Informationstechnologie

Assoziativmaschine kopiert unser Gehirn

Das Modell eines menschlichen Gehirns
Das menschliche Gehirn assoziiert in erster Linie © dpa / picture alliance / Weigel
Moderation: André Hatting · 12.05.2014
Was fällt Ihnen zu Nagel ein oder zu Blume oder zu Ferien? Diese Frage könnte in Zukunft eine Maschine beantworten, die nicht bloß rechnet wie ein Computer, sondern assoziiert wie ein menschliches Gehirn.
André Hatting: Vor einem Jahr hat Edward Snowden uns die Augen geöffnet. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter legte offen, wie amerikanische und britische Geheimdienste unsere Telefongespräche mithören und auch beim Surfen im Internet immer mit dabei sind. Seitdem wird darüber diskutiert, wie man diese maßlose Schnüffelei beschränken und die Bürger besser schützen kann. Einerseits per Gesetz - die EU will bis 2015 eine neue Datenschutzrichtlinie einführen -, andererseits technisch, mit Verschlüsselungsprogrammen, die unsere E-Mails und sonstige Daten auf dem Computer schützen sollen. Ab heute tagen dazu in Berlin Experten aus Europa auf den Europäischen Datenschutztagen. Neue Hoffnung kommt auch aus Hildesheim - dort entwickeln Wissenschaftler nämlich eine Assoziativmaschine. Was das genau ist, wie es funktioniert, warum es uns möglicherweise besser schützen kann, das will ich mir jetzt von Professor Hans-Joachim Bentz erklären lassen vom Institut für Mathematik und angewandte Informatik an der Uni Hildesheim. Guten Morgen, Herr Bentz!
Hans-Joachim Bentz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Was genau ist das, eine Assoziativmaschine?
Bentz: Ja, das ist eine gute Frage. Also, Assoziativmaschine können Sie sich am besten vielleicht so vorstellen, es ist ein Elektronengehirn. Zwar ist der Begriff schon verbraucht, aber die Computer, für die das damals genutzt wurde, waren ja eigentlich keine Gehirne, sondern nur eben schnelle Rechner. Und wir haben uns bemüht, die Funktionsweise und auch die Struktur von natürlichen Gehirnen zu modellieren. Und was rausgekommen ist, konnten wir jetzt schlecht einen Computer nennen, weil es nicht rechnet, sondern nur assoziiert. Und deswegen haben wir das Assoziativmaschine genannt.
Hatting: Wenn man das versucht zu vergleichen - was genau ist denn der Unterschied zwischen einem normalen Computer, so, wie wir sie alle im Alltag normalerweise benutzen, und einer Assoziativmaschine? Was macht die anders?
Lernfähige Maschine
Bentz: Ein normaler Computer hat im Zentrum sozusagen ein Rechenwerk. Der Prozessor, der rechnet, und zwar rechnet der Adressen aus, wo er dann nachher hingehen muss und gucken, was da steht, und das verrechnen muss. Das ist nachher dann auch, später, der Angriffspunkt für viele Schwächen, sage ich mal. Die Assoziativmaschine, die rechnet nicht, sondern wie im Gehirn eigentlich, sie assoziiert auf Eingaben Ausgaben. Also, wenn ich sie fragen würde, was auch die Psychologen ja in ihren Tests machen, sagen Sie doch mal, was fällt Ihnen zu Nagel ein oder zu Blume oder zu Ferien. Oder ich als Mathematiker sage: Was ist denn sieben mal acht? Dann ist es ja so, dass Ihr Gehirn es normalerweise, obwohl es rechnen könnte, weiß. Es assoziiert gleich das richtige Ergebnis, weil es das gelernt hat. Und das macht die Assoziativmaschine auch. Das kann sehr schnell gehen bei der Maschine und hat auch nicht die Beschränkungen, wie wir sie im Kopf haben, denn da brauchen wir ziemlich lange, um zu lernen. Na gut, aber wenn was gelernt ist, dann bedeutet das, dass ich jetzt damit operieren kann, und gelernt haben kann ich zum Beispiel auch ein gesamtes Programm, also eine Abfolge von Schritten oder von Befehlen - so wie ein Gedicht meinetwegen.
Hatting: Und warum ist dieses Verfahren sicherer, gerade was Ausspähung betrifft, als das herkömmliche Null-Eins-Aneinanderrechenverfahren?
Bentz: Es ist deswegen sicherer, wie es auch beim normalen Gehirn ist: Ich weiß nicht, was Sie denken. Wie soll ich es rauskriegen? Ich kann mich mit Ihnen unterhalten, ich könnte vielleicht messen durch irgendwelche Instrumente, aber genau rauskriegen, was Sie jetzt gerade denken, das kriege ich nicht raus, außer Sie sagen es mir.
Hatting: Weil es nicht vorhersagbar ist?
Bentz: Man kann es nur raten. Also die Struktur der Assoziativmaschine, die ist sozusagen einstellbar, je nachdem, welche Aufgabe sie leisten soll, aber die Einstellung, die ist variierbar. So ähnlich können Sie sich das vorstellen, wenn ich Sie frage, bitte übersetzen Sie doch mal Fahrrad ins Englische, dann kann ich das ja auch, Sie können es auch, aber in unseren beiden Gehirnen werden nicht identisch die Prozesse ablaufen. Und es werden auch nicht identisch die gleichen Neuronen - das geht ja gar nicht. Und die Assoziativmaschine, obwohl sie jetzt eine technische Einrichtung ist, das heißt, sie hat die Drähte da irgendwie, aber die Belegung dieser Drähte oder der Synapsenstellen, die kann ich relativ frei wählen, ohne die Funktion, die es leisten soll, zu verändern. Das ist also der Knackpunkt und auch das Neue. Das versteht man nicht ganz so gut, aber man kann das machen.
