
Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Warum haben es Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt immer noch viel schwerer als Deutsche?
Özoguz: Das gilt natürlich nicht für jeden, aber Sie haben schon recht, gerade im Bereich der Bildung und der Ausbildung haben wir in den letzten Jahren ja doch eine ganze Menge dazugelernt. Wir haben beispielsweise gemerkt, dass das Schulsystem in der Form, wie es bei uns eben organisiert war, es viel zu wenig darauf eingegangen ist, wenn junge Menschen eben nicht die Eltern hatten, die ihnen von vornherein auch schon alles mit vermitteln konnten beziehungsweise bei den Hausaufgaben eben entsprechend helfen konnten. Das haben wir ja versucht in den letzten Jahren mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, nun ein Stück weit anders zu machen, und wir sind noch mittendrin, würde ich sagen. Und dann gibt es natürlich den großen Ausbildungsmarkt. Auch da merken wir, es ist schon manchmal auch für Unternehmer – ich glaube, das müssen die sich sagen lassen – bequemer, einfach mal zu schauen, bekomme ich andere, also jetzt beispielsweise aus dem Ausland gut gebildete Leute, bevor ich eben doch noch mehr investieren müsste, wenn jemand hier die Schule nicht gut geschafft hat oder gar nicht geschafft hat.
Hatting: Hat das auch immer noch ein bisschen was mit Vorurteilen zu tun? Also wenn ich beispielsweise einen türkischen Namen lese von einer Bewerberin, einem Bewerber, dann gehe ich automatisch davon aus, uh, der kann bestimmt nicht so gut Deutsch?
Özoguz: Ja, leider zeigen Studien das. Ich weiß jetzt nicht genau, ob es nur der Gedanke ist, sie können nicht so gut Deutsch, aber tatsächlich ist es so, dass aufgrund von fremden Namen, fremden Herkünften man gleich eine geringere Chance hat, überhaupt eingeladen zu werden zu einem Vorstellungsgespräch – das haben sowohl Universitäten als auch die Diskriminierungsbeauftragte herausgefunden. Also, von daher glaube ich, das muss man schon sehr ernst nehmen, denn nach und nach weicht sich dieses Bild auf, aber es ist eben viel zu langsam.
Einen vernünftigen Schulabschluss für jeden
Hatting: Sie plädieren auch für eine Kultur der zweiten Chance, was meinen Sie damit?
Özoguz: Ja, mir ist es ganz, ganz wichtig, stärker hinzuschauen und da spielt nicht nur der Migrationshintergrund natürlich eine Rolle: Wenn junge Leute bei uns die Schule nicht schaffen, wenn sie eben gar keinen Abschluss haben oder einen schlechten Abschluss – das sind ja leider nicht gerade wenige, wir sprechen insgesamt sicherlich schon von einer Zahl, die irgendwo zwischen einer Million und anderthalb liegt –, wir müssen diesen Menschen sagen, ihr könnt das nachholen, ihr habt noch eine weitere Chance, es zu versuchen. Ich habe mal die Erfahrung gemacht, als ich ganz frisch in die Politik kam, es waren viele junge, gerade Männer häufig, die Anfang 20 waren, die gemerkt haben, das war irgendwie vollkommen daneben, was ich da gemacht habe in meiner Schulzeit, ich würde so gerne jetzt eine vernünftige Ausbildung machen, und der Weg war versperrt. Und das müssen wir, glaube ich, ändern. Es nützt nämlich niemandem in unserer Gesellschaft etwas, wenn wir sagen, nö, einmal vertan, dann ist es das. Wir müssen immer wieder die Chance geben, eine Ausbildung zu machen und zu einen vernünftigen Berufsabschluss zu kommen – den brauchen wir wirklich für jeden in unserem Land.
Hatting: Kultur der zweiten Chance könnte man aber auch so ein bisschen als Trostpreis verstehen. Warum nur die zweite Chance, warum nicht auf Anhieb, warum nicht in der Schule selbst? Was muss man tun, damit es bereits in der Schule nicht zu diesen Fehlentwicklungen kommt?
