Inklusion im Sport

Behinderte in Bewegung

Kinder mit und ohne Behinderung
Behindertensport als eigene Disziplin? Nein, für einige Vereine ist das gemeinsame Training selbstverständlich. © picture alliance / dpa
Von Hanns Ostermann · 15.03.2015
Sie sitzen im Rollstuhl, haben das Downsyndrom oder leiden an Epilepsie: Die Liste körperlicher und geistiger Handicaps ist lang. Doch Sport kann das Selbstbewusstsein wecken, natürlich auch bei Behinderten, und das Vertrauen in den eigenen Körper stärken.
Zu Besuch beim Spandauer BRC Hevella, einem kleinen Ruderverein im Norden Berlins. 90 Mitglieder hat der Club, neun mit geistigen Handicaps.
Das Vereinsheim liegt im Spandauer Ortsteil Tiefenwerder an einem Stichkanal. Vom Steg aus sind es nur wenige hundert Meter zur Havel. Gegenüber liegen Fabrikgebäude.
"Wenn ich im Büro erzähle, wir haben Rudern mit Behinderten zusammen, dann kann man sich das in meinem Büro gar nicht vorstellen, dass das alles so reibungslos klappt."
Sabine Schwitter ist schon seit vielen Jahren aktiv im Verein. Und auch Sonja Friese, die heute mit einigen Älteren zusammen rudert, gefällt es hier:
"Ich habe zum Teil gar nicht das Gefühl, dass ich mit Behinderten zusammen rudere. Viele Sachen können sie sogar besser als ich. Und so sportlich wie sie sind, hauen die mich weg. Sie sind einmal körperlich fitter als ich. Das liegt aber auch daran, dass sie mehr trainieren."
Rudersport ist komplex - auch ohne Handicap
Wie Clara zum Beispiel, eine 31-jährige junge Frau, die leidenschaftlich gern rudert.
An diesem Nachmittag arbeitet sie vor allem auf dem Ruderergometer. Dabei soll eine bestimmte Strecke möglichst schnell zurückgelegt werden. Clara hat keine Probleme, früher als ihr Trainingspartner Joachim das Ziel zu erreichen. Sie rudert schon lange, hat Erfahrung:
"Stellen Sie sich 'mal vor, Sie müssten jetzt zwei Mal 1000 Meter fahren. Da muss man sich die Kraft anders einteilen als auf der kurzen Strecke. Da kann man nicht so durchpeesen, wie wir es jetzt hier getan haben. Man kann einbrechen. Mit der richtigen Technik stimmt das alles. Und das muss gelernt werden."
Bunte Zettel mit persönlichen Aufschriften kleben auf dem Pariser Platz in Berlin an der Wand eines Informationsstandes am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.
"Von einer Gesellschaft der Ausgrenzung zur Annäherung" - dabei hilft auch der gemeinsame Sport.© picture alliance / dpa
Clara kommt regelmäßig in den Verein und ist mit Feuereifer dabei. Spaß macht ihr aber auch die Arbeit in einer Schmuckschmiede des LWerks Berlin-Brandenburg, einem sozialen Dienstleistungsunter- nehmen:
"Silberschmuck herstellen, gießen, walzen, schmieden, alles, was dazu gehört. Auch kleine Arbeiten mit Gold, Kupfer ist natürlich auch dabei, aber Gold ist natürlich was ganz Besonderes, muss auch immer darauf geachtet werden, dass es aufgefangen wird. Das wichtigste an meiner Arbeit ist, immer zu gucken, dass, wenn ich mit Feinmetallen arbeite, dass es immer schön sauber ist, weil sonst Material vermischt wird. Das ist dann fürs Einschicken nicht so gut."
Während Clara munter drauflos erzählt, ist Joachim zurückhaltender. Er kommt erst seit einigen Wochen zum BRC Hevella:
"Zum Fußball konnte ich nicht, zum Handball auch nicht. Ich wollte eigentlich zum Volleyball, da haben sie kein Angebot für mich gehabt. Dann musste ich zum Rudern."
So schlug es jedenfalls ein Betreuer vor und die Rechnung scheint aufgegangen zu sein:
"Ich habe schon eine Menge gelernt. Die richtige Technik außer auf dem Wasser und die richtige Technik hier."
