Industrie 4.0

"Wählen Sie ein Studium, wo Sie lernen, zu denken"

Der Schriftzug "Industrie 4.0" steht bei der Hannover Messe 2015 beim Leaders Dialogue "Industrie 4.0 in Made in Germany" zum Start der Plattform Industrie 4.0 auf einer Wand.
Der Schriftzug "Industrie 4.0" steht bei der Hannover Messe 2015 auf einer Wand. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Dalia Marin im Gespräch mit Dieter Kassel  · 15.04.2015
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Dalia Marin erwartet durch den Einsatz intelligenter Roboter einen Rückgang von Arbeitsplätzen für Akademiker. Weil aber zukünftig Menschen gebraucht würden, die immer neu umlernen müssen, seien z.B. Philosophen sehr gefragt.
Die Nachfrage nach Akademikern werde in Zukunft zurückgehen, sagt die Professorin für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Dalia Marin, im Deutschlandradio Kultur. "Die neue Generation von Robotern, mit denen wir es hier zu tun haben, sind ja intelligente Roboter, die vor allem kognitive Aufgaben erfüllen", sagt sie.
Prämie für Bildung geht zurück
In den USA sei schon heute der Preis für qualifizierte Arbeit gesunken. In Deutschland verdiene ein Akademiker derzeit noch rund 60 Prozent mehr als ein Abiturient, deshalb lohne sich bislang diese Investition in Bildung. "Wenn aber in Zukunft mehr Akademiker erzeugt werden als durch die Technologien der Markt benötigt, dann wird es dazu führen, dass diese Prämie für Bildung zurückgehen wird, weil eben die Bildung nicht mehr diesen Wert hat, wenn die Maschinen diese Tätigkeiten übernehmen", sagt Marin.
Diagnose-Software oft besser als der Arzt
Als Beispiele nennt die Wissenschaftlerin eine Software, die in Kanzleien eingesetzt werde und viele einfache anwaltliche Tätigkeiten ersetze. Auch in der Medizin gebe es bereits eine Diagnose-Software, die Ärzte ersetze. "„Die sind dann oft besser als der Arzt bei der Diagnose"; sagte Marin. Andere Tätigkeiten wie die des Managers ließen sich dagegen noch lange nicht ersetzen.
Umlernen als Zukunftsaufgabe
In Deutschland sei diese Entwicklung noch zu wenig bewusst. "Was man sagen kann, ist, wenn Sie ein Studium wählen, dann wählen sie ein Studium, wo sie lernen, zu denken, wo sie lernen an Probleme heranzugehen", empfahl die Volkswirtin "Das ist vielleicht ein Philosophiestudium." In Zukunft müssten die Menschen damit rechnen, dass sie immer wieder neu umlernen müssen. Es gebe heute keine Prognosen, die zeigten, wie dramatisch die Veränderungen der Arbeitswelt sein werden.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Was bedeutet die sogenannte Industrie 4.0, die gerade auf der Hannover Messe groß gefeiert wird, für den Arbeitsmarkt? Schließlich verbirgt sich dahinter, einfach formuliert, eine immer effizientere Vernetzung von Produktion, Vertrieb und Verkauf, der Einsatz intelligenter Technik, die immer mehr Dinge besser und kostengünstiger können wird als die Menschen, die diese Dinge bisher erledigen. Über die Risiken, aber auch über die Chancen dieser Entwicklung wollen wir deshalb jetzt mit Dalia Marin reden. Sie ist Professorin für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität München. Schönen guten Morgen, Frau Marin!
Dalia Marin: Guten Tag!
Kassel: Der Geschäftsführer der Firma Kuka, das ist einer der weltweit größten Hersteller von Industrierobotern, der hat vorgestern an dieser Stelle hier in unserem Programm gesagt, ja, eine neue Generation von Robotern werde Arbeitsplätze überflüssig machen, aber das hätte auch zwei Vorteile: Erstens würde so die Effektivität von Firmen gesteigert, die Produktivität, und das schaffe nun wiederum die Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und zweitens würden Menschen von einfacheren Tätigkeiten entlastet und es entstünden neue, anspruchsvollere Jobs. Stehen also gerade qualifizierten Arbeitskräften rosige Zeiten bevor?
Marin: Also das würde ich so nicht stehen lassen. Die neue Generation von Robotern, mit denen wir es hier zu tun haben, sind ja intelligente Roboter, die vor allem kognitive Aufgaben erfüllen – und daher tendenziell auch intelligente Menschen ersetzen, nicht nur Menschen, die manuelle Arbeit tätigen. Insofern muss man davon ausgehen, dass in Zukunft die Nachfrage nach Akademikern aufgrund dieser Technologien eher zurückgehen wird. Wir sehen das insbesondere – bereits heute – in den USA, wo der Preis für qualifizierte Arbeit relativ weniger wert geworden ist seit der Jahrtausendwende. Wenn aber diese Technologien den Akademiker ersetzen werden, dann ist da eine Zurückhaltung durchaus angebracht.
