Inklusion

Borstenvieh auf Freiersfüßen

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Die Schweinebande von Blaumeiers Maskenspecktakel © Alles muss raus / Caro Dirsch
Von Ludger Fittkau · 20.07.2014
"Alles muss Raus" ist ein internationales Straßentheaterfestival in Kaiserslautern. Das Besondere: Viele der 200 Künstler des Festivals haben Handicaps. Dennoch ist das Festival kein politisch korrektes Sozialprojekt, sondern bietet über weite Strecken ein mitreißendes Spektakel.
Andrew Unruh, der Berliner Perkussionist der "Einstürzenden Neubauten" mit zwei Kollegen auf einer Bühne in der Fußgängerzone von Kaiserslautern. Vor ihnen auf der Straße wachsen Menschentrauben um rund zehn Tische mit Trommeln verschiedener Größen.
"Darf ich mich mal vorstellen. Ich bin Andrew Unruh mit der Trommelinstallation 'Beating the drum'. Wir machen das hier, um alle mit einzubeziehen. Auch die Zuschauer, die vielleicht auch mal ein paar Sticks haben können, gibt es hier vorne Sticks. Es können auch die Tische getauscht werden, damit man nicht immer in die gleichen Gesichter sieht. Und ich gebe mal einen vor aus den 20er Jahren."
Integratives Happening
Dann ist kein Halten mehr. Trotz Temperaturen weit über 30 Grad schweigen die Trommeln eine Stunde lang nicht mehr. Schwitzende Leiber mit und ohne Behinderung verschmelzen zu einer lautstarken rhythmischen Einheit. Keine Avantgarde-Klangkunst wie oft bei den "Einstürzenden Neubauten", sondern ein integratives Happening. Andrew Unruh:
"Hier haben wir eine große Anzahl von Kindern, wir haben geisti- und körperlich Behinderte. Es geht um Inklusion, Leute mitzunehmen und zu vermischen. Ich habe so eine Trommel-Installation gebaut mit 100 Trommeln und 200 Sticks. Die Leute trommeln zu einer Musik, die ich mir ausgedacht habe, ohne große Pädagogik."
Es funktioniert auf Anhieb, der Funke springt spielend von der Bühne aufs Publikum über. Wie schon zuvor bei der integrativen Berliner Theatergruppe "Ramba Zamba". In ihrer clownesken Aufführung geht es um Häuserspekulation und arme Großstadtbewohner, aber auch um Flirten und Fressen –was man eben alles so braucht, um ein Spektakel abzuziehen.
Die Bühne für "Ramba Zamba" ist direkt an den Mauern der markanten gotischen Stiftskirche in Kaiserslautern aufgebaut. Hauptstadt-Schauspieler Joachim Neumann ist beeindruckt vom Spielort im äußersten Westen des Landes:
"Erstmal ist die Umgebung ist sehr schön – und dann, andere Menschen kennenlernen."
Stadtmusikanten als Scheine
Pfälzer eben oder Bremer Stadtmusikanten, die diesmal alle als Schweine daherkommen. Mit glänzend-rosa Schweinemasken und zwei Zirkus- Bühnenwagen erobert "Blaumeiers Maskenspecktakel" aus Bremen den weitläufigen Stiftsplatz in Kaiserslautern.
Gut 1000 Zuschauer verfolgen die Aufführung des pantomimischen Musiktheaters, in dem einige liebestolle Säue das Herz eines attraktiven Bürgermeistersohns erobern wollen. Im konkurrierenden Kampf um dessen Gunst trifft das Borstenvieh auf Freiersfüßen auch mal im Boxring aufeinander.
Viele Zuschauer betrachten das bunte Treiben der Bremer Maskengruppe ebenso mit offenem Mund wie Andrew Unruh, der Perkussionist der "Einstürzenden Neubauten":
"Dieses Pantomimentheater, da waren die Leute alle als Schweine verkleidet, es war höchst amüsant. So ein Schweineballett habe ich auch noch nicht gesehen. Ich glaube, die haben es sogar aufs Titelbild geschafft vom 'Alles muss Raus-Festival'."
Zu Recht. Die Bremer Straßentheatergruppe nutzt virtuos die Stärken der Straße als Bühne, in dem sie Elemente aus dem Karneval mit Musiktheater und Pantomime verbindet. Die Schweinemasken dienen dabei als Pappmaschee-Symbol des Inklusionsgedankens. Schauspieler Rolf Sänger:
"Das Blaumeier-Projekt 'Kunst und Psychiatrie' hat verschiedene Abteilungen. Malerei, Musik, Theater und Masken. Wir spielen aber nur Masken.Wir sind ein Inklusionsprojekt. Aber bei uns interessiert das nicht, ob jemand normal verrückt oder verrückt normal ist. Und unter der Maske interessiert das sowieso keinen mehr. Die Maske macht uns alle gleich und trotzdem sehr individuell."
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Damenwahl bei Blaumeiers Bräuten© Alles muss Raus / Blaumeier Atelier
Manches bleibt Klamauk
Nicht alles, was zu sehen ist, ist große Kunst, manches bleibt schlichtweg Klamauk. Doch viele Zuschauer sind da, weil sie einfach vom gebotenen Spektakel fasziniert sind oder selbst mitmachen wollen. Dass das Festival auch eine Manifestation gegen Ausgrenzung Behinderter ist, ist ein willkommener Nebeneffekt:
"Man hat das Gefühl, die sind alle so mit Begeisterung dabei, ja."
"Das ist gelebte Inklusion."
"Die Vielfältigkeit."
"Ja, erst einmal finde ich es sehr schön, das Behinderte und Nichtbehinderte zusammen agieren und dann gibt es auch interessante Events."
Für die Bremer Schweinebande ist das Festival in Kaiserslautern allerdings erst einmal der letzte Event für dieses Jahr, verkündet der Schauspieler Rolf Sänger. Wer die Masken der Truppe wieder in Aktion erleben will, braucht ein bisschen Geduld und die Bereitschaft, ins Ruhrgebiet oder an die polnische Grenze zu reisen:
"Nächstes Jahr geht es nach Schwerte und nach Görlitz und vielleicht nach Wiesbaden, aber das wissen wir noch nicht. Aber jetzt packen wir die erst einmal ein für dieses Jahr."
Sehr schade eigentlich. Denn auch in diesem Sommer stünde "Blaumeiers Maskenspecktakel" so mancher Fußgängerzone hierzulande noch sehr gut zu Gesicht.