Und was noch viel wichtiger ist, findet Clara ebenso wie ihre Trainerin: Die Gruppe hat ihn gut aufgenommen. Monika Tampe sei Dank. Ohne sie läuft in der Handicap-Abteilung des BRC Hevella nichts. Die 64-jährige frühere Buchhalterin hat selbst eine geistig behinderte Tochter, erzählt sie. Es macht ihr Spaß, wenn Menschen mit und ohne Handicaps gemeinsam Sport treiben. Das Rudern sieht sie dabei durchaus als eine komplexe Sportart:
"... und die versteht auch manch nicht Behinderter nicht gleich am Anfang. Weil, es kommt vom Kopf her. Aber bei geistig Behinderten ist das so, wenn man dem das von Anfang an genau und ganz akribisch beibringt, dann speichert sich das bei denen oben im Gehirn ab und dieser Bewegungsablauf wird dann auch vollzogen. Manchmal besser als bei Nicht-Behinderten, weil die manchmal dann doch denken, sie können es – und können es dann doch nicht. Aber die geistig Behinderten, die sehen ihren eigenen Erfolg und versuchen alles so gut zu machen, wie sie können. Und das ist eigentlich viel schöner."
"Wichtig ist, dass man sagt, eins, zwei und drei. Ein Zeitteil nach hinten ziehen...Die Kraft kommt aus den Beinen..."
Im Sozialverhalten sogar überlegen
Ein ums andere Mal wiederholt Monika Tampe die Hinweise für ihre Schützlinge. Der Bewegungsablauf auch auf dem Ruder-Ergometer muss stimmen:
"Man muss den Bewegungsablauf so können, dass man keine gesundheitlichen Schäden davon trägt. Also dass man die Handgelenke gerade hält, dass man den Rücken durchstreckt, dass man Bauch- und Rückenmuskulatur spannt und sich nicht wie ein nasser Sack ins Boot setzt und meint, nun kann ich rudern."
Nicht jeder ist für das Rudern geeignet, erzählt Monika Tampe. Bestimmte Voraussetzungen müssen erfüllt werden:
"Die müssen ja auch regelmäßig kommen. Die müssen auch zu diesem Sport, der ja sehr zeitaufwändig ist, stehen. Es ist hier nicht nur mit einer Stunde getan, sondern zwei sind es mindestens, manchmal drei. Und am Wochenende, wenn wir Wanderfahrten machen, kann sein, dass es einen ganzen Tag dauert."
Bernd Hinzelmann kennt die Probleme. Seit rund 40 Jahren rudert er mittlerweile, engagierte sich dabei auch im Vorstand des Vereins.
"Was schwierig ist, ist der Anfang. Das Rudern lernen ist für die Handicaps wirklich schwieriger. Und da muss ich die Arbeit von Monika Tampe loben, die hat damit sehr viel Geduld und hat die behinderten Sportler dazu gebracht, dass sie wirklich so gut rudern konnten, dass sie mit uns in ein Boot steigen können. Das macht wirklich Arbeit und. Dann klappt es wirklich gut. Und dann sind die behinderten Sportler in ihrem Sozialverhalten z.T. den anderen auch überlegen. Jedenfalls für die Gemeinschaft. Denn wo sich die anderen mal drücken, sind sie hilfsbereiter. Und das macht Spaß."
Nicht nur das soziale Miteinander bringt etwas, meint der 55-Jährige. In bestimmten Situationen könnte es sogar ein finanzieller Vorteil, sein, Menschen mit Handicaps im Verein zu haben:
"Also gerade bei kleineren Vereinen ist das Geld immer knapp. Aber ich muss sagen aus meiner Vorstandsarbeit kenne ich Situationen, wo uns die Handicap-Abteilung wirklich geholfen hat, Gelder zu bekommen. Zum Beispiel für Ruderergometer, bei Zuschüssen für ein neues Boot und ähnliches. Also finanziell war das, muss ich sagen, kein Nachteil."