In Kanzleien ersetzt Software schon einfache Anwaltsarbeiten
Kassel: Aber was heißt denn das, wenn Sie sagen, jetzt und gerade in Zukunft kann es falsch sein, zu viele Akademiker zu haben? Was bedeutet das? Also man kann den Leuten ja nicht raten, einfach nur einen Hauptschulabschluss zu machen, oder?
Marin: Na ja, das bedeutet zunächst mal, dass ... Wenn Sie also vergleichen, was verdient ein Akademiker relativ zu einem Abiturienten, dann kann man sagen: Das ist ungefähr 60 Prozent mehr. Das heißt, es lohnt sich, in Bildung zu investieren, weil man eben 60 Prozent mehr Einkommen bekommt. Das ist jetzt die heutige Sicht. Wenn aber in Zukunft mehr Akademiker erzeugt werden, als durch die Technologien der Markt benötigt, dann wird es dazu führen, dass diese Prämie für Bildung zurückgehen wird, weil eben die Bildung nicht mehr diesen Wert hat, wenn die Maschinen diese Tätigkeiten übernehmen.
Also ich gebe Ihnen jetzt ein Beispiel, damit das nicht so abstrakt ist: Wir reden hier von zum Beispiel Rechtsanwälten. Es gibt jetzt eine Software, wo also eine einfache Rechtsanwaltstätigkeit ersetzt wird durch diese intelligente Software. Das heißt, in einer Kanzlei werden bestimmte Recherchearbeiten über diese Computersoftware erledigt – und das ist eine Tätigkeit, die früher ein einfacher Rechtsanwalt getätigt hat.
Kassel: Also zum Beispiel die Suche nach Präzedenzfällen oder Ähnlichem, wenn man einen Prozess vorbereitet?
Marin: Genau, ja. Ein anderes Beispiel ist die Diagnosesoftware, die Ärzte ersetzt – die sind dann oft besser als der Arzt bei der Diagnose.
Kassel: Aber das ist vielleicht ein wichtiges Stichwort jetzt, was Sie gerade gesagt haben: Es ist vielleicht besser als der Arzt, und es gibt ja auch den Ärzten – und ich glaube, das Gleiche gilt für Juristen, Ihr anderes Beispiel – auch die Möglichkeit, sich auf ihre eigentliche Arbeit viel stärker zu konzentrieren, das Wissen, wofür sie vorher vielleicht Mitarbeiter und Tage, Wochen brauchten, viel schneller zu generieren und sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Also das Ganze scheint mir nicht nur schlecht zu sein.
Keine Aussicht auf Managerroboter
Marin: Natürlich, zuerst mal muss man sagen: Diese Technologien sind ein Segen. Das, was eine Volkswirtschaft wachsen lässt, ist die Technologie. Und es ist ja so: Die, die besonders viel Einkommen erzielen, die Top-ein-Prozent der Einkommensbezieher, das sind meistens Leute, die im Management sind. Die müssen nicht unbedingt hochqualifiziert sein. Manager sind nicht unbedingt hochqualifiziert.
Kassel: Und es gibt noch nicht die Aussicht auf den Managerroboter. Das wäre aber auch wieder ein ganz anderes ...
Marin: Der Manager, der wird noch lange nicht ersetzt werden. Das ist eine typische Tätigkeit, die Managertätigkeit, von der man ausgehen kann, wo es auf Kreativität geht, auf Entscheidungsfähigkeit, auf konzeptionelles, analytisches Denken ankommt. In absehbarer Zeit sehe ich nicht, wie das durch einen intelligenten Computer ersetzt wird. Vielleicht kommt das mal, aber in absehbarer Zeit sehe ich das nicht.
Kassel: Diese Auswirkungen, die Sie jetzt aber auf die Nicht-Managementarbeitsplätze ja schon ausführlich beschrieben haben – haben Sie denn das Gefühl, dass man sich dieser Zukunft, die uns da möglicherweise bevorsteht, auch in Deutschland schon bewusst ist?
Marin: Viel zu wenig. Diese neuen Technologien führen schon dazu, dass es zu dramatischen Wachstumsschüben kommt. Das ist das Positive. Aber das Negative ist, dass diese Technologien nicht alle Menschen in einer Gesellschaft gewinnen lassen. Was man sagen kann, ist, wenn Sie ein Studium wählen, dann wählen Sie ein Studium, wo Sie lernen, zu denken, wo Sie lernen, an Probleme heranzugehen – das ist vielleicht ein Philosophiestudium –, weil Sie in Zukunft damit rechnen müssen, dass sie immer neu umlernen werden müssen, je nachdem, was sich darstellen wird. Wir können heute keine Prognose machen, wie dramatisch die Änderung sein wird. Da müsste ich in die Glaskugel sehen.
Kassel: Da werde ich Sie als Wissenschaftlerin nicht zu drängen wollen. Herzlichen Dank! Die Industrie 4.0 und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt – wir sprachen darüber mit Dalia Marin, Professorin für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität München. Frau Marin, vielen Dank!
Marin: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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