Initiative für politikfreien Sonntag

Wir wollen Bundestag und Baby vereinbaren

Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping
Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hat die fraktionsübergreifende Initiative mitunterzeichnet © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Katja Kipping im Gespräch mit Nana Brink · 03.07.2015
Kleine Kinder betreuen und gleichzeitig Politik machen - das ist schwierig, finden viele Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Gemeinsam und unabhängig von ihren Parteien haben sie deshalb eine Initiative zur Einführung politikfreier Sonntage gestartet. Die Linken-Politikerin Katja Kipping erklärt warum.
Ein Sonntag ohne Politik, stattdessen Zeit für die Familie - davon würden nicht nur Abgeordnete mit Kindern profitieren, glaubt die Linken-Politikerin Katja Kipping, die den Vorschlag mitunterzeichnet hat - sondern der politische Betrieb insgesamt.
Familie und Politik zu vereinbaren, sei nicht immer einfach, sagte Kipping im Deutschlandradio Kultur. Zwar sei man finanziell privilegiert und könne vieles möglich machen, was sich Menschen mit geringem Einkommen nicht leisten könnten. Dennoch gebe es "ein paar besondere Härten", beispielsweise das Pendeln zwischen Bundestag und Wahlkreis sowie politische Termine an den Wochenenden.
"Uns ging es in dem Papier nicht nur um Abgeordnete", so Kipping. Ein politikfreier Sonntag würde ebenso Mitarbeiterinnen oder auch Journalistinnen zu Gute kommen. Auch bei den parlamentarischen Geschäftsführern sei der Vorschlag auf "viel Interesse" gestoßen. Wer rund um die Uhr nur Politik mache, komme überhaupt nicht mehr dazu, die Eindrücke zu verarbeiten, so Kipping: "Das ist am Ende auch nicht gut für die Qualität der Urteile oder Entscheidungen, die wir treffen."
Man wolle das Ganze auch nicht "total dogmatisch" handhaben, sagte die Linken-Politikerin. "Uns ging es darum, den Standard und die Selbstverständlichkeiten zu verschieben." Nicht diejenigen, die am Sonntag keine Termine wahrnehmen könnten, sollten sich entschuldigen müssen. Vielmehr solle es sich umgekehrt verhalten: "Wer am Sonntag einen Termin macht, muss dafür gute Gründe anführen."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Bestimmt würde kein Mensch behaupten, so ein Abgeordnetenleben ist etwas für jemanden, der nur einen Achtstundentag haben möchte inklusive freies Wochenende. Natürlich sieht die Realität im Bundestag anders aus, aber muss das wirklich so sein? Eine fraktionsübergreifende Initiative von weiblichen Bundestagsabgeordneten wirbt jetzt für einen familienfreundlicheren Politikbetrieb. Immerhin hätten 50 Frauen im Bundestag Kinder unter zwölf Jahren, das wird in dem Papier geschrieben. Schade, dass die Väter von Kindern unter zwölf da nicht mitgezählt worden sind.
Also, was steht drin in diesem Papier? Zum Beispiel sollen Babys und Kleinkinder bei namentlichen Abstimmungen im Plenarsaal erlaubt sein, und der Sonntag soll politikfrei sein. Zu den Unterzeichnerinnen gehören die ehemalige Familienministerin Christina Schröder, die ja noch als Ministerin ihr erstes Kind bekommen hat – ein absolutes Novum. Die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner, die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt und die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken. Guten Morgen, Frau Kipping!
Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!
Brink: Haben Sie Ihr Kind schon mal zu einer Abstimmung mitgenommen?
Kipping: Es gab oft Situationen, natürlich ist das immer schöner, wenn man das anders organisiert, aber manchmal kommen ja auch namentliche Abstimmungen sehr kurzfristig rein, auch abends, wenn die Kita längst zu ist. Und dann hat es auch schon bei mir Situationen gegeben, wo ich sie mitnehmen musste. Und dann immer darauf geachtet, dass Sie – als kleines Baby hatte ich sie manchmal im ErgoBaby irgendwie so mit drin, habe aber drauf geachtet, dass ihr Gesicht nicht zu sehen ist, damit es jetzt nicht in den Kamerablickwinkel reingerät.
