In memoriam Stanisław Skrowaczewski

Chronisch von Bruckner infiziert

Der Dirigent Stanisław Skrowaczewski
Der Dirigent Stanisław Skrowaczewski © Toshiyuki Urano/Intermusica
03.03.2017
Eine große Aura hatten Konzerte mit Stanisław Skrowaczewski - in dieser Aufnahme leitete der damals 92 Jahre alte polnisch-amerikanische Dirigent das RSB in Anton Bruckners abendfüllender 8. Sinfonie.
Er dürfte der älteste praktizierende Dirigent weltweit gewesen sein - am 21. Februar 2017 ist Stanisław Skrowaczewski im Alter von 93 Jahren in Minnesota gestorben. Unermüdlich war er auf fast allen Kontinenten unterwegs, um vor allem die Sinfonien Anton Bruckners aufzuführen. Diese Musik bedeutete ihm besonders viel - eine Radioübertragung der 7. Sinfonie hörte er als Kind in seiner Heimatstadt Lemberg, als er an einem geöffneten Fenster stand. Dieses Erlebnis aus den Pionierjahren des Radios hatte mystische Qualitäten - der kleine Stanisław wurde krank, und sein Vater, ein angesehener Arzt, konnte keine organischen Ursachen feststellen. Die Krankheit hat er in gewisser Weise bis ins hohe Alter behalten. In Japan genießt er Kultstatus gerade als Brucknerdirigent. Aber auch auf dem alten Kontinent, vor allem in Polen und Deutschland wird er überaus geschätzt. Seine Einspielung aller - auch der "apokryphen " - Bruckner-Sinfonien mit dem Radio-Sinfonieorchester Saarbrücken (der heutigen Deutschen Radio Philharmonie) auf CD wurde hoch gelobt und vielfach ausgezeichnet.
Wenige Tage vor seinem allerletzten Europa-Konzert im April 2016 hatte er mit dem NOSPR (dem Nationalen Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks) ebenfalls die 8. Sinfonie Bruckners in Katowice aufgeführt - und kurz darauf folgte dasselbe fast eineinhalbstündige Werk in der Berliner Philharmonie mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester. Seinem hohen Alter und damals schon schwachen Gesundheitszustand entsprechend ließ er den Musikerinnen und Musikern viel Freiraum zum selbständigen Denken, Fühlen und Musizieren. Doch seine interpretatorischen Vorstellungen verstand er wie Pflöcke innerhalb eines transzendenten Bauwerks einzupflanzen. Himmlisch war es auf jeden Fall, diese Musik mit diesem Dirigenten zu erleben. Nicht wenige Menschen in der Philharmonie haben geweint am Ende dieser Sinfonie, weil sie ahnten, es könnte das letzte Konzert gewesen sein, das sie mit diesem wunderbaren Künstler erlebt haben.
Leider war es so - diese Aufnahme ist Skrowaczewskis Vermächtnis. Nur noch einmal hat er daraufhin dirigiert, im vergangenen Oktober bei seinem Minnesota Orchestra, das er einstmals zu einem der besten Nordamerikas gemacht hatte. Wir erinnern an diesen großen Dirigenten, humanistischen Künstler, Komponisten und Zeitzeugen eines gewalttätigen Jahrhunderts mit dieser Sendung.
Vorab senden wir ebenfalls als Wiederholung ein Interview mit Stanisław Skrowaczewski, das Volker Michael nach der Generalprobe am 17. April 2016 in der Philharmonie Berlin führen konnte. Und nach der Sinfonie Anton Bruckners berichtet der Tonmeister Thomas Raisig über seine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Dirigenten bei der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern.
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 17. April 2016
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 8 c-Moll WAB 108

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Stanisław Skrowaczewski