Trotzdem: Das Geld reicht selten. Der private Pachtvertrag für Haus und Gelände muss bezahlt werden. Dann ist ein Teil der Mitgliedsbeiträge an Behindertensport- und Ruderverband abzuführen. Eine Entlastung des angespannten Haushalts bringen nur Spenden, die hin und wieder gesammelt werden. Unter dem Strich: Ohne ein hohes persönliches Engagement läuft im Verein wenig. Zugleich weiß Monika Tampe, die Übungsleiterin, aber auch sehr genau, was ihr die Arbeit bringt:
"Na ja, diese Freude, mit den Sportlern zusammenzuarbeiten, dieses Feedback, was man da bekommt. Die sind eben sehr dankbar. und ich habe auch gemerkt, dass die soziale Entwicklung der Behinderten, die Persönlichkeitsentwicklung große Fortschritte gemacht hat. Wenn man das so sieht, wie die sich entwickeln, das gibt mir auch Kraft irgendwie."
"Meine Freunde sind das, wie meine Familie."
Eines von vielen Beispielen dafür liefert Dennis. Dem 20-Jährigen macht es Spaß, sich zu bewegen, Rad zu fahren, zu joggen. Und seit sechs Jahren geht er auch regelmäßig zum Rudern. Da es draußen noch zu kalt ist, wird wieder auf dem Ergometer trainiert. Dennis weiß, worauf es ankommt:
"Dass ich nicht so schnell fahre ... einfach locker zehn Minuten einfahren. Dass macht mir auch Spaß, draußen zu rudern."
Dennis ist heute ohne seinen Bruder Tom zum BRC Hevella gekommen. Dafür ist sein Vater, Carsten Amschler, mit dabei.
"Das ist wie eine Familie für die hier, sie fühlen sich dazu gehörig und das ist ein Mittelpunkt in ihrem Leben. Das ist das ein und alles für sie nach Familie und Zuhause, der Verein ist schon sehr wichtig."
Dabei liefert der Vater eine sehr einfache Erklärung für die sportliche Begeisterung seiner beiden geistig behinderten Söhne:
"Weil sie wahrscheinlich da in dem Bereich mithalten können. Also sie können mit anderen zusammen Fahrrad fahren, ob die geistig behindert sind oder nicht. Sie sehen wahrscheinlich, dass sie hier mehr erreichen können als in der Schule mit Mathe oder Rechnen oder Schreiben."
Die Geschäftsstelle des Magdeburger Vereins für Sporttherapie und Behindertensport 1980 liegt an der Großen Diesdorfer Straße. Davor befinden sich eine Schwimmhalle und ein Fußballfeld.
Der Behindertensportler Jens Sauerbier sitzt in Magdeburg an der Elbe in seinem Handbike.
Einige Behindertensportler - so wie Jens Sauerbier aus Magdeburg - sind wegen eines Unfalls auf den Rollstuhl angewiesen. Ihre Sportbegeisterung hilft ihnen.© picture alliance / dpa
Sechs Frauen und Männer nutzen an diesem Tag das Fitnessstudio. Es liegt in der 1. Etage des ockerfarbigen Vereinsheims. Bei Musik wird an den einzelnen Geräten trainiert.
"Also Sport ist für mich schon sehr wichtig. Damit der Körper auch gesund bleibt und auch stark. Ich hatte schon mal was mit dem Knie gehabt und deshalb mache ich auch Sport."
"Weil es angeboten wurde, dass man einmal in der Woche Sport machen kann und das habe ich gerne angenommen."
"Aber nebenbei bin ich auch viel spazieren gegangen."
"Was er gerade gesagt hat: Ich bin auch ganz schön schlank. Und arbeiten gehe ich auch noch."
"Das Gleiche wie die Jungs. Ich bin auch schon lange hier dabei. Es macht Spaß zu erzählen. Meine Freunde sind das, wie meine Familie."
Sebastian von Tycowicz leitet diese Gruppe, ein studierter Heilpraktiker. Er ist einer von insgesamt rund 30 Mitarbeitern: 11 Festangestellte und 20 Übungsleiter betreuen die etwa 2.300 Mitglieder.
"Die ganz besondere Herausforderung ist eigentlich interessanterweise die Ehrlichkeit, die Direktheit. Da man selbst im Alltag viele Fassaden hat, viele Rollen spielt, das greift dort alles nicht. Dort wird offen jederzeit gesagt, was man mag, was man nicht mag, wie man jemanden findet, was man gerade möchte und was nicht, das ist eigentlich die ehrlichere Art und Weise. Aber mit dieser Direktheit muss man erst mal klar kommen."
