Indiens Bauern

Vom Land in die Stadt?

Padmabati Mandi zeigt ihren Gemüsegarten in Chingri.
Padmabati Mandi zeigt ihren Gemüsegarten in Chingri. © Edith Luschmann
Von Jenny Genzmer · 31.01.2017
Auf der Suche nach Arbeit verlassen Millionen von Indern ihre Dörfer. In den Städten des Subkontinents verdingen sie sich als Tagelöhner. Ist die massenhafte Landflucht wirklich eine Lösung und was ist die Alternative?
Auf der Suche nach Arbeit verlassen Millionen von Indern ihre Dörfer. In den Städten des Subkontinents verdingen sie sich als Tagelöhner. Ist die massenhafte Landflucht wirklich eine Lösung und was ist die Alternative?
Ein Subkontinent ringt um seine Entwicklungspolitik: Mehr als 70 Prozent der gut 1,3 Milliarden Inder leben auf dem Land. Es sind hier immer noch mehr als die Hälfte der Menschen abhängig von der Landwirtschaft. Die Sorge um die eigene Landbevölkerung hat in einer der großen Agrarnationen der Erde eine lange Tradition: Schon Mahatma Gandhi nahm sich vor einhundert Jahren der Probleme der Landarbeiter im Nordosten Indiens an.

Gesteigerte Produktion, ausgelaugte Böden

Nach den großen Hungersnöten Mitte des 20. Jahrhunderts, begann in der Landwirtschaft ein Umdenken, genannt die Grüne Revolution. Die indischen Bäuerinnen und Bauern steigerten ihre Produktionen enorm, das Land konnte sogar Nahrungsmittel exportieren. Aber natürlich hatte diese Entwicklung einen Preis: Die neuen Anbaumethoden machten nicht nur Chemikalien notwendig, die die Böden auslaugten und die Gesundheit der Menschen belasteten. Sie verbrauchten auch das in manchen Regionen sehr rare Grundwasser.

Versprechungen für die Landbevölkerung

Die Auswirkungen dieser Entwicklung spürte nicht nur die Landbevölkerung selbst, sondern spürten auch die Viehhirtinnen und Hirten, die auf eine intakte Flora und Fauna angewiesen sind. Regelmäßig – etwa bei den ab dem kommenden Monat anstehenden Regionalwahlen – entdeckt die indische Regierung – so auch der derzeitige Regierungschef Modi - die Landwirte und buhlt mit Versprechungen von Einkommensverdopplungen um ihre Gunst und vor allem: ihre Stimmen.
Doch nach jeder Wahl bleiben die Probleme. Auf der Suche nach Arbeit verlassen Millionen von Indern ihre Dörfer und verdingen sich in den Städten als Tagelöhner. Ist die Landflucht in Indien eine Lösung und was ist die Alternative?
Ein alter Rikscha-Fahrer zieht seine Rikscha mit einem Fahrgast durch eine Straße Kalkuttas, dahinter steht ein gelbes Taxi.
Ein alter Rikscha-Fahrer zieht einen Fahrgast durch eine Straße Kalkuttas.© epa / Piyal Adhikary

