Installationen als innerer Widerspruch

Von Carsten Probst · 16.11.2011
Der Objektkünstler Thomas Hirschhorn arbeitet, ebenso wie Schwitters es getan hat, gerne mit Collagen. Für Hannover hat Hirschhorn jetzt zwei neue Arbeiten entwickelt: Die Installation zeigt das Sprengel Museum anlässlich der Preisverleihung.
Den Titel "Untere Kontrolle" könnte man eigentlich nur ironisch verstehen, so schief, wie er klingt, wie eine freimütige Übersetzung des Englischen "Under Control" in memoriam Heinrich Lübke. Und so ähnlich irrlichternd dachte sich Thomas Hirschhorn das vielleicht sogar, wie die Aufforderung zum produktiven Missverstehen: Unter Kontrolle sein, aber auch irgendwie unterhalb der Schwelle, wo Kontrollmechanismen vielleicht erst greifen?

Aber auch vielleicht Teil einer Bewegung, einer Revolte, die von unten kommt und langsam die Kontrolle übernimmt? Große Spruchbänder ziehen sich quer durch den Teil des Foyers, wo Hirschhorn seine wie immer über alle Ufer tretende Installation platziert hat. Auf den Spruchbändern steht: "Wir sind die Barbaren" oder "Meine Bank gibt mir kein Geld mehr". Allerdings hängen sie sehr hoch, unter der Decke, verdecken sich gegenseitig, und die Schrift steht auf dem Kopf. Und der Rest der Installation sieht insgesamt eher wenig nach Revolution aus.

"Wenn man am Boden ist, wenn man unten ist, wenn man einen neuen Blick sich schaffen muss oder erschaffen, dann braucht man gewisse Angelpunkte, an denen man sich orientieren kann. Und deshalb diese Schallplatten, die Teddybears, die Bücher, die Hefte - das sind Orientierungspunkte."

Erklärt Thomas Hirschhorn, der in seinen wuchernden Alltagsding-Kollagen dem Spiel mit den Bedeutungen seine ganze Kraft widmet. Ganz unten sein, Prekariat sein, aber auch irgendwie ganz oben, frei und abgebrannt. Nach Teilhabe verlangen, Gemeinschaft sein, aber kein Kommunist, sondern Konsument sein wollen.

Ja, diese post-utopische Form von Protest, dieser Fan-Protest, dieses Wutbürgertum, und dieses Friede, Freude, Eierkuchen, wie eines der frühesten Love-Parade-Motti lautete. Riesige Banner von Twitter, Facebook und LinkedIn hängen an den Wänden, die Ikonen sozialer Aufstände von Nordafrika bis zu den Facebook-Parties in deutschen Einkaufszentren, dazu Vinyl-Schallplatten, Wattewolken, verpackte Möbel, Bierflaschen und so weiter: und umgelegte Amphoren, die Hirschhorn in Duisburg, auf dem Gelände der so blutig verlaufenen Love-Parade vom letzten Jahr gefunden hat, als Gedenkzeichen.

"Ich habe immer gesagt auch, dass ich kein politischer Künstler bin und keine politische Kunst mache. Tatsächlich will ich im Form- und Kraftfeld von Liebe, Philosophie, Ästhetik und Politik arbeiten. Warum auch im Formfeld von Politik? Gerade auch, weil es eine Schattenseite hat, zum Beispiel die, wo es um Macht geht und die, wo es um Position geht oder die, wo es um das geht, was nicht Wahrheit ist. Somit ist eben das Element Politik nur eines dieser vier Elemente und eben auch eines, das ganz klar, ich weiß es, zu Missverständnissen führen kann, zu Falschinterpretationen."

Liebe, Philosophie, Ästhetik, Politik, die vier Hirschhornschen Kunstelemente und ihre Schattenseiten, ihre Ambivalenz - jede seiner Installationen lässt sich als innerer Widerspruch dieser Elemente lesen. Liebe, als positive Kraft, aber auch als destruktive, die in Gewalt umschlägt oder Depression, wenn sie verletzt wird; Philosophie, die Weltmodelle vorstellt und zugleich immer wieder Pate steht für totalitäre Systeme; Ästhetik als Schönheit und Weltflucht; Politik als Ordnung und Machtkalkül, das keine Rücksicht auf Opfer nimmt. In seiner Installation für den Schweizer Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig formulierte Hirschhorn eine Art Manifest, in dem er eine Zugänglichkeit der Kunst für jeden forderte, eine Kunst, die aus der Unbegreiflichkeit der Realität, ihren Alltagsdingen ihre Kraft nehme. Nicht-Exklusive Kunst inklusive:

"Darin sind alle eingeschlossen. Da ist eben auch der Kunstmarkt eingeschlossen - aber nie darf ich als Künstler für die oder einen von denen arbeiten. Sie sind dann eingeschlossen in dem Nicht-Exklusiven. Es geht darum um eine Schlagrichtung. Dann versuch ich durch meine Materialien, ich versuche durch die Gestaltung des Raumes, ich versuche das durch die verschiedenen Elemente, die auf eben Nicht-Kunst hinweisen, versuche ich dann, dieses Nicht-Exklusive Publikum zu erreichen."

Zwar erhält Hirschhorn in Hannover nun eigentlich den Kurt-Schwitters-Preis, was eine der kohärentesten Jury-Entscheidungen der letzten Jahre ist, denn das kollagenhafte Arbeiten mit Alltagsdingen ist nun einmal gerade auch im Werk des Ur- und Oberdadaisten Schwitters angelegt.

Doch viel mehr noch arbeitet Hirschhorn sich anscheinend an Beuys' erweitertem Kunstbegriff ab: Dass Kunst wirklich Neues schaffen muss, dass sie dem Prinzip sozialer Plastik entsprechen und dass sie zugänglich sein soll, dass jeder eigentlich potenziell ein Künstler ist. Besessen von der Frage, ob auf diesem Gebiet nach Beuys überhaupt noch etwas Neues kommen kann, treibt Hirschhorn sein Werk dem perfekten Chaos entgegen. Den Versuch ist es wert. Und den Beuys-Preis hat Hirschhorn auch schon einmal bekommen.

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