Tischtennis für Epileptiker - eine Herausforderung
Sebastian von Tycowicz kommt ganz offensichtlich damit klar, mehr noch: Das Training scheint ihm Spaß zu machen. Immer wieder redet er mit dem einen oder anderen, gibt Hinweise, wenn eine Bewegung beim Krafttraining falsch ausgeführt wird.
"Also im Endeffekt ist es ein identisches Angebot wie vielleicht auch im Fitnessstudio. Aber die Erfahrung hier aus der Werkstatt ist einfach, dass sie dort anders behandelt werden. Sie sehen vielleicht etwas anders aus, sie benehmen sich vielleicht etwas anders, sie agieren etwas unvorhersehbarer oder ungewohnter. Und schon sind da Distanzen da, die Unwohlsein verursachen – vor allem bei unseren Sportlern. Also die Gruppen wurden extra dafür geschaffen, dass die Leute aus den Werkstätten und den Wohneinrichtungen das nutzen können, auch die Muskeln trainieren können."
Rund 100 der 2300 Mitglieder hätten geistige Handicaps, erzählt der Geschäftsführer des Vereins, Jörg Möbius. Wobei die Angebote allen offen stehen:
"Wir haben im Bereich Bewegungsspiele, da wo Motivation eine große Rolle spielt, haben wir sehr viele Gruppen. Bei den kleinen Kindern ist es so, dass allgemeine Bewegungsförderung da an erster Stelle steht, und es ist völlig egal, ob da ein Kind eine Behinderung hat oder keine, weil Kinder das auch so nicht wahrnehmen, sondern da viel unbefangener als Erwachsene damit umgehen. Wir haben Schwimmangebote, Wassergymnastik, wir haben Muskelaufbautraining. D.h., die Erwachsenen, die in den Werkstätten arbeiten und einseitige Belastungen haben, die können nach ihrer Arbeit zu uns kommen und sich hier richtig schön an Geräten auspowern."
"Die entscheidenden Leitgedanken sind hier, die Lebensqualität aufzufangen, zu verbessern, zu fördern. Wir benutzen nur das Mittel der Bewegung, um für die Lebensqualität... da zur Seite zu stehen und dafür Raum zu bieten. Und eben auch Anleitung, wenn man das wünscht, ja."
Die Schlussfeier der Paralympics in Sotschi
Abseits des Spektakels der Paralympics - wie auf dem Foto in Sotschi 2014 - hat Behindertensport einiges zu bieten.© picture alliance / dpa
Der Magdeburger Verein zählt zu sportlichen Aushängeschildern der Landeshauptstadt. Reibungslos liefe die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen oder der Stadt vor allem beim Down-Festival, erzählt Geschäftsführer Jörg Möbius. Seit ein großer Sponsor abgesprungen ist, fehle zwar Geld. Dafür seien aber alle Beteiligten näher zusammengerückt. Und wo besteht der größte Handlungsbedarf?
"Wir müssen uns vom Gebäude her noch etwas verbessern. Da wünsche ich mir, dass wir in Zusammenarbeit mit der Stadt einen Anbau bewerkstelligen können, wo Umkleidemöglichkeiten für Menschen mit Gehbehinderungen da quasi entstehen sollen. Da hoffe ich, dass wir als Verein uns weiter entwickeln können."
So umfangreich das Aufgabengebiet des Geschäftsführers auch ist: Die Arbeit sorgt bei dem studierten Sportwissenschaftler aus verschiedenen Gründen für Genugtuung.
"Also mir persönlich bringt die Arbeit ganz viel. Ich habe sehr schöne Erlebnisse mit den Sportlern. Wir haben immer auch eine Rückmeldung, d.h. wir bekommen sofort auch die Quittung dafür, was wir denn wirklich auch gemacht haben. Das ist nicht in vielen Berufen so, dass man eine Rückmeldung über das bekommt, und das macht auch den Reiz aus."
Das christliche Erholungsheim Reudnitz gehört zur Gemeinde Mohlsdorf – wenige Kilometer entfernt von Greiz, also im Osten Thüringens an der Grenze zu Sachsen. Einmal im Jahr veranstaltet hier die Mobile Behindertenhilfe der Stadtmission Chemnitz ihre Freizeit. In idyllischer Umgebung bestimmen sportliche Aktivitäten die fünf Tage.
