Insektenforschung

Der Sound der Ameisen

Blattschneiderameisen im Zoo von Frankfurt am Main
Blattschneiderameisen am 14.02.2014 im Zoo von Frankfurt am Main (Hessen). © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Axel Schröder · 01.04.2015
Ameisen faszinieren die Wissenschaft. Die Insekten können nicht nur ein Vielfaches ihres Körpergewichts tragen, sie unterhalten sich auch – irgendwie. In Hamburg hören Forscher im Rahmen des EU-Projekts "ANT 1" genau hin beim Ameisen-Small-Talk.
Das Büro des Lärmforschers Professor Friedrich Ueberle ist ein stiller Ort. Dünne und dicke Akten türmen sich rechts und links auf dem übergroßen Schreibtisch. Auf dem Computer-Monitor endlose Zahlenreihen, Messkurven. Ueberle, kurze, krause, weiße Haare, Vollbart, forscht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Bergedorf. Kennt sich aus mit dem Schall und, fast genauso wichtig, mit der Stille. Seit fünf Jahren forscht er am EU-Projekt "ANT 1", interdisziplinär, mit Kollegen aus Oxford, von den Universitäten Gent und Zürich.
ANT` steht für ´Ants Narrative Translation`. Eine verrückte Sache. So wie das mit Grundlagenforschung ja öfter so ist. Das Ziel: das nicht Hörbare hörbar machen. In diesem Fall eben die Laute von Ameisen. Es ist wie in der Disko: wenn sie ihr Gegenüber verstehen wollen, müssen sie die Musik leiser drehen. Und wenn wir Ameisen beim Smalltalk zuhören wollen, müssen wir eben alle Hintergrundgeräusche abschalten."
Der Professor nickt rüber zu dem riesigen Würfel, der die Hälfte des Raums einnimmt. Im Würfel herrscht die absolute Stille. Drei Stahlstufen führen hoch zu einer dicken, schweren Tür.
"Das ist ein schalltoter Raum. Komplett isoliert vom Rest der Welt. Und da wohnen seit drei Jahren unsere Freunde. Ungefähr 5.000 Ameisen krabbeln hier rum. Camponotus herculeanus. Die größten, die wir unkompliziert und auf die Schnelle finden konnten."
Ein fleißiges Ameisenvolk
Friedrich Ueberle schließt die schwere Schallschutztür. Mitten im Raum steht ein hoher Plexiglaskegel. Mit armdicken Ästen, dem Zuhause von 5.000 Riesen-Ameisen. Reges Treiben auf festgelegten Routen. Ein fleißiges Ameisenvolk. Ringsum, an den Wänden, der Decke, ragen graue Schaumstoffspitzen in den Raum hinein, saugen jedes noch so leise Geräusch weg. Eine fast bedrohliche Stille:
"Hier habe ich zum ersten Mal meinen Herzschlag gehört, das Blut gehört, wie es durch mein Innenohr rauscht. Und ja: die Ameisen können wir deshalb noch lange nicht hören, das stimmt. Da braucht es schon ein bisschen mehr. Kommen sie."
Der Professor führt mich hinter die Ameisenbehausung aus Plexiglas, setzt sich auf einen dreibeinigen Hocker, drückt Knöpfe, dreht an Reglern. Dann schaut er durch sein Mikroskop. Eine Sonderanfertigung, gekoppelt mit einen Joystick:
"Wenn ich hier nach rechts drücke, verschiebt sich der Fokus auch nach rechts. Will ich wissen, was die drei da unten gerade besprechen, die drei irgendwie untätigen Ameisen, schwenke ich einfach dahin."
Ueberle drückt eine rote Taste, nimmt Bild und Ton von drei schwarz-glänzenden Riesen-Ameisen auf. Die sich kurz darauf in Bewegung setzen, jede in eine andere Richtung, jede zu ihrer Arbeit. – Zurück aus dem schalltoten Raum, am Schreibtisch lässt Friedrich Ueberle den Ameisenfilm vom Computer berechnen. Breites Lächeln, spielt er die Sequenz vor:
"So hört es sich an, wenn Ameisen Smalltalk halten. Nur was da geredet wird, also ob das Ganze irgendeine Bedeutung hat, müssen sie meine Kollegen aus dem Projekt fragen. Fragen sie mal bei Thomas Behring. Der kennt sich aus damit!"