Komplettes Manuskript der Sendung:
Radesh Shyam sitzt umgeben von Süßigkeiten am Fenster seines Hauses in Okhla, einem Industriebezirk im Süden von Indiens Hauptstadt Delhi. Ab und zu stecken ein paar Kinder ihre Köpfe über die Ladentheke, kichern, kaufen ein paar Kaugummis. Der Laden mit den Süßigkeiten und Haushaltswaren ist ein Nebenverdienst für Radesh Shyam und seine Familie. Viele seiner Nachbarn in dem Slum Sanjay mit seinen engen Gassen machen das so. Angewiesen ist Shyam auf die Kaugummis und Kekse aber nicht. Er arbeitet in einer Nähfabrik und kann ein paar Worte Englisch. Eins davon ist ihm besonders wichtig.
Fortschritt. Radesh Shyam hat etwas geschaffen in seinem Leben. Vor 40 Jahren hat er als junger Mann sein Dorf im angrenzenden Bundesstaat Uttar Pradesh verlassen. Mit dem Zug fuhr er nach Delhi, hat auf dem Bahnhof geschlafen und dann bei einer Nähfabrik angeheuert. Erst als Tagelöhner, dann als Näher, nun ist er Schneider. Ob er das Leben als Farmer manchmal vermisst? Absurde Frage:
"Ich habe mein Geld mit Nähen verdient. Mit diesem Geld konnte ich dieses Haus bauen, in dem wir uns jetzt befinden. Ich habe Kinder bekommen, und die gehen jetzt zur Schule."
Der ehemalige Bauer mochte die Farm, auf der er mit seinen Eltern lebte und mit seiner Frau. Das Land sah wunderschön aus, erzählt er, die Äcker lagen direkt neben dem Haus. Sie haben Reis, Weizen und Chili angebaut. Zur Erntezeit war es überall grün. Aber das Land reichte nicht aus, um sechs Brüder und ihre Familien zu ernähren. Viele mussten in die Stadt. Der junge Radesh hat darin eine Chance gesehen:
"Um mich weiterzuentwickeln, für meine Familie, für meine Frau. Ich wollte in die Stadt ziehen, um Geld zu verdienen. Ich habe von einem eigenen Haus geträumt, von einem besseren Leben."
Radesh Shyam hat seinen Lebensstandard verbessert. Aber so wie dem ehemaligen Farmer aus Itaua, der eine Schule besucht hat und dessen Familie eigenes Land besitzt, ergeht es nur einzelnen Bauern in Indien. Viele der Zuwanderer in den indischen Städten bleiben ihr Leben lang Tagelöhner, schlagen sich als Taxifahrer durch, betteln auf den Straßen oder leben von weniger als einem Dollar pro Tag.

Ein Leben lang Tagelöhner

Parthib Basu: "Die einzige Option, die sie haben, wenn die Farm nicht genug abwirft, ist es, als unausgebildeter Arbeiter in die Städte zu migrieren und unqualifizierte Arbeit zu verrichten."
Parthib Basu ist Professor für Zoologie und Landwirtschaft an der Universität Kalkutta. Zusammen mit seinen Studenten verfolgt er die landwirtschaftlichen Entwicklungen und deren Bedingungen in vielen Regionen Indiens. Die Frage, die sich der Ökologe gestellt hat: Was muss in diesen ländlichen Regionen eigentlich geschehen, damit die Menschen dort von ihrem Anbau leben können? Denn:
"Was ist die bessere Option? In einem Slum in der Stadt leben, unterernährt und mit kranken Kindern? Du wärst nicht migriert, wenn du glücklich und gesund auf dem Dorf gelebt hättest, von dem du kommst. Dann hätte man das Dorf nicht aus freien Stücken verlassen. Wir reden hier von Push-und Pull-Faktoren. Dies ist ein Push-Faktor. Die Menschen wurden buchstäblich gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen. Das sollte sichtbar gemacht werden."
Die Ackerflächen, die durch die Vererbung der Farmen in immer kleinere Stücke geteilt werden, sind nur ein Grund, der Bauern wie Radesh Shyam in die Städte wandern lässt. Ein anderer ist die wachsende Bevölkerung Indiens und die damit einhergehende Nahrungsknappheit. Vor allem seit den 40er-Jahren gab es in Indien immer wieder extreme Hungersnöte, Millionen Menschen starben an Unterernährung. Die Zentralregierung hat in den 60er-Jahren versucht, diesem Problem mit verschiedenen Maßnahmen entgegenzusteuern: Hochertragssorten, Bodenreformen, chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Die Grüne Revolution:
"Die Grüne Revolution wurde von der Regierung stark vorangetrieben. Die Maßnahmen waren aber ungleich verteilt, Farmer mit großen Ackerflächen wurden bevorzugt. Bei den kleinen Bauern kamen viele der Vorteile gar nicht an. Die Ernten waren viel ertragreicher, weil wir das Grundwasser besser nutzen konnten. Innerhalb von zehn Jahren konnte sich Indien selbst versorgen und musste nichts mehr kaufen, was Nahrungsmittel anging."