Brink: Was haben die Kollegen gesagt?
Kipping: Die freuen sich ja in der Regel, wenn da mal ein kleines Kind ist. Inzwischen gibt es da ein ganz neues Klima. Es hat ja eine Zeit gegeben, da waren im Bundestag eigentlich nur Männer, wo klar war, dass die Frauen eher die Kindererziehung wegtragen, oder halt Frauen, wo die Kinder schon aus dem Gröbsten raus waren. Und das hat sich deutlich verändert, was ich sehr gut finde, weil ich glaube, das verändert auch den Blick auf die Prioritäten, die man setzt. Denn wer selber gar nicht erlebt hat, wie schwer es ist, einen Kitaplatz zu bekommen, der ist vielleicht auch nicht so engagiert, wenn es darum geht, mehr Geld für Bildung oder Kitaplätze zur Verfügung zu stellen, und in vielen anderen Punkten. Und deswegen glaube ich, es ist generell gut für Politik, wenn da auch Menschen drin sind, die wirklich Verantwortung für Kinder oder in der Familie haben. Die können denen Arbeit wegtragen.
Politik und Familie zu vereinbaren ist schwierig
Brink: Ist es denn schwer für Politikerinnen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, schwerer zum Beispiel auch als für Krankenschwestern? Die müssen ja auch am Wochenende arbeiten.
Kipping: Zum einen muss man natürlich sagen, dass wir als Abgeordnete sehr, sehr privilegiert sind, was die finanzielle Situation anbelangt, und uns da viele Sachen ermöglichen können, die sich jemand mit einem geringen oder mittleren Einkommen nicht leisten kann. Aber es gibt vielleicht schon ein paar besondere Härten. Zum einen gehört halt dazu, dass man ja als Abgeordnete in der Regel immer zwischen Wahlkreis und Bundestag pendelt. Und bei manchen liegen da ja viele hundert Kilometer dazwischen.
Und das Zweite ist halt, das es sehr häufig halt dann auch am Wochenende natürlich zu Recht die Erwartung von der Partei gibt, dass man dort Termine wahrnimmt. Also das heißt, dass da dann tagsüber, Abendtermine und dann noch die Wochenenden durch. Du kannst da nicht einfach mal so in der Woche jetzt einen Tag als Ausgangstag nehmen, wenn Sitzungswoche ist. Also insofern würde ich hier sagen, es gibt ein paar Härten. Und uns ging es in dem Papier eben nicht nur um Abgeordnete, sondern wir sagen halt auch, wenn man so ein paar Maßnahmen ergreift wie politikfreier Sonntag, ist das ja was, was gleichermaßen Mitarbeiterinnen zugute kommt wie auch übrigens Journalistinnen. Weil wenn am Sonntag was stattfindet, müssen die halt auch am Sonntag darüber berichten.
Brink: Ja, Sie wollen ja auch am Sonntag Radio hören, also gehe ich mal davon aus. Oder Fernsehen gucken. Es gab ja mal diesen Spruch, "Samstags gehört Vati uns!", das ist so ein Spruch der Gewerkschaften von Mitte der 50er-Jahre, als man um eine Fünftagewoche irgendwie gekämpft hat. Aber wie realistisch ist denn überhaupt so eine Forderung nach einem politikfreien Sonntag, gerade jetzt zum Beispiel im Zeichen einer Griechenlandkrise, wo mal ganz eben schnell auch Sitzungen einberufen werden?
Kipping: Na ja. Es geht ja nicht darum, das nun total dogmatisch zu handhaben. Weil ich weiß das ja selber aus meiner Arbeit – wir sind eine kleinere Partei, unsere Parteitage finden natürlich immer am Wochenende statt, damit auch Leute, die nur ehrenamtlich Delegierte sind und halt die Woche über arbeiten müssen, daran teilnehmen können. Oder wenn Wahl ist am Sonntag, kann man ja nicht sagen, so, jetzt bleiben wir zu Hause. Aber uns ging es darum, den Standard und die Selbstverständlichkeiten zu verschieben.
