"In manchen Regionen sieht man kaum andere Wahlplakate"

Moderation: Frank Meyer · 30.08.2011
Der Soziologe Andreas Willisch warnt davor, die NPD zu unterschätzen. Das Problem sei nicht vom Tisch, wenn die Partei den Einzug in den Schweriner Landtag am kommenden Sonntag verpasse.
Frank Meyer: In Mecklenburg-Vorpommern organisiert diese Partei Protestdemos vor Betrieben, die Leute entlassen, diese Partei berät Hartz-IV-Empfänger, sie gibt sogar Lokalzeitungen heraus - diese Partei ist die rechtsextreme NPD, die sich auf diese Weise als die Kümmererpartei inszeniert. Warum ihr die anderen Parteien überhaupt diese Chance überlassen, das fragen wir den Soziologen Andreas Willisch, der sich mit sozialen Entwicklungen in Ostdeutschland befasst und der selbst in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Willkommen, Herr Willisch!

Andreas Willisch: Guten Tag!

Meyer: Was ich gerade aufgezählt habe - Protestdemos gegen Entlassungen zum Beispiel -, das ist ja doch eigentlich die klassische Domäne der SPD oder der Linken, gerade in Ostdeutschland. Warum überlassen die der NPD da das Feld, in Mecklenburg-Vorpommern?

Willisch: Na, ich glaube, besonders in den ländlichen Räumen haben die etablierten Parteien - und ich nenne jetzt mal alle die, die Sie aufgezählt haben, zu den etablierten Parteien - das Feld eigentlich aufgegeben. Und in diese Leere stößt die NPD natürlich hinein. Die Gesellschaft hat unglaublich viele Fragen, die Leute in diesen Gesellschaften kriegen wenig Antworten, und sie kriegen dann auch noch die falschen Antworten von den Kümmerern, von der NPD.

Meyer: Und warum haben die etablierten Parteien diese kleineren Orte aufgegeben?

Willisch: Ich glaube gar nicht, dass die Parteien also in so einem aktiven Sinne das aufgegeben haben, sondern es gibt einfach weniger Mitglieder, die Mitglieder organisieren sich an bestimmten Punkten, und da, wo sich die Leute nicht organisieren, dort gibt es sie eben nicht.

Und die NPD hat von Anfang an eine andere Strategie gefahren - die wollten eben genau dahin -, und für die anderen etablierten Parteien, die ja durchaus an den Wahlen und so weiter erfolgreich sind, ist es bisher eigentlich kein Problem gewesen. Heute sind etablierte Parteien nicht mehr so vernetzt in diese Zivilgesellschaft, in die Bürgergesellschaft hinein.

Meyer: Und funktioniert diese Kümmererstrategie der NPD, ist dann die Wahrnehmung vor Ort tatsächlich: Das sind die, die sich um unsere Belange kümmern, auch um die ganz einfachen, Hartz-IV-Beratung, Seniorenstammtische, so die richtige parteipolitische Basisarbeit. Oder gibt es da so was wie eine zivilgesellschaftliche Gegenwehr?

Willisch: Das sind zwei Dinge, die man da auseinanderhalten muss. Zunächst das, was Sie mit funktionieren ansprechen, das ist, glaube ich, klassische normale Parteiarbeit, die die da machen.

Meyer: Ich meine, kommt sie an bei den Leuten?

Willisch: Die kommt teilweise an, die sind auch nur partiell präsent. Es gibt Gegenden, da sind sie präsenter, und da, wo ich zum Beispiel lebe, da sind sie überhaupt nicht präsent. Da ist neulich nachts ein Auto vorgefahren, wir sind im Schlaf hochgeschreckt, da hat irgendein NPD-Sympathisant seinen Wahlzettel, seine Werbung eingeworfen und ist dann schnell wieder weggefahren - also die kommen nicht überall gleichermaßen an.

Meyer: Wo ist das, wo Sie leben?

Willisch: Das ist bei Plau am See, also eher im westlichen Teil Mecklenburgs. Und was Sie mit der Zivilgesellschaft ansprechen, das ist nun tatsächlich eine sehr interessante Frage, weil sich doch in den letzten Jahren so ein Reflex herausgebildet, etabliert hat, dass wir gegen die Rechtsextremen, gegen die NPD mit staatlichen Programmen antworten.

Also nicht die Parteien, die normalen natürlichen Konkurrenten, sagen, okay, wenn es da eine Stärke der NPD gibt, da gründen wir auch ein Parteibüro und kümmern uns auch, sondern wir erwarten, dass die Gesellschaft, der Staat in dem Sinne, irgendein Programm auflegt, und mit diesem Programm gehen wir dann gegen Rechtsextremismus vor. Aber damit kann man natürlich keine öffentliche Bürgergesellschaft gründen, sondern es braucht die Gegenmeinung, es braucht die anderen Antworten zu den Fragen, wo die NPD die falschen Antworten hat.

Meyer: Diesen Rückzug der Partei, den hat man im Moment ja buchstäblich vor Augen, wenn man durch dieses Land fährt, weil das halbe Land hängt voller NPD-Plakate, und in manchen Regionen sieht man kaum andere Wahlplakate von den anderen Parteien. Warum überlassen die anderen Parteien denn auch gerade auf diesem Gebiet, wo es um Wählerstimmen geht, also um ihre ureigenen Interessen, um die nächste Legislaturperiode, auch da der NPD so diesen öffentlichen Raum?

Willisch: Ich glaube auch, das ist sehr abhängig davon, wo man hinkommt. Da, wo ich lebe - wie gesagt, Plau am See, in der Gegend um Lübz, Parchim -, da sehen Sie neben den NPD-Plakaten auch alle anderen Plakate.

Meyer: Aber es gibt Ecken in Vorpommern vor allem, wo das ganz anders sein muss.

Willisch: Das soll da ganz anders sein, aber es gibt da auch ganz interessante Gegenbewegungen, die muss man auch sehen. Ich habe neulich ... ich weiß nicht, kennen Sie diese ganze Storch-Heinar-Geschichte? Ein SPD-Mensch, der sozusagen