An diesem Vormittag spielt eine Gruppe Tischtennis. Die Paarungen wurden ausgelost. Jürgen, ein schlanker Mann im Trainingsanzug, hat seine Partie gerade knapp mit 11:8 gewonnen.
"Das ist Sport, es muss nicht immer unbedingt Gewichtheben sein. Da muss man dafür trainieren, da muss man sich dafür bewegen, aber die Angabe, die ist wichtig. Wenn man weiß, wo der Gegenüber-Spieler nicht hinkommt, dann muss immer wieder hin spielen. Und dann klappt das."
Weiter Spektrum: Vom Tauchen bis zum Klettern
Jürgen leidet nach einem schweren Motorradunfall und einem doppelten Schädelbasisbruch unter epileptischen Anfällen. Medikamentös ist er inzwischen gut eingestellt und der Sport ist für ihn eine willkommene Abwechslung.
"Der Sport macht mich sehr, hebt mich an. Er beflügelt mich mitzumachen. Also wenn man Tischtennis sieht, es ist doch eigentlich ganz
einfach, aber das ist es nicht. Den Ball muss man schon treffen."
Auch schwerstbehinderte Frauen und Männer im Rollstuhl sind mit dabei. Wer seine Arme oder Hände kaum bewegen oder steuern kann, wird von einem Helfer unterstützt. Der steht hinter ihm, hält die Hand und versucht, den Ball des Gegners zurückzuspielen. So sind alle im Einsatz, freut sich Katrin Wallasch. Sie ist seit 2008 bei der Mobilen Behindertenhilfe:
"Das Besondere ist, dass es eine gemischte Gruppe ist. Dass quasi geistig und körperlich Behinderte zusammen verreisen und über den
Sport auch zusammen finden. Das ist einfach ein schönes Erlebnis für alle Teilnehmer. Auch für die Helfer, die mitfahren."
Auch bei diesen 12. Mobilimpics steht dabei ein Ziel im Mittelpunkt. Ihm wird alles untergeordnet:
"Einfach, dass es Spass macht, dass auch Grenzen überwunden werden, dass die Behinderung im Hintergrund steht und nicht im Vordergrund. Und wir versuchen, jedem eine Teilnahme zu ermöglichen, egal, welches Handicap er hat."
Insofern spielt es auch keine Rolle, wenn ein schwer spastisch gelähmter Rolli-Fahrer kaum den Ball trifft:
"Das Schöne ist wirklich, die Erfolge von den anderen mitzubekommen. Weil er trotzdem aktiv an der Sache teilnimmt. Und auch spürt, dass er ein Teil des Ganzen ist, Teil des Spiels."
Und es wird viel gespielt – an diesen Tagen. Es ist ein vielseitiges Angebot, dass Kay Uhrig, der Leiter der Mobilen Behindertenhilfe, zusammen mit seinem Team auf die Beine gestellt hat:
"Wir versuchen, möglichst ein breites Spektrum an sportlichen Aktivitäten vorzustellen. Wir hatten vom Tauchen zum Klettern, heute hatten wir Tischtennis, elektronische Spiele ...alles mögliche, was wir den Leuten vorstellen, wo die Leute sich ausprobieren können und wo die Leute sagen können, das wäre vielleicht etwas für mich, wo ich in Zukunft vielleicht auch mal in den Sportverein gehen kann und mich dort integrieren kann oder wo ich vielleicht in Chemnitz mal Anschluss suche an eine Sportgruppe, das ist unsere Idee."
Hauptereignis sind die Mobilimpics
Der inzwischen verstorbene sächsische Sportpfarrer Ulrich Korbel entwickelte damals - vor zwölf Jahren – gemeinsam mit ihm die Idee für diese Mobilimpics.
"Wir haben einfach gesponnen, wie kriegt man diese klassischen Turnbeutelvergesser, Leute, die aufgrund ihrer Behinderung nie etwas mit Sport zu tun gehabt haben, zum Sport. Wie können wir sie für Sport begeistern und das war wirklich ein Experiment: Wir sind mit 25 oder vielleicht 30 Leuten hier das erste Mal hergefahren und wir haben gemerkt, das funktioniert. Das machen wir wieder. Dass jetzt das Dutzende voll ist, das hatte ich nicht erwartet. Das begeistert mich auch und ich muss auch sagen, es sind über 50 Leute da und wir haben immer noch eine Warteliste – es ist immer voll ausgebucht."
