Inklusion in der Kirche

Zu Wort kommen

Von Burkhard Schäfers · 18.01.2014
Das Erzbistum München und Freising hat geistig Behinderte dazu ausgebildet, in Messen das Wort Gottes zu verkünden – als Lektoren. Eine frohe und ganz unspektakuläre Botschaft, die für viele Gläubige aber noch nicht selbstverständlich ist.
Es ist ein früher Sonntagabend in der Marktkirche von Grafing, einer kleinen Stadt im oberbayerischen Alpenvorland. Weißgetünchte Wände, farbige Deckenfresken, reich verzierte Heiligenfiguren und Putten. Vorn am Barockaltar leuchten die Kerzen. Die Kolpingfamilie, ein katholischer Verband, hat zum Abendlob eingeladen – und gerade tritt Lektorin Monika Pichlmaier an den Ambo:
Die 42-Jährige liest einen Text aus dem neuen Testament vor. Die Lesung liegt allein in ihrer Verantwortung, auch wenn sie im Alltag nicht immer ohne fremde Hilfe zu Recht kommt. Denn Monika Pichlmaier ist geistig behindert, sie lebt in einer betreuten Wohngruppe in Grafing.
Nach der Lesung geht Monika Pichlmaier zurück an ihren Platz, später im Gottesdienst übernimmt sie auch noch eine Fürbitte.
"Ich hab halt das ausgewählt Lektorin, zu werden, weil mir einfach das Lesen Spaß macht und ich auch noch ein bissl mehr dazu lernen wollt."
Die 42-Jährige und ein knappes Dutzend weiterer Menschen mit geistiger Behinderung haben einen Lektorenkurs des Erzbistums München und Freising besucht. Seither beteiligen sie sich in ihren Gemeinden aktiv an den Gottesdiensten. Im Vorbereitungskurs ging es ums laute Sprechen und die richtige Atmung, darum, wie die Liturgie abläuft. Außerdem bekamen die Teilnehmer Tipps, wie sie mit ihrer Nervosität umgehen können. Monika Pichlmaier hat dabei einiges gelernt, sagt sie:
"Ja, überhaupt das Lesen, das laut Lesen. Es ist einfach, ja, es macht sehr Spaß. Ich fand’s aufregend, ja."
Lesen ist ihr größtes Hobby
Überhaupt ist Lesen ihr größtes Hobby, zu Hause ist sie manchmal kaum von ihren Büchern wegzukriegen. Und weil Pichlmaier auch bei der Kolpingfamilie in Grafing engagiert ist, hat sie das Abendlob mit vorbereitet, zusammen mit anderen aus der Wohngruppe geistig Behinderter. Andrea Schütze vom Leitungsteam der Kolpingfamilie hat die Gruppe begleitet:
"Den Leuten macht’s unglaublich Spaß, ich hab' das Gefühl, sie machen es mit Herzblut. Sie bereiten sich vor, damit das möglichst gut klappt. Und auch sich zusammenzusetzen, das Ganze vorzubereiten, Ideen zu haben: Welches Thema wollen wir machen, welche Aktionen wollen wir machen? Auf die einzelnen Charaktere dann einfach auch eingehen: Jeder kann was. Der eine liest, der andere kann lieber was vorzeigen. Also es macht einfach Spaß, sich darauf einzulassen."
In den Tagen vor dem Gottesdienst heißt es viel üben: Monika Pichlmaier liest die Texte allein und mit den Betreuern. Aber natürlich ist die Situation in der Kirche eine andere als zu Hause. Schon eine halbe Stunde, bevor es losgeht, stehen die Beteiligten im kalten Kirchenraum und gehen alle Abläufe noch einmal genau durch, damit niemand seinen Auftritt verpasst. Später, bei den Fürbitten, gibt es dann doch ein kleines Durcheinander: Das Abendlob stockt einen Moment, weil nicht mehr alle wissen, was genau ihre Aufgabe ist. Andrea Schütze gibt den Lektoren ein Zeichen aufzustehen und zeigt ihnen die richtige Stelle auf dem Textblatt.
"Man muss schon darauf schauen, dass sie einen klaren Fahrplan machen, wann wer wo hinläuft, oder auch nicht. Aber dann funktioniert es eigentlich ganz gut. Und ich denke, man muss sich einfach darauf einstellen, dass mal was nicht so hundertprozentig klappt. Und das ist ja auch nicht weiter schlimm, finde ich."
"A bissl eine Belastung"
Circa 50 Gläubige sind zum Gottesdienst gekommen, die Bänke in der kleinen Marktkirche sind fast alle besetzt. Anschließend stehen die Besucher noch in Gruppen zusammen, unterhalten sich.
"Wir finden das wunderbar, dass die Behinderten dieses Abendlob machen. Wir sollten überhaupt umdenken und die von Anfang an mit beteiligen. Ich find‘ schon, wenn’s hin und wieder teilnehmen dürfen. Ich mein, für immer wär’s schon a bissl eine Belastung. // I find des guat, wenn auch die Behinderten amol zu Wort kimmen. I hob sowas bisher noch nie gehört und gesehn."
Menschen mit geistiger Behinderung als Lektoren – ein ungewohntes Bild in der Kirche. Noch. Denn in der Erzdiözese München und Freising haben sie jetzt sogar offizielle Beauftragungsurkunden bekommen, sagt der Grafinger Pfarrer Hermann Schlicker:
"Die gehören zu uns, ganz einfach. Also das wird nur positiv betrachtet und angenommen. Ich seh da kein Problem. Weil, wenn sie gut lesen und auch verstehen, was sie vorlesen, wenn sie da eine Beziehung dazu haben, dann kann jeder Mensch das tun."
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