Abhängig von Dünger und Saatgut

Immer mehr Bauern stiegen auf Reis und Weizenanbau um. Steigerten ihre Erträge, machten sich aber auch von dem Saatgut und externen Faktoren wie chemische Dünger- und Pflanzenschutzmittel abhängig.
"In den frühen 90er-Jahren gingen die Probleme los. Die Produktivität stagnierte. In den 2000er Jahren sank sie sogar. Die Nutzungs-Effizienz ging zurück. Wenn du zum Beispiel ein Kilo Reis anbauen wolltest, etwa mit 500 Gramm chemischen Düngemitteln, dann bräuchtest du heute drei Mal so viel davon, um denselben Ertrag herauszubekommen. Das ist das, was zurzeit passiert. Wir kommen immer weiter in diesen Kreislauf hinein. Wir müssen immer schneller laufen, um am gleichen Platz zu bleiben."
Während die aktuelle Regierung unter Premier Narendra Modi von der "Zweiten Grünen Revolution" spricht, versuchen zivile Gruppen und NGOs das Hamsterrad wieder zu verlassen. Zurück zur Biodiversität, Selbstversorgung und Nachhaltigkeit.
Anshuman Das von der Welthungerhilfe im Dorf Chingri in der indischen Region Bankura
Anshuman Das arbeitet in der indischen Region Bankura für die Welthungerhilfe.© Edith Luschmann
Im Bundesstaat Westbengalen, im Osten Indiens, mehrere Zugstunden entfernt von der Metropole Kalkutta, liegt das Dorf Chingri. Anshumann Das, ein nachdenklicher Mensch mit Bart und Brille, wirft die Autotür hinter sich zu. Seit vielen Jahren arbeitet er für die Welthungerhilfe in der Region Bankura. Er läuft ein paar Schritte über den trockenen Boden und zeigt über die dünn bewaldete Landschaft:
"Diesen Wald hier hat die Regierung anpflanzen lassen. Überall stehen Akazien, obwohl sie hier ursprünglich gar nicht wachsen. Das ist noch so ein Beispiel für Monokulturen. Der Wald ist nicht natürlich und den Dorfgemeinschaften nutzt er auch nicht. Aber wenn man vom Helikopter aus Fotos macht, dann sieht das für das Forstministerium so aus, als wäre dieses ganze Gebiete hier bewaldet. Für sie ist das der leichte Weg. Das Problem ist, dass sich die Blätter der Akazien nicht als Futter eignen. Kühe werden es nicht fressen, Ziegen auch nicht. Ich nehme an, dass die Bauern in zwei Jahren alles abholzen werden, um die Bäume als Brennmaterial zu verwenden."