Özoguz: Na, ich hab das ja schon angedeutet. Es gibt ja eine ganze Reihe von Maßnahmen in den Schulen, also, ob nun kleinere Klassen, ob nun mehr Lehrkräfte oder eben auch Sozialpädagogen an den Schulen, das halte ich für einen ganz, ganz wichtigen Punkt. Ob nun Kurse auch an den Schulen und eben Ganztagsschulen, wo auch vernünftige Hausaufgabenbetreuung gemacht wird, wir wissen, dass wir da sehr vieles schon angeschoben haben. Natürlich läuft nicht immer alles perfekt, das wissen wir auch, aber es ist doch eine kleine Revolution, die in unserem Land da stattfindet, und das dauert ein Stück weit. Aber wir dürfen jetzt nicht warten, bis immer wieder ganze Jahrgänge durch sind, sondern wir müssen sagen, gleichzeitig müssen wir uns auch um die kümmern, die es eben nicht geschafft haben und die wir ebenfalls in unseren Arbeitsmarkt integrieren wollen.
Verbindung zwischen Schule und Elternhaus stärken
Hatting: Ihr Parteikollege, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, also einem ganz starken Brennpunkt, der Heinz Buschkowsky, der sieht das ein bisschen anders, der findet, es muss noch viel, viel, viel mehr gemacht werden, und er sagt, Zitat, man müsse "die Kinder von den Defiziten ihrer Eltern befreien“. Er meint damit, dass die Kinder, die jetzt in Elternhäusern aufwachsen, wo die Eltern nicht gut Deutsch können, wo sie bildungsfern sind, da muss man sie im Prinzip schon abholen, da muss man anfangen und sie schon betreuen durch ein Eingreifen des Staates. Was halten Sie davon?
Özoguz: Das ist gar nicht mal so ganz verkehrt. Ich finde, wir müssen die Eltern stärken, wir müssen auch zusehen, dass die Kinder eben nicht abhängig davon sind, was ihre Eltern können oder nicht können. Das ist beispielsweise bei Migranten schon ein Problem, wenn die Eltern kaum Deutsch können, aber gleichzeitig bei Mathe- oder, weiß ich nicht, Erdkunde-Hausaufgaben helfen sollen – das ist ganz, ganz schwierig natürlich –, aber wir müssen auch ein Stück weit gucken, es gibt auch Eltern, die wollen einfach gar nicht. Da muss man auch schauen, inwieweit der Staat mitunter auch mal daran erinnern muss, dass man auch Eltern Aufgaben hat und dass wir dies eben auch erwarten. Deswegen finde ich ja so wichtig, dass nicht diese Elternkompetenz irgendwo da vor dem Schultor endet, sondern dass die Verbindung zwischen Schule und Elternhaus noch sehr viel stärker ausgebaut wird, wie es in vielen anderen Ländern der Fall ist.
Hatting: Glauben Sie, dass Sie, wenn Sie mit diesen Menschen sprechen, deren Probleme besser verstehen, auch aufgrund Ihrer eigenen Biografie?
Özoguz: Nein, ich glaube, der eigentlich springende Punkt ist, dass offensichtlich die Schamgrenze nicht so groß ist, zu mir zu kommen und sich mir erst mal anzuvertrauen und dann vielleicht doch mal zu sagen, ich hab da einen Fehler gemacht oder das und das ist in meinem Elternhaus schiefgegangen – ich glaube, das kennen andere auch, die fremd klingende Namen haben –, dass zumindest da so eine Tür da ist. Man geht hin und fragt erst einmal. Und wir lösen das ja nie alleine, sondern natürlich immer gemeinsam mit Kollegen, mit Schulleitern, mit Unternehmern. Aber es ist eben eine wichtige Tür, die sich da öffnet, und ja, möglicherweise ist das eben eine Chance für unsere Gesellschaft, wenn man auch mal einen fremd klingenden Namen hat und am Kabinettstisch sitzt.
Hatting: Ärgert es Sie eigentlich, dass es in der Diskussion Zuwanderung gerade vor allem um die Angst vor Sozialbetrug geht?
Özoguz: Na, ich finde es eine sehr einseitig geführte Debatte, und vor allen Dingen, also was mich ärgert, ist, wenn man so tut, als wäre nun jeder, der arm ist, ein Betrüger von vornherein, das ist ja nicht der Fall, auch wenn wir Lösungen dafür brauchen, dass wir nun auch nicht jedem, der arm ist, helfen können, das ist ja ganz klar. Aber solche Parolen, wie sie da teilweise von der CSU nun hervorgeholt werden, die haben überhaupt gar keinen Lösungscharakter für all die Probleme, die anstehen. Das ärgert mich ein bisschen, weil da so vorgegaukelt wird, mit Gut-Stimmung-Machen könne man nun irgendwas verbessern in unserem Land – das ist mitnichten der Fall.
Hatting: Aydan Özoguz, die SPD-Politikerin ist Staatsministerin für Migration,, Flüchtlinge und Integration. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Özoguz: Ich danke Ihnen auch, Herr Hatting!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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