"Eine Matrix reagiert auf einen Eingabevektor"
Hatting: Das bedeutet also, wenn jetzt ein Geheimdienst einen Trojaner einschleusen möchte oder ein anderes Virenprogramm, mit dem er dann meine Festplatte untersuchen möchte und ich habe jetzt aber eine Assoziativmaschine, dann weiß der Trojaner, weiß der Virus nicht genau eigentlich, wonach er suchen soll, weil er eben nicht weiß, was die Assoziativmaschine bei bestimmten Vorgängen eigentlich macht. Das ist nicht vorhersehbar.
Bentz: Richtig. Es ist sogar so, dass ich gar nicht reinkomme in die Assoziativmaschine, denn wir sprechen ja von Assoziativmatrizen oder von Assoziierwerken, die sozusagen die einzelnen Bausteine sind. Und so eine Matrix, die reagiert ja auf einen Eingabevektor, also auf gewisse Aktivitäten in einem Vektor. Und wenn das der richtige Vektor ist, dann läuft auch der Prozess so ab, wie ich mir das wünsche. Und wenn es der verkehrte ist, dann läuft er nicht ab. Und die Komplexität ist einfach so groß, man kann den nur raten, den richtigen. Und es wird einem auch nichts nützen, wenn man ihn hätte, weil dann genau der Prozess abläuft, den man gerne möchte, aber wenn man nicht der Eigentümer oder der Besitzer jetzt der Assoziativmaschine, die gerade aktiv ist, ist, dann kommt man nicht ran an den Prozess. Und so kommt es eben, dass Sie herkömmliche Programme, weil sie adressorientiert arbeiten, angreifbar sind und es möglich ist, da fremde, wie Sie es genannt haben, Trojaner, einzuschleusen. Assoziative Operationen, die sind schon lange bekannte und werden auch für unterschiedliche Zwecke eingesetzt, aber sie werden nicht dazu benutzt, eine Maschine zu bauen, die alle Grundaufgaben der Informatik, also des herkömmlichen Computers auch leisten kann.
Hatting: Wird später eine Assoziativmaschine oder ein Assoziativcomputer, werden wir den benutzen, wird er das Gleiche können, was unsere herkömmlichen Computer auch können? Muss ich mir das so vorstellen, dass, wenn ich dann nachher auf eine Assoziativmaschine umsteige als normaler User, kann ich damit dann auch - hab ich da Schreibprogramme, möglicherweise die gleichen Betriebssysteme, oder muss ich mir das ganz anders vorstellen?
Bentz: Im Prinzip kann man genau das Gleiche machen, das haben wir bewiesen. Ob es jetzt nun praktisch ist, das wissen wir noch nicht. Deswegen wollen wir das Ding ja tatsächlich hardwaremäßig bauen, um zu prüfen, was jetzt günstiger ist und was nicht so günstig ist. Denn die Technik des herkömmlichen Computers ist ja irrsinnig rasant vorangeschritten. Es gibt wahnsinnig viele Programme für alles Mögliche, die muss man entweder umschreiben oder man müsste eben ganz andere kreieren, um das Gleiche zu leisten. Ob man das macht, weiß ich nicht.
Hatting: Wie weit sind Sie jetzt gerade mit der Entwicklung? Sie haben gerade angesprochen, die Hardware zu bauen.
"Rechnen muss man der Assoziativmaschine erst beibringen"
Bentz: Wir haben die Assoziativmaschine, wie wir sie uns vorstellen, haben wir simuliert im Moment. Das heißt, es gibt auf einem herkömmlichen Computer gibt es ein Programm, das leistet alles das, was eine Assoziativmaschine können soll, und damit können wir experimentieren. Wir haben zum Beispiel eine Programmiersprache entwickelt und die auch getestet für die Assoziativmaschine. Assoziatives Programmieren, das ist ein bisschen anders als herkömmliche Programme, aber das kann man genauso lernen, es ist vielleicht sogar ein bisschen einfacher. Aber wir haben jetzt natürlich nicht sämtliche Probleme, die es gibt, also zum Beispiel Rechnen - Rechnen muss man der Assoziativmaschine erst beibringen. Das heißt also, da sind wir weit entfernt von solchen Berechnungen, wie man sie heute vielleicht hat, wenn man ein Tragflügelprofil machen will. Dann kann man das ja alles berechnen, und dann prüft man das im Windkanal. Das können wir noch nicht. Aber Informationen jetzt zum Beispiel schreiben und dann vielleicht verschicken, oder auch Vehikel steuern oder so was, also auf Sensorwerte zu reagieren, da haben wir schon Experimente gemacht, das können wir ganz gut.
Hatting: Hans-Joachim Bentz über die Assoziativmaschine. Der sichere Computer der Zukunft in Zeiten von NSA. Hans-Joachim Bentz ist Professor für Mathematik an der Uni Hildesheim. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bentz!
Bentz: Gerne! Schönen Tag, viel Erfolg!
Hatting: Den wünsche ich Ihnen auch. Danke schön. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema