Informationspolitik im Silicon Valley

Das Schweigen der Männer

Facebook-Chef Mark Zuckerberg, aufgenommen im Hauptsitz des Unternehmens im kalifornischen Menlo Park im Jahr 2013
Mark Zuckerberg habe eine ganze Armee von Leuten, die ihm Journalisten vom Hals hielten, so Nicole Markwald. © picture alliance / dpa / Peter Dasilva
Nicole Markwald (ARD Los Angeles) im Gespräch mit Isabella Kolar · 11.08.2015
Gegenüber Medien seien die Unternehmen im Silicon Valley notorisch scheu, erzählt die Korrespondentin Nicole Markwald. Sie wollten alles kontrollieren, vor allem ihr Image. Mark Zuckerberg zu interviewen, sei so gut wie unmöglich - die Geschäfte liefen ja auch so.
Isabella Kolar: Nicole Markwald in Los Angeles, zu Ihrem Berichtsgebiet als USA-Korrespondentin gehört ja auch das Silicon Valley. Wir in Deutschland kreisen gerade mental um den Begriff des Geheimnisverrats und dessen Folgen, Sie kreisen eher darum, dass Sie weder Geheimnisse noch Fakten erfahren. Ist Recherchieren im Silicon Valley wirklich so schwierig?
Nicole Markwald: Es ist in der Tat nicht ganz einfach, man ist nämlich hier als Journalist extrem abhängig von der Informationspolitik der Unternehmen, und die sind, würde ich mal sagen, notorisch scheu – natürlich nicht, was ihre finanzielle Situation angeht. Es ist natürlich so, jedes Unternehmen, das an der Börse notiert ist, muss darüber informieren, also hören wir das auch alle drei Monate von Apple, Facebook, Yahoo und Co., sie sind auch gesprächig – relativ –, wenn es ein neues Produkt vorzustellen gibt. Aber wenn man davon mal absieht, ist es sehr schwierig, sich ein Bild zu machen.
Es ist bei Facebook zum Beispiel sogar so, dass jeder Mitarbeiter ein ganz spezielles Training durchlaufen muss, bevor er an die Öffentlichkeit gehen darf oder mit einem Journalisten sprechen darf – da gibt es so ein Handbuch, wo alle Fragen zum Konzern aufgelistet sind, die man zum Beispiel nicht beantworten darf. Und wenn wir hier in Los Angeles in unserem Studio versuchen, einen Beitrag über Google zum Beispiel zu machen, dann läuft das so, dass wir e-mailen und ganz häufig gar nichts hören oder dann eine kurze, knappe Mail zurückbekommen, wenden Sie sich doch bitte an die Zentrale in Deutschland oder Europa, und wir dann denken, aber Moment mal, wir sind doch gar nicht in Deutschland, wir sind doch hier in den USA, wir wollen doch von hier berichten. Es ist wirklich nicht ganz einfach.
Kolar: Und ist es bei größeren Unternehmen dann schwieriger auch, an Informationen ranzukommen?
Markwald: Ja, das Gefühl habe ich schon. Also wenn wir mit einem jungen Start-up reden wollen, die die Aufmerksamkeit brauchen, dann ist das relativ easy, aber je größer die Unternehmen werden, desto schwieriger wird es. Und Konkurrenz spielt da sicherlich eine Rolle, also man will sich da nicht in die Karten gucken lassen. Und sowohl Apple als auch Google oder Microsoft präsentieren ja regelmäßig neue Produkte, und da versucht man natürlich, nicht so viel vorab oder währenddessen rauszulassen. Aber das Motto bei diesen Firmen scheint zu sein: Je weniger transparent wir sind, desto besser. Und das ist natürlich absurd, wenn wir bedenken, dass diese Firmen uns Nutzer ja dazu bringen – und es auch regelmäßig schaffen –, immer mehr Informationen über uns preiszugeben. Es geht letztendlich, glaube ich, darum, alles zu kontrollieren, auch das Image zu kontrollieren. Sie wollen steuern, was über sie berichtet wird, und wollen natürlich auch ihre Marke schützen.
Kolar: Aber diese Closed-Shop-Mentalität heißt doch auch weniger Publicity im Endeffekt, und das kann ja nicht im Interesse der Unternehmen sein.
"Man schreibt E-Mails ins Nirgendwo"
Markwald: Na ja, es geht um die Publicity, die sie gutheißen. Es ist durchaus nicht so, dass jede Nachricht eine gute Nachricht ist. Man will da wirklich ganz genau kontrollieren, was an die Öffentlichkeit rausgeht, welches Bild präsentiert wird, wie die Firma dargestellt wird. Und das ist für uns halt im täglichen Arbeiten echt kompliziert. Man schreibt E-Mails ins nirgendwo, und manchmal bekommt man sogar was zurück. Also ich hatte den Fall mit Netflix – ich würde mir gern mal die Firmenzentrale von Netflix angucken und hab die angemailt, und da kam sofort eine E-Mail: Ja, ich bin zwar nicht die richtige Person, aber ich leite dich an XY weiter. Und die Person wurde dann in Kopie gesetzt, und dann schrieb ich die Person wieder an, der antwortete mir auch sofort, na klar, kein Problem, und dann hab ich nie wieder was von denen gehört. Und selbst, wenn man dann noch mal mehrmals nachhakt, kommt nichts zurück.
Kolar: Und ist das ein spezielles Problem, das vor allem deutsche Medien beim Arbeiten im Silicon Valley haben?
Korrespondentin in Los Angeles, Nicole Markwald
Ein Interview mit Mark Zuckerberg zu bekommen, ist fast unmöglich, sagt die Korrespondentin in Los Angeles Nicole Markwald.© Hessischer Rundfunk / privat
Markwald: Ich glaube, für ausländische Medien ist es tatsächlich noch schwieriger, aber auch für amerikanische Kollegen ist es schwer. das ist fast unmöglich. Also die Einzige, die mir da einfällt, der das vielleicht gelingen könnte, ist Oprah Winfrey, und Oprah Winfrey kriegt jeden – jeden Präsidenten, jeden Star –, die kriegt auch einen Mark Zuckerberg. Es wird ganz klar ausgewählt, auch bei Produktpräsentationen – da merkt man schon, dass die schon deutsche Journalisten dabeihaben wollen, die, die dann eben bei ihren Medien viele Klicks oder eine hohe Auflage garantieren können.
Kolar: Sie erwähnten Mark Zuckerberg – eine Kollegin von Ihnen hat sich ja vergeblich an dem Facebook-Gründer und Vorstandschef abgearbeitet und darüber geschrieben, wie es nicht geklappt hat mit dem gewünschten Interview. Ist das vielleicht ein gutes Geschäftsmodell?
Markwald: Ich kann da nur eine Sache zu sagen: Mark Zuckerberg kann es sich einfach leisten, diese Interviews nicht zu geben, und ich glaube auch, dass der gar keine Zeit dafür hat und um sich herum eine Armee von Leuten, die ihm all diese Leute wie mich oder meine Kollegin vom Hals halten. Und als Geschäftsmodell – es funktioniert ja trotzdem. Facebook wächst weiterhin, und die Nutzer – ob es da jetzt dieses Interview mit Mark Zuckerberg gibt oder nicht –, ich glaube, die interessiert das nicht.
Kolar: Bei dem Thema Frauen und Minderheiten, das Sie für das Feature, das wir gleich hören werden, bearbeitet haben, war es ja auch schwierig, an Fakten zu kommen, oder?
Markwald: Ja, also vor anderthalb Jahren hätte ich dieses Feature so gar nicht machen können, weil da noch gar nicht bekannt war, wie viele Frauen eigentlich bei diesen großen Unternehmen im Silicon Valley tätig waren, und auch nicht, wie viele Minderheiten, also Schwarze oder Latinos. Das waren Zahlen, die tatsächlich jahrelang geheim gehalten wurden.
Kolar: Und das mit Grund.
Das schmutzige Geheimnis des Silicon Valley
Markwald: Ja, es ist so das schmutzige Geheimnis des Silicon Valley. Und letztendlich hat der Einsatz unter anderem eines Bürgerrechtlers dazu geführt, nämlich Jesse Jackson, dass diese Zahlen bekannt wurden. Der hat eine Organisation, die heißt Rainbow PUSH Coalition, und seit Jahren hat er versucht rauszufinden, wie diese Zahlen aussehen. Weil natürlich, das war so ein Fakt, über den niemand gesprochen hat, aber allen war das klar, dass der Anteil von Frauen und Minderheiten wirklich gering ist, weniger als der Durchschnitt in der amerikanischen Bevölkerung.
Und Jesse Jackson hat dann mit seiner Organisation zu einem Trick gegriffen: Er hat sich Aktien gekauft. Und als Besitzer von Aktien war es ihm dann möglich, bei den Aktionärsversammlungen teilzunehmen. Und er hat sich dann da hingestellt und hat gesagt, ich möchte jetzt bitte diese Zahlen haben, ich möchte sehen, wie die Belegschaft aussieht, wie viele Frauen sind hier, wie viele Schwarze, Latinos et cetera arbeiten hier. Und einen Monat später – er machte das halt bei Microsoft – gab es diese Zahlen tatsächlich, und die sahen genauso aus, wie man sich das vorgestellt hat, nämlich extrem wenige Frauen, kaum Schwarze, fast keine Latinos. Und dann gab es eine Art Kettenreaktion. Nach und nach veröffentlichten dann auch andere Unternehmen ihre Zahlen, und das war einfach peinlich. Und genau das war der Grund, weshalb die lange geheim gehalten wurden. Es war ja sogar so, dass Microsoft und IBM und Apple beim Arbeitsministerium in Washington Beschwerde eingelegt hatten damals, als Journalisten um entsprechende Auskunft baten. Sie meinten, das würde dem Wettbewerb schaden, wenn wir diese Zahlen veröffentlichen. Also es war eine lange, lange Durststrecke, bis diese Zahlen dann tatsächlich präsentiert wurden.
Kolar: Das heißt, die peinlichen Fakten liegen jetzt auf dem Tisch, auch dank Jesse Jackson – und wie haben die schweigsamen Herren, die Nadellas und Co. im Silicon Valley auf diese Ergebnisse reagiert?
Markwald: Na, erst mal mussten sie eine Runde aushalten, dass alle auf sie eingedroschen haben quasi und gesagt haben, das kann ja eigentlich nicht sein, dass das Labor des Fortschritts – so präsentiert sich das Silicon Valley ja gern – so rückständig ist. Und was dann passierte, war so eine Art Wettrennen, und da stecken wir quasi mittendrin, also dass jede Firma gesagt hat, okay, wir ändern was, wir gehen das jetzt ganz aktiv an und machen XYZ. Und das werden wir auch gleich im Feature hören, was die verschiedenen Unternehmen da tun, um diese Minderheiten da besser präsentieren zu können beziehungsweise um mehr Chancen zu schaffen, dass Minderheiten bei den großen Unternehmen im Silicon Valley Anstellung finden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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