Wasserknappheit im Norden Bengalens

Die Dörfer im Norden Westbengalens profitieren kaum von den Regierungsprogrammen, erzählt er. Die Dorfbewohner gehören zu den Santal, eine der vielen marginalisierten Volksgruppen der indischen Urbevölkerung. Die Abgeschiedenheit und die fehlende Infrastruktur macht sie für Transport- und Verteilsysteme schwer erreichbar. Hinzu kommt die Wasserknappheit. Die Menschen hier sind also nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch abgehängt.
Nur wenige Meter vom Ufer einer flachen Wasserstelle entfernt, stehen die ersten Häuser des Dorfes Chingri. Es sind einfache Lehmhütten, bedeckt mit Stroh und Tonziegeln. Ein paar Fahrräder sind an die Häuserwände gelehnt. Im Hof hat jemand eine Schnur gespannt und bunte Wäsche darüber gehängt. Zu jedem Haus gehört ein Gemüsebeet.
Umringt von einer Gruppe Frauen und Kinder, wartet Padmabati Mandi, eine zierliche Frau mit rosa-gelbem Sari und Goldschmuck. Vor etwa 14 Jahren, nach der Hochzeit mit ihrem Mann, ist sie hier hergezogen. Heute koordiniert die selbstbewusste Frau die vielen Veränderungsprozesse in ihrem Dorf. Die Gemüsegärten sind Teil dieser Entwicklung. Mit strengem Blick läuft sie über ihr Beet, macht an jedem Abschnitt halt und zeigt auf die einzelnen Gewächse.
Auberginen, Tomaten, Zwiebeln, Spinat. Der Reisanbau, den Mandi auf den Feldern betreibt, ist teuer. Geht eine Ernte durch Insekten oder schlechte Witterung verloren, fehlt die Nahrungsgrundlage für eine ganze Saison. Dieser Garten soll nicht nur ihre eigene Ernährung und die ihrer Familie ausgewogener gestalten. Er soll auch mit möglichst wenigen chemischen Mitteln auskommen und die Familie durch den Anbau von Mischkulturen über das gesamte Jahr hinweg ernähren können.
Anshuman Das: "Wenn etwas übrig bleibt, dann verkaufen die Bauern ihr Gemüse auf dem Markt. Alles andere ist für die Familie. In diesem Dorf gibt es viele von diesen kleinen Gärten. Die Hälfte der indischen Bevölkerung lebt wie die Menschen hier in kleinen Gemeinden. Wenn diese 50 Prozent ihr Ernährungsproblem in den Griff bekommen, dann ist die Lage schon viel entspannter."
Anshuman Das arbeitet mit der örtlichen NGO zusammen und hat viele der Projekte wie diese in Chingri und in der Region Bankura angestoßen. Ihr gemeinsamer Ansatz soll eine nachhaltige und integrierte Landwirtschaft fördern. Ohne Chemikalien, die Geld kosten und die Böden belasten, sondern angepasst an die Lebensverhältnisse der Bauern.
Padmabati Mandi erklärt das Bewässerungssystem ihres Gartens. In bauchigen Tonkübeln mit Löchern an der Seite, sickert das Wasser nach und nach an die Wurzeln der Pflanzen. Das im Trog verdampfte Wasser perlt am Deckel ab und fließt zurück ins das System. Gerade in den langen Dürrephasen, ist diese Sparsamkeit notwendig. Was die Bauern in Westbengalen hier mit der Unterstützung der NGOs versuch-en, ist nicht nur, von ihren eigenen Produkten und traditionellen Anbaumethoden zu überleben. Sie versuchen ihre Erzeugnisse auch in Kooperativen zu bündeln und am Markt anzubieten.

Eine Kooperative für die Bauern der Umgebung

Wenige Kilometer von Chingri entfernt, im Dorf Beriathol, betreibt Mandi zusammen mit anderen Familien ein kleines Unternehmen. In einem einfachen Holzverschlag stehen drei Maschinen zum Schälen und Walzen von Reis, Getreide und Hülsen-früchten. Viele Bauern aus den umliegenden Dörfern kommen hier her und nutzen den Service der Kooperative. Profitabel ist das Unternehmen, das die NGOs vor drei Jahren aufgehört haben zu finanzieren noch nicht. Aber es trägt sich selbst, die Instandhaltung, die Arbeiter und die Stromversorgung.
Kephu Hembram beim Training der Field School Bankura
Kephu Hembram sieht sich als Farmer, der auch ein Business hat.© Florian Rinke
Khepu Hembram ist einer der Besitzer. Zusammen mit dem Eigentümer-Komitee hat er auf einer Plane auf dem Boden Platz genommen. Mit etwas Abstand hören Frauen dem Gespräch zu, alle eng in einer Reihe aufgestellt. Eine paar Kinder in bunten Kleidern sitzen nebeneinander auf einem Baumstamm und flüstern. Khepu Hembram und die anderen Inhaber mögen die Arbeit als Unternehmer. Aber das heißt nicht, dass wir alle auf einmal Geschäftsmänner geworden sind, sagt er. Hauptsächlich sind wir Farmer, die auch ein Business haben.
Das größte Problem der Bauern hier in Bankura sei die Abhängigkeit vom unregelmäßigen Regen, sagt Khebu Hembram. Wenn wir Wasser brauchen, dann haben wir keins. Wenn wir kein Wasser brauchen, dann fließt es in Strömen. Am liebsten wäre Kephu Hembram weniger von den Regenfällen abhängig. Auch von konventionellen Agrarprodukten. Bei regelmäßigen Trainings lehrt er anderen Dorfbewohnern, wie sie aus Kuhdung und hauptsächlich natürlichen Zusatzstoffen Düngemittel herstellen können.

