Installationen

Zwischen Konzeptkunst und Heilung

Der Eingang des Museum of Modern Art, MoMA, in New York
Der Eingang des Museum of Modern Art, MoMA, in New York © picture alliance / dpa / Foto: Felix Hörhager
Von Andreas Robertz  · 12.05.2014
Lygia Clarke ist eine in Europa und Nordamerika verhältnismäßige unbekannte Künstlerin. Dabei beeinflusste ihr Schaffen eine ganze Generation von südamerikanischen Künstlern. Besonders interessant sind Werke, die mit Kunst als therapeutischem Erlebnis beschäftigen.
Man geht durch verschiedene winzige Räume: über einen weichen Boden in völliger Dunkelheit, einen ebenfalls dunklen Raum mit weißen Ballons so vollgepfropft, dass man sich quasi durch sie hindurchzwängen muss oder ein großes tränenförmiges Sauerstoffzelt, in das frische Luft hineingepumpt wird.
"Ich hab mich wieder wie ein Kind gefühlt. Ich war frei und unbedarft. Und es hat mir gefallen, mich so zu fühlen."
Lygia Clarks Installation "a casa é o corpo“ – "Das Haus ist der Körper“ - aus dem Jahr 1968 ist eine der Installationen der Ausstellung, die am besten illustriert, wie sehr sie Kunst als einen Moment des Erlebens definierte. "The Abandonment of Art“ folgt chronologisch der Arbeit der 1988 verstorbenen Künstlerin. Kuratorin Connie Butler:
"Zuerst müssen sie wissen, dass in Brasilien und dem Kontext Lateinamerika sie ohne Zweifel der wichtigste Künstler der Nachkriegsära ist."
In ihren frühen abstrakten Arbeiten der 50er-Jahre kann man starke Einflüsse des russischen Konstruktivismus und von Künstlern wie Piet Mondrian, Ferdinand Léger oder Paul Klee entdecken. In dieser Zeit entwickelt sie ihr frühes Markenzeichen: ein tiefer Schnitt in der Textur ihrer Bilder, oder, wie sie es nennt, eine "organische Linie“.
"Für mich wird ihre Arbeit nach 1960 so richtig interessant, wenn sie beginnt die Elemente der Malerei durch die Idee der organischen Linie grundsätzlich auseinanderzureißen. Diese Linie, die buchstäblich ein Raum auf der Oberfläche des Bildes ist, ein Riss, der dann zum Raum des Lebens wird."
Dreidimensionale Objekte
In den späten 60ern wendete sie dann ihre Aufmerksamkeit zunehmend dreidimensionalen Objekten zu, den sogenannten Bichos, was übersetzt Ungeziefer bedeutet. Sie bestehen aus einfachen Aluminiumflächen, die durch Scharniere, die hier die organische Linie ersetzt haben, zusammengehalten werden. Der Betrachter, den sie in dieser Zeit bereits Teilnehmer nennt, kann die Dreiecke und Halbkreise beliebig zu neuen Gebilden umformen.
Um diese Erfahrung jetzt noch einmal zu rekonstruieren, stehen erhöhte Spielkästen in den Ausstellungsräumen, in denen man mit Replikaten der originalen Bichos spielen kann. In der Zeit von 1966 bis 1988 begann Lygia Clark ihre Arbeiten "Angebote“ zu nennen. Sie wurden zum Erlebnisraum, in dem sie "sensorische Objekte“ mit dem Körper der Besucher in Kontakt brachte. Kunst wurde zu einem Ereignis zwischen Angebot und Teilnehmer. Sie initiierte einen stark therapeutischen Zusammenhang, der ihr bei ihren europäischen Kollegen hauptsächlich Spott und Diffamierung einbrachte.
"Ich denke die Idee der Übertragung der Autorenschaft der Kunst vom Künstler zum Beobachter, zum Teilnehmer, darin besteht ihr radikales Erbe."
Stimulieren oder blockieren
Mit Hilfe von geschulten Helfern kann man Clarks sensorische Objekte selbst ausprobieren. Besonders einladend sind dabei ihre "Masken“, die bestimmte Wahrnehmungen stimulieren oder blockieren.
"Manchmal sieht man eine Reflektion, dann hat man ein verschwommenes Bild, manchmal hat man etwas über den Ohren, manchmal fühlt es sich komisch an. Und dann riechst du etwas, was du nicht erwartest. Zum Beispiel Zimt, was man eher mit der Weihnachtszeit in Zusammenhang bringt."
"Lygia Clark: The Abandonment of Art“ ist eine erfrischend klar strukturierte und dabei wunderbar spielerische Ausstellung über eine große, in Amerika und Europa viel zu unbekannte Künstlerin. Ihr Ziel war es, einen unverstellten Zusammenhang zwischen Kunst und dem sozialen und individuellen Raum herzustellen. Nach ihr muss man die Kunst verlassen, um sie wieder zu entdecken.
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