Nicht diejenigen, die sagen, nee, tut mir leid, also ich kann am Sonntag keinen Termin wahrnehmen, ich war jetzt schon sechs Tage hintereinander kaum bei meiner Familie, müssen sich entschuldigen oder begründen, sondern wir fanden, die Begründungspflicht muss sich verschieben. Also, wer am Sonntag einen Termin macht, muss dafür gute Gründe anführen. Es kann immer eine Ausnahme geben, wir sind ja nicht weltfremd, aber ich finde, es geht darum, den Standard und die Begründungspflicht zu verschieben.
Brink: Auch bei Babys und Kleinkindern im Plenarsaal? Sie haben ja gesagt, das ist positiv aufgenommen worden von den meisten Kollegen. Was sagt denn der Bundestagspräsident dazu?
Politikfreier Sonntag könnte allen Abgeordneten nützen
Kipping: Wir sind ja aus allen Fraktionen, und wir haben jetzt am Mittwoch angefangen, mit den Parlamentarischen Geschäftsführern zu reden, und wollen das halt reintragen ins Präsidium, ...
Brink: Was haben die gesagt? Entschuldigung. Was haben die gesagt?
Kipping: Ja, da gibt es also auch viel Interesse, und die sagen ja auch – also, ich habe auch gestern noch mit einer Kollegin diskutiert, die selber kein Kind hat, und die sagt trotzdem, aber ein politikfreier Sonntag, ist egal, ob du ein Kind hast oder nicht, ist total wichtig, weil wenn du rund um die Uhr nur von früh bis abends Politik machst, du kommst überhaupt nicht mehr dazu, die Eindrücke zu verarbeiten. Das ist am Ende auch nicht gut für die Qualität der Urteile, die wir treffen, oder der Entscheidungen, die wir treffen. Von daher hatte ich das Gefühl, dass es jetzt auch in dieser Runde dafür viel Interesse gibt.
Brink: Eine Frage habe ich trotzdem noch, weil das ist ja eine Initiative, die eigentlich von Frauen initiiert worden ist. Ich frage mich dann immer, gerade auch in Ihrer Generation, wo bleiben denn die Männer? Weil Kindererziehung ist heute, und das ist ja so eigentlich Common Sense, Männer- und Frauensache. Fanden Sie da keine Unterstützung?
Kipping: Da tragen Sie bei mir Eulen nach Athen. Ich finde ja auch, dass auf die Emanzipation der Frauen, die jetzt schon ganz gut vorangeht, dass jetzt eine Emanzipation der Männer folgen muss. Für mich zum Beispiel war es vollkommen klar, dass wir uns jeweils fifty-fifty, also hälftig in die Kindererziehung reinteilen irgendwie, das soll auch so eine Selbstverständlichkeit werden.
Jetzt war es aber bei uns so, das ist halt immer noch so, dass vor allen Dingen Frauen in Interviews, wenn sie dann ein kleines Kind haben, gefragt werden, Mensch, wie schaffen Sie das mit der Vereinbarkeit, und sich dann dazu äußern. Und im Zuge solcher Interviews haben wir uns auch gegenseitig manchmal kennengelernt oder uns angesprochen in so einer Situation und haben dann aus einer gewissen Pragmatik heraus gesagt, jetzt lasst uns das erst mal starten in einer Runde von Mütter und kleiner Kinder. Und natürlich ist die Initiative – wir haben ja auch eine Webseite, www.eltern-in-der-politik.de. Und diese Webseite ...
Brink: Aber sind denn schon Männer auf Sie zugekommen und haben gesagt, Mensch, ich möchte da mitmachen?
Kipping: Ja, ja. Wir haben ja unserer Fraktion, kurz bevor wir die Medien informiert haben, haben wir dann alle unsere Fraktionen informiert. Und aus meiner Fraktion war zum Beispiel der erste, der sich gemeldet hat, ein Mann, der gesagt hat, ja, das will ich unterstützen. Und die Selbstverpflichtung ist ja gleichermaßen für Väter und Mütter kleiner Kinder.
Brink: Vielen Dank! Die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken, zu der Initiative für einen politikfreien Sonntag im Bundestag. Danke!
Kipping: Schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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