Alternativen zur konventionellen Agrarwirtschaft

Auch über seine Karriere als Unternehmer hat er sich bereits Gedanken gemacht. Bald wird er eine neue Maschine kaufen, aus Blättern will er damit Teller herstellen. Die sind sehr beliebt hier in der Region. Die neue Maschine wollen Hembram und seine Kollegen dann von ihrem eigenen Geld bezahlen. In Indien gibt es unzählige zivile - und NGO-Projekte, die an die traditionellen Produktionsweisen von Bauern oder auch Viehhirten anknüpfen.
Sie sollen nicht nur Alternativen zur konventionellen Agrarwirtschaft fördern, sondern Menschen auch den Zugang zum Markt ermöglichen. Der Ökologe Parthib Basu:
"In einem Land wie Indien gibt es genug Beispiele, die zeigen, dass es funktionieren kann, das Leben der Menschen durch kleine Interventionen innerhalb der Community zu verbessern. Aber ohne den klaren Willen der Regierung ist es kaum möglich, die-se Veränderungen auf das ganze Land auszuweiten. Die Regierung ist aber auf schnelle Maßnahmen angewiesen. Was sie suchen, ist eine Art 'magische Lösung'. Aber Veränderungen brauchen Zeit, die Klassenverhältnisse auf dem Land müssten reformiert werden. Und ich frage mich: Kann die Regierung die großen Landlords und Agrar-Lobbies überhaupt infrage stellen? Die Pflanzenschutzmittel-, und Biotechnologie-Lobby, wie Monsanto zum Beispiel? Ich glaube nicht."
Da könnte er recht haben, denn Saatguthersteller wie Monsanto haben Einfluss in Indien. Allein Monsanto verkauft hier hauptsächlich Baumwolle, Getreide- und Gemüsesorten, liefert aber auch die Technologien und vertreibt Patente. Die Saatguthersteller argumentieren, es sei im Sinne der Bauern und Bäuerinnen, aus den Pflanzen mehr herauszuholen. Immerhin seien es die Menschen selbst, die entscheiden, ob und von wem sie ihr Saatgut beziehen.
Der Wissenschaftler Parthib Basu will vollkommen weg von der industrialisierten Landwirtschaft. Er wünscht sich überall in Indien autark agierende Dorfgemeinschaften. Dass sämtliche Produktions- und Verteilsysteme so dezentral und lokal wie möglich organisiert werden:
"Ich möchte keinen Schinken aus Punjab auf meinem Tisch. Ich möchte meinen Weizen oder meine Früchte nicht aus Rajasthan und ich möchte Fisch vom Fluss aus meiner Nachbarschaft und nicht aus Andhra Pradesh. Das würde in den ländlichen Gebieten viel mehr Geld in Umlauf bringen. Darüber hinaus sind diverse Anbausysteme sehr viel widerstandsfähiger. Sowohl gegenüber wirtschaftlichen Einbrüchen, als auch gegenüber klimatischen Veränderungen. Wenn du eine Sache verlierst, hast du noch andere. Eigentlich sollte es die Aufgabe der Regierung sein, diese lokalen Gruppen zu vernetzen und sie für den Export oder den größeren indischen Markt vorzubereiten. Selbst ein Farmer ist im Grunde ein Unternehmen. All das, wovon wir gesprochen haben, sind Optionen, die es geben sollte und die noch nicht da sind. Wenn der Farmer keine Option hat, kann er auch nicht auswählen."
Die meisten Bauern in Chringi und Beriathol hängen an ihrem Land und ihrer Arbeit als Bauern und Kleinunternehmer. Mittlerweile sind viele an die Stromnetze angeschlossen, ihre Ernährung hat sich verbessert, manche leisten sich Fernseher, ihre Kinder gehen in die Schule. Wie attraktiv ist es aber für die nächste Generation, auf dem Land zu schuften und gleichzeitig das moderne Leben in den Städten über ihre Bildschirme zu verfolgen?

Eine ehemalige Viehhirtin in Delhi

Zurück in der Hauptstadt. Mitten im Zentrum von Delhi, im Hof des Indira Gandhi National Centre for the Arts sitzt Shiring Doma Lhopa aus dem Himalaya-Staat Arunachal Pradesh auf einer Holzbank:
"I am from Arunchal Pradesh. And I am a yakherder."
Sie ist Yak-Hirtin. Sie war einmal Yak-Hirtin, korrigiert sie sich. Die 26-Jährige ist nach Delhi gekommen, weil es hier eine Ausstellung und eine Messe gibt. Sie will sich mit Unternehmern, Farmern und anderen Viehhirten austauschen.
Die ehemalige Yak-Hirtin Shiring Doma Lhopa bei der Hirten-und-Farmer-Messe-im Indira Gandhi Centre for the Arts in Delhi
Die ehemalige Yak-Hirtin Shiring Doma Lhopa© Edith Luschmann
Ihre Eltern hatten das Nomadenleben einst aufgegeben, sind in die Stadt gezogen, wo Shiring zu Schule gehen konnte. Nun sind die Eltern wieder zurückgekehrt. Als Hirten, in die Berge. Shiring weiß noch nicht genau, wohin sie gehört:
"Die junge Generation, will nicht so hart arbeiten, sie sehen die Menschen in der Stadt, in Autos, in Wohnungen. Da will doch niemand in den Bergen bleiben, hart arbeiten und als Nomade leben. Jeder möchte die neuen Möglichkeiten für sich nutzen. Ich habe ein Zuhause und fahre morgens mit dem Bus."
Ihre Eltern, erzählt sie, wollten ihre Identität – ihre Lebensweise und Traditionen am Ende nicht aufgeben. Und auch für sie selbst ist es ein wichtiger Faktor für ihr zukünftiges Leben geworden, das Wissen und die Kultur ihres Volkes zu schützen:
"Ich würde auch wieder zurückgehen. Ja, mit den Technologien, die es heute gibt! Das ist das, was ich mitnehmen kann. Die Kleidung aus Yak-Wolle ist beliebt. Aber wo ich herkomme, machen sie wenig daraus. Ich würde gerne weiter gehen und mir was Neues ausdenken. Kleidung mit guter Qualität, Ledertaschen zum Beispiel."

Der Traum von der Webmaschine

Shiring hat sich ihre Sonnenbrille ins Haar geschoben und erzählt von den Handarbeiten, die in ihrem Dorf angefertigt werden. Das Einzige, was sie für ihre Pläne bräuchte, sei eine gute Webmaschine. Und bessere Unterstützung:
"In meinem Dorf ist es so. Aus Wolle machen sie diese Mützen. Sie denken sofort an diese Mützen. Wenn du ihnen Wolle in die Hand gibst, dann werden sie dir eine Mütze daraus machen. Und wenn du ihnen mehr Wolle gibst, dann werden sie dir immer noch eine Mütze daraus machen. Sie denken nicht innovativ. Die jüngere Generation ist da anders. Wenn du ihnen so viel Wolle geben würdest, dann werden sie dir alle möglichen Arten von Kleidung daraus herstellen, die du auf dem Markt verkaufen kannst."
Für Radesh Shyam, den ehemaligen Bauern mit dem Süßigkeitenladen, steht der Fortschritt seiner Familie an erster Stelle. Er hat sich damit zufriedengegeben, das Landleben hinter sich zu lassen. Auch für die Yak-Hirten im Nordosten Indiens wird das traditionelle Leben durch trockenere Böden und die zunehmende Industrialisierung schwieriger. Shiring Doma Lhopa aber hat die Hoffnung, ihr traditionelles Leben auch in Zukunft zu bewahren, noch nicht aufgegeben:
"Früher war es die Technik, die die Menschen vom Dorf in die Städte gebracht hat. Nun muss die Technik uns auch wieder auf das Dorf zurückbringen!"
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