Vor den Toren Berlins
Thomas Behring arbeitet am FBFN, am Forschungsinstitut für die Biologie von forstwirtschaftlichen Nutztieren. Weit draußen vor den Toren Berlins, in Michendorf, am Waldrand erforscht der Zoolinguist und Verhaltensforscher die Sprache der Bewohner des deutschen Waldes:
"Also, das sich Hirsche, Rehe und Keiler mit ihren Rufen oder Grunzen miteinander verständigen, wissen wir ja schon lange. Aber ehrlich gesagt: dass Ameisen eine ähnliche Sprache haben, hatte ich nicht erwartet. Darum war ich hellauf begeistert, als ich von ´ANT 1` gehört hab. Und die ersten Auswertungen meines Teams, wir sind vier Forscher aus drei verschiedenen Ländern, mit den Ergebnissen hat wirklich keiner von uns gerechnet. Ich hab das hier vorbereitet, Moment. Hören sie sich das an:"
Thomas Behring startet mit einem Mausklick die Aufnahme aus Professor Ueberles schalltoten Raum.
"Das sind die Knacklaute von Riesen-Ameisen. Eine Arbeiterin stimmt sich mit zwei Artgenossen ab. Die Knacklaute allein reichen dafür zwar nicht. Aber ohne die Laute würden die Zeichen mit ihren Antenne, den Fühlern keinen Sinn ergeben. Wir haben die Videos hundert Mal analysiert, jede Bewegung in Zeitlupe. Ziemlich ermüdend. Aber dann haben wir gesehen, dass – hier, jetzt sehen sie es: die Ameise hebt ihre Antennen, kreuzt sie einmal, zweimal, dreimal. Gleichzeitig erzeugen diese winzigen Schnapptaschen an ihren Hinterbeinen diese Laute. Übersetzt heißt das: ich habe Hunger! Und im nächsten Moment würgen ihre beiden Artgenossen ihr einen Teil ihres Essens vor die Füße. Ziemlich sozial eigentlich."
In Zeitlupe teilen die Ameisen ihr Essen
Auf Behrings Monitor ist die Szene in 1.000-facher Vergrößerung zu sehen. In Zeitlupe teilen die Ameisen ihr Essen, wackeln mit ihren schwarzen Antennen, krabbeln davon. Ganz besonders angetan ist der Forscher von der Roten Waldameise. Einer besonders temperamentvollen Art:
"Die gehen richtig durch die Decke, wenn sie Streit haben. – Warten sie. Hier. Da sind die Riesen-Ameisen von eben doch wirklich harmlos dagegen. Die Töne liegen in einem ganz anderen Frequenzbereich, normalerweise gar nicht wahrnehmbar für unsere Ohren. Ein Streit unter zwei Arbeiterinnen. Und hier, die Fühler: werden wild herumgewedelt. Jetzt schubsen sie sich. Es geht um die Larven. In Sicherheit bringen oder auffressen? Da geht es oft drum."
Die Rote Waldameise kann aber auch anders, erklärt Thomas Behring. Er zeigt eine letzte Aufnahme, unscharf, verrauscht. Rötlich schimmernde Ameisen in der Dunkelheit.
"Diese Szene spielt nach Feierabend. 22.00 Uhr. Im Inneren des Ameisenbaus. Die Körpertemperatur ist gesunken, alle sind entspannt. Kein bisschen Raufereien mehr. Wir haben das mit Infrarot aufgenommen. Die Färbung der Chitin-Panzer ist nur noch blass-rot. Abends melken die Ameisen ja regelmäßig ihre Nachbarn, die Blattläuse. Saugen den so genannten Honigtau ab. – Und was die Laute angeht: es geht nicht mehr um Kommandos, nicht um die die Arbeit. Es geht um private Geschichten, ein bisschen so wie bei uns, bei Menschen."
Was genau Thema bei Ameisen vor und nach Feierabend ist, kann Thomans Behring nicht sagen. Noch nicht. Nächstes Jahr beginnt das Folgeprojekt, "ANT 2".
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