Dabei müssen die Behinderten immerhin 400 Euro für die Woche aufbringen. Die 15 Helfer stellen einen Teil des Urlaubs zur Verfügung und werden mit einem Tagessatz von der "Aktion Mensch" unterstützt. So vielfältig die Angebote im Einzelnen auch sind: Im Mittelpunkt steht immer ein Ereignis: die Mobilimpics.
"Das ist immer der absolute Höhepunkt und darauf freut sich hier jeder, der hier mit ist, das ist quasi der Höhepunkt überhaupt."
Erzählt Carsten, der seit Geburt querschnittsgelähmt ist:
"Es hat mit den normalen Olympischen Spielen nicht viel zu tun. Es wird ca. vier Stationen geben, wir werden vorher in Gruppen aufgeteilt, müssen uns einen Namen ausdenken für diese Gruppe."
"Bei diesen Mobilimpics zählt wirklich das Team. In diese Gesamt-
bewertung fällt meist noch ein Spiel ein, das wir uns ausdenken müssen als Team und das zählt als Gesamtsieg oder das entscheidet über Sieg und Niederlage."
Feierlich bereits das Eröffnungszeremoniell. Wie beim Einmarsch der Nationen zu Olympischen Spielen kommen die Teilnehmer in die Halle der Christlichen Ferienstätte Reudnitz. Auf einem Tisch liegen die blauen Trikots , die jeder später bekommt, und die Medaillen für die Plätze eins bis drei. Und dann folgt der obligatorische Eid:
"Ich gelobe, dass ich an den Mobilimpcs teilnehmen und die gültigen Regeln befolgen werde. Ich gelobe. Ich gelobe, dass ich die Anweisung der Kampfrichter akzeptieren werde, ich gelobe."
"Im Endeffekt zählt das Hier-Sein"
Erwartungsvoll schauen alle auf Kay Uhrig, der den Eid spricht. Danach werden die fünf Mannschaften mit jeweils neun Mitspielern ausgelost. Verschiedenste Aufgaben warten auf die Teams, wobei der Parcour diesmal an Märchen orientiert ist: Nach einem Quiz ist ein Puzzle zusammenzusetzen: Mannschaft fünf mit Carsten und Jürgen muss sich später einen Sketch zu Schneeweißchen und Rosenrot ausdenken. Andere haben den Froschkönig oder Aschenputtel als Aufgabe bekommen.
Sportliche Fähigkeiten sind später vor allem in der Turnhalle gefragt: In einem Parcours sind verschiedene Geschicklichkeitsaufgaben zu lösen: So schnell wie möglich sollen Rollstuhlfahrer einen Ball über eine Bank rollen, andere müssen sich auf dem Bauch liegend über die Bank ziehen. Anschließend ist ein Ball in ein Tor zu schießen oder mit dem Rollstuhl ins Tor zu bringen; eine gewisse Strecke muss wie beim Slalom zurückgelegt werden. Alle müssen auf die Strecke – auch die Helfer,deren Ehrgeiz manchmal nicht zu übersehen ist. Auch sie möchten am Ende gewinnen.
"Man hat es sehr schön gesehen: In der ersten Gruppe standen die behinderten Menschen noch mehr im Mittelpunkt als dieser unbedingte
Wille der Helfer zum Sieg. Und das war hier sehr schön zu beobachten, dass da der Ehrgeiz der Helfer geweckt wurde. Das ist etwas,
wo wir sagen, das macht sich dann auch wieder in dem Spiel bemerkbar, da sieht man dann, wie ist das, als Team zusammenzuwachsen."
Alle, ob behindert oder nicht behindert, sind mit Feuereifer dabei, um die verschiedenen Aufgaben zu lösen. Auf einer großen Wiese
beispielsweise sind versteckte Bänder zu finden, auch hier heißt es: Sich bewegen und zusammenzuarbeiten – jeder bringt dabei seine jeweiligen Fähigkeiten ein. So leidenschaftlich alle auch bei der Sache sind und sicher gewinnen wollen: Wichtig ist, überhaupt
dabei zu sein:
"Im Endeffekt zählt das Hier-Sein, sich mit den Leuten zusammen zu unterhalten und bei solchen Events als Team zu arbeiten."
Das klappte: Carstens Team freute sich am Ende über Platz 2 – die Silbermedaille.
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