Inferno des Ungeists

Von Agnes Steinbauer · 10.05.2013
Am 10. Mai 1933 warf die "Deutsche Studentenschaft" auf dem Berliner Opernplatz die Bücher von missliebigen Kulturschaffenden in die lodernden Flammen. Bei ihrer Aktion erhielten die Nazis breite Unterstützung – auch von Bibliotheken und Buchläden.
"Hier ist der Deutschlandsender … wir befinden uns auf dem Opernplatz, Unter den Linden Berlin. Die deutsche Studentenschaft Kreis 10 verbrennt zur Stunde auf einem riesigen Scheiterhaufen anlässlich der Aktion des Kampfausschusses wider den undeutschen Geist, Schriften und Bücher der Unmoral und Zersetzung."

10. Mai 1933. Es ist Mitternacht. Ein Reporter berichtet live von der Vernichtung so genannter "undeutscher" Schriften: Romane, Fachbücher, wissenschaftliche Werke. Ins Feuer geworfen wurde alles, was als jüdisches oder demokratisch-republikanisches und pazifistisches Gedankengut nicht in die Nazi-Ideologie passte. Dieser 10. Mai war der infernalische Höhepunkt eines Spektakels dem - wie die Nazis es nannten - "Säuberungen" in Bibliotheken und Buchläden vorausgegangen waren. In den meisten Universitätsstädten wurden zehntausende von Büchern verbrannt; darunter Werke von Karl Marx, Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky oder Carl von Ossietzky.

"Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner ..."

Die Werke Erich Kästners galten als dekadent und unmoralisch und standen deshalb auf der "Schwarzen Liste". Kästner sah als Augenzeuge seine eigenen Bücher auf dem Berliner Opernplatz brennen. 25 Jahre später erinnerte er sich:

"Sie blickten zackig geradeaus, die Studenten – hinüber zum Brandmal, wo der kleine Teufel aus der Schachtel schrie und gestikulierte."

"Ein Revolutionär muss alles können. Er muss ebenso groß sein im Niederreißen der Unwerte, wie im Aufbauen der Werte."

Die Verbrennung wurde von ganz oben legitimiert
Durch seine Rede legitimierte Joseph Goebbels die Aktion von Seiten der Staatsmacht. Sie war nicht von seinem Propagandaministerium ausgegangen, sondern von der "Deutschen Studentenschaft", dem Dachverband der Studentenausschüsse an den Hochschulen und wurde vom "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund" durchgeführt. In seinem Buch "Literaturpolitik im Dritten Reich" beschreibt der Historiker Jan-Pieter Barbian die Gründung eines eigenen "Hauptamtes für Presse und Propaganda" bei der "Deutschen Studentenschaft", das die Universitäten per Rundschreiben vom 6. April 1933 über die so genannte "Aktion wider den undeutschen Geist" in Kenntnis setzte:

"Die Aktion beginnt am 12. April mit dem öffentlichen Anschlag von zwölf Thesen."

Diese Thesen wurden an den Universitäten und in den Medien veröffentlicht - These Nummer 5 etwa lautete:

"Der Jude kann nur jüdisch denken, schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter."

Viele Künstler und Schriftsteller flohen darauf in die Emigration
Eine Art "geistige SA", so Barbian, sei die "Deutsche Studentenschaft" gewesen. In Kampfausschüssen wurden von den Universitäten aus Durchsuchungen von Leihbüchereien, Bibliotheken und Buchläden betrieben, ohne größere Widerstände. In Breslau zensierten Büchereien ihre Bestände in vorauseilendem Gehorsam sogar selbst. Die Mehrzahl der Buchhändler und der Deutsche Börsenverein standen hinter der Aktion.

Auch die meisten Hochschullehrer sahen dem "akademischen Autodafe" widerstandslos zu. Nach dem 10. Mai flohen viele missliebige Kulturschaffende in die Emigration. Die, die blieben, bezahlten häufig mit ihrem Leben. Im Jahr 1958 erinnerte sich Erich Kästner:

"Als wir Carl von Ossietzky baten, bei Nacht und Nebel über die Grenze zu gehen – es war alles vorbereitet - sagte er nach kurzem Nachdenken: Es ist für sie unbequemer, wenn ich bleibe – und er blieb. Als man den Schauspieler Hans Otto, meinen Klassenkameraden, in der Prinz-Albrecht-Straße schon halbtot geschlagen hatte, sagte er - bevor ihn die Mörder aus dem Fenster in den Hof warfen, blutüberströmten Gesichts – das ist meine schönste Rolle."
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