Indisches Kino

Wenn die Tochter zum Sohn wird

Tilotama Shome als Kanwar Singh (unten) und Tisca Chopra als Mehar in einer undatierten Szene des Films "Qissa - Der Geist ist ein einsamer Wanderer".
Tilotama Shome als Kanwar Singh (unten) und Tisca Chopra als Mehar in "Qissa - Der Geist ist ein einsamer Wanderer" © Ankit Mehrotra/Camino Filmverleih/dpa
10.07.2014
Der indische Film "Qissa" ist Geschichtsepos, Familiendrama und Genderstudie: Protagonist Umber Singh hat bei der Teilung des indischen Subkontinents im August 1947 alles verloren. Als seine vierte Tochter zur Welt kommt, erfindet er einen großen Schwindel.
Mit indischen Filmen assoziiert man zunächst das ausgelassene, farbenfrohe, durchgedrehte Bollywoodkino. Gesang und Tanz haben in der indischen Filmgeschichte immer eine wichtige Rolle gespielt, doch es gab stets auch eine sozialrealistische Linie, Regisseure, die sich in der Gegenwart ihres Landes umschauten.
In dieser Tradition bewegt sich Anup Singh, der seinen Film an einem historischen Wendepunkt beginnen lässt. Das Ende der britischen Kolonialherrschaft besiegelte im August 1947 die Teilung des indischen Subkontinents in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan. Wie viele andere Menschen hat auch Umber Singh alles verloren und musste sein Land verlassen. Und nicht nur das, seine Frau will ihm einfach keinen Sohn gebären.
Als seine vierte Tochter zur Welt kommt, beschließt er, diese als Sohn auszugeben, um das Ansehen seiner Familie zu retten. Als der vermeintliche junge Mann heiraten soll, droht der Schwindel aufzufliegen. Jetzt können nur noch die Geister helfen! "Qissa" ist Geschichtsepos, Familiendrama und Genderstudie. In aller Selbstverständlichkeit verbindet der Regisseur die unterschiedlichsten Tonlagen, Stilmittel und Erzählhaltungen.
Die Gnadenlosigkeit des Kastendenkens
Auch versteht er es, die Positionen der Familienmitglieder nicht gegeneinander auszuspielen. Er leidet mit dem Mädchen, das ihr Geschlecht verbergen muss. Er versucht, den Vater und dessen patriarchalisches Denken zu hinterfragen.
Über die privaten Geschichten nähert sich der Film gesellschaftlichen Fragen, erforscht die Gnadenlosigkeit des Kastendenkens, männliche Machtstrukturen und den Kreislauf der Gewalt, dem kein Ende gesetzt wird. Wenn das Kino den Blick zurückwirft, den bewegten Zeitläufen folgt, erzählt es uns meistens auch etwas über die Gegenwart eines Landes.

Indien, Deutschland, Frankreich, Niederlande 2013, Regie: Anup Singh, Hauptdarsteller: Irrfan Khan, Tillotama Shome, Tisca Chohpra, 105 Minuten

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