Inkonsequente Inklusion

Von Jörn Haarmann · 30.07.2013
Behinderte Menschen sind benachteiligt, wenn es ums Geldverdienen und Sparen geht. Wollen sie ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften, werden Einkommen und staatliche Sozialleistungen verrechnet. Der schwerstbehinderte Jurastudent Constantin Grosch aus Bielefeld will das ändern.
"Wir fordern, dass der Staat uns genauso behandelt, wie alle anderen Menschen auch. Indem er zulässt, dass wir Einkommen und Vermögen haben dürfen - wie alle anderen Menschen auch."

Constantin Grosch hat ein großes Ziel: Die bestehende Sozialgesetzgebung zu ändern - für behinderte Menschen wie ihn.

Eine Muskelkrankheit lässt die Kräfte des 20-jährigen Jurastudenten schwinden. Er sitzt im Rollstuhl und braucht von früh bis spät Hilfe einer Begleitperson. Rund 8000 Euro kostet das monatlich, bisher voll finanziert vom Sozialamt seines Landkreises. Verdient der junge Mann später aber eigenes Geld, muss er selbst bezahlen. Dann dürfte er nur 1600 Euro monatlich vom Einkommen behalten und insgesamt nur 2600 Euro Vermögen haben. Denn alles darüber hinaus zöge der Staat ein, um die notwendige Begleitung zu bezahlen.

Constantin Grosch: "Das heißt, letztlich wird man um seinen ganz normalen Arbeitslohn beraubt. Also, wenn ich später mal Richter oder Anwalt bin, habe ich nichts das Gleiche aus meiner Tätigkeit wie ein Kollege, der genauso arbeitet wie ich. Wenn man jetzt auf ein Haus sparen möchte, fürs Alter etwas weg legen möchte, für einen Urlaub oder was auch immer, kann man keine Ansparungen tätigen, weil das Geld wird einem abgezogen."

Einerseits sollen also Schwerstbehinderte arbeiten gehen dürfen, andererseits dürfen sie einen Großteil des erarbeiteten Vermögens nicht besitzen. Für die Alternative, in einer betreuten Einrichtung zu leben und in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten, würde der Staat vollends aufkommen.

Bis zu 200.0000 Menschen sind betroffen
Die Inklusion ist für Grosch deshalb nicht zu Ende gedacht:

"Warum gibt der Staat viel Geld aus beispielsweise für schulische Inklusion, wenn er am Ende den Menschen ins Gesicht sagt: Es ist völlig egal, was für einen Schulabschluss du machst! Was für eine Ausbildung du machst, ob du dich bemühst um einen Job. Es bringt dir finanziell hinterher gar nichts."

Deshalb hat der Student inzwischen eine Petition an die Bundesregierung initiiert. Darin wird gefordert, dass Behinderte eigenes Geld verdienen dürfen, und ihnen lebenswichtige Hilfen weiterhin bezahlt werden sollen, ohne dass ihr Vermögen beschnitten wird. Bislang haben mehr als 50.000 Menschen die Petition unterschrieben, Behinderte wie Nichtbehinderte. Von der Thematik betroffen sind schätzungsweise bis zu 200.000 Menschen.

Constantin Grosch: "Eine Petition ist natürlich der beste Weg, um eine Aufmerksamkeit zu erreichen. Ich bin da schon sehr zuversichtlich, zumal man die UN-Behindertenrechtskonvention, die wir in Deutschland unterschrieben haben, eigentlich umsetzen muss, und die schreibt das vor. Also, da könnte es durchaus sein, dass die jetzige Rechtslage sogar verfassungswidrig ist. Und wäre ich nicht so optimistisch, dann würde ich mich da auch nicht so reinhängen."

Mehr zum Thema bei dradio.de:

Interview als MP3-Audio Warum Arbeit sich auch für Menschen mit Behinderung lohnen muss - Interview mit Carl-Wilhelm Rößler, Anwalt und Mitglied im Forum behinderter Juristinnen und Juristen, (DKultur, Thema, MP3-Audio)
Mehr zum Thema