Indien

"Das schlimmste aller Verbrechen"

Von Sandra Petersmann · 17.12.2013
Vor einem Jahr sorgte eine tödliche Gruppenvergewaltigung in Neu Delhi für Entsetzen. Die brutale Tat rüttelte Indien auf und zwang das Land, sich Tabuthemen zu stellen. Junge Frauen wehren sich.
Sunita Krishnan:"Ich bin kein Opfer. Ich bin die Überlebende einer Vergewaltigung."
Nach ihrer Gruppenvergewaltigung gab es keinen Aufschrei. Sunitha Krishnan und ihre Familie litten still. Sunita war erst 15, als acht Männer über sie herfielen. Heute ist sie 41 Jahre alt und kämpft für die Rechte missbrauchter Frauen und Mädchen.
Sunita Krishnan: "Meine Eltern wurden damals von fast allen dafür kritisiert, dass sie mir Freiheiten gegeben hatten. Die gleichen Menschen sorgten auch dafür, dass ich mich nach der Tat schämte und schuldig fühlte. Sie kapierten einfach nicht, dass ich diejenige war, die Alpträume hatte und damit klarkommen musste, von 16 Händen missbraucht worden zu sein. Du musst mit dem Schmerz und der Scham ein Leben lang klarkommen. Aber diese Menschen sagen: Du hast es doch selber herausgefordert, warum warst du alleine unterwegs."
Im Gegensatz zu unzähligen anderen Sex-Verbrechen vorher und nachher traf die Gruppenvergewaltigung von Neu Delhi am 16. Dezember 2012 einen gesellschaftlichen Nerv. Alle wichtigen Medien berichteten zum ersten Mal rund um die Uhr, die Volksseele kochte. Eine Mauer des Schweigens stürzte ein:
[Demonstrantin] "Wir wollen echten Wandel, um Leben zu retten. Wir wollen Gerechtigkeit. Es reicht. Aber es passiert weiter! Jeden Tag!"
Ein Jahr später sind die emotionalen Massenproteste Geschichte. Doch vor allem die junge, städtische Mittelschicht sorgt bis heute dafür, dass die angestoßene gesellschaftliche Debatte nicht wieder einschläft. Die Diskussion hat an Tiefe gewonnen. Es geht längst nicht mehr nur um die Todesstrafe für Vergewaltiger.
[Mann] "Eine Vergewaltigung ist das schlimmste aller Verbrechen. Es gibt etwas in meinem Leben, an das ich glaube, und das ist der Respekt für die Frauen in meiner Familie. Nichts ist mir heiliger. Es ist erniedrigend wenn dieser Respekt angegriffen wird und verloren geht."
[Frau] "Du machst aus Frauen Göttinnen, aber du gibst ihnen keine Macht. Du sagst, die Frauen in meiner Familie sind dir heilig, aber du gibst ihnen nicht das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Du sagst: Wir beschützen euch, aber das hat nichts mit Gleichheit zu tun."
[Frau] "Die Rolle der Frau als schwaches Geschlecht ist ein gewolltes soziales Konstrukt. Wir werden doch in dem Glauben erzogen, schwach zu sein."
Gewalt gehört für viele indische Frauen zum Alltag. Sie bewegen sich zwischen verstörenden Extremen: Mal sind sie Premierministerin und mal das unerwünschte Geschlecht, das gezielt abgetrieben wird. Mal sind sie ein angeschmachteter Bollywood-Star mit sexy Hüftschwung, und mal sind sie zu einem rechtlosen, unsichtbaren Leben in den eigenen vier Wänden verdammt.
Mehr zum Thema