Information statt platte Parolen

14.02.2013
Nüchtern und souverän hat Michael Skirl in "Wegsperren!?" das viel diskutierte Thema der Sicherungsverwahrung aufbereitet. Dass die Maßnahme komplizierter ist, als uns die Boulevardmedien glauben machen wollen, weiß er als Leiter einer großen JVA aus praktischer Erfahrung.
Mit 26 Jahren kommt Werner D. das erste Mal hinter Gitter. Er hat mehrere Frauen überfallen und vergewaltigt. Therapieangebote interessieren ihn wenig. Niemand kann sagen, mit welchen Fantasien er auf das Ende seiner Haftzeit zugeht.

Darf man Schwerverbrecher unbegrenzt in Sicherungsverwahrung behalten, auch wenn sie ihre Strafe bereits verbüßt haben? Oder muss eine freie Gesellschaft den Preis der Unsicherheit zahlen? Zu dieser - nicht zuletzt in der Sensationspresse und an den Stammtischen der Nation - viel diskutierten Frage meldet sich nun ein Mann vom Fach zu Wort. "Wegsperren?!" heißt sein Buch und Autor Michael Skirl leitet eine der größten Justizvollzugsanstalten Deutschlands.

Gekonnt schlingt der Autor mehrere rote Fäden ineinander. Da ist zum einen das Tauziehen um die gesetzlichen Grundlagen, die seit den 90er-Jahren permanent verschärft wurden, bis Bundesverfassungsgericht und Europäischer Menschengerichtshof einschritten. Michael Skirl zeigt auf, woher der politische Druck kommt: Die "Bild"-Zeitung und ihre publizistischen Verwandten schlachten das Thema "Sex-Täter" weidlich aus. Und die Politik knickte ein, mit zum Teil absurden Vorschriften wie der Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine lebenslängliche Haft. Dabei kann ein Lebenslänglicher nur dann entlassen werden, wenn er nicht mehr gefährlich ist - oder aber seine Haft dauert fort.

Gegen platte Parolen setzt der Autor Information - und seine genaue Kenntnis der Welt hinter Gittern. Vor allem von der mittlerweile höchstrichterlich gekippten nachträglichen Sicherungsverwahrung hat der JVA-Leiter nichts Gutes zu berichten. Bürdete sie doch dem Vollzugspersonal die Verantwortung auf, nach Anhaltspunkten für oder gegen diese Maßnahme Ausschau zu halten. Eine Dauerbespitzelung der Häftlinge, die sich im Gegenzug abschotteten, war die Folge. Oder aber Gefangene, die Abgründe ihres Innenlebens einem Therapeuten anvertrauten, handelten sich eben dadurch eine Sicherungsverwahrung ein. Solch ein Häftling wird niemals wieder für eine Therapie zugänglich sein.

Den zweiten roten Faden des Buches liefert die hoch realistisch aus mehreren echten Biografien amalgamierte Lebensgeschichte von Werner D.. Unter dramatischen Umständen wird er bei einem Freigang erneut straffällig und vergeht sich mit äußerster Brutalität an einer Frau. Ja, erklärt Michael Skirl und erteilt grenzenlosem Therapie-Optimismus eine Absage, es gibt sie: die anhaltend gefährlichen Täter. Im Umgang mit ihnen bleibt die Sicherungsverwahrung unverzichtbar. Allerdings sind die strengen menschenrechtlichen Standards des Grundgesetzes zu beachten, wozu immer auch die Perspektive der Freilassung gehört.

Ein erstaunliches souveränes Buch hat Debütant Michael Skirl geschrieben, kenntnisreich, nüchtern bis in die Knochen und in seiner rechtsphilosophischen Gründlichkeit passagenweise mühsam und dornig - wie vorbildlich. So kompliziert ist das eben mit der Sicherungsverwahrung. Niemand sollte es sich einfacher machen.

Besprochen von Susanne Billig

Michael Skirl: Wegsperren!? – Ein Gefängnisdirektor über Sinn und Unsinn der Sicherungsverwahrung
Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2012
272 Seiten, gebunden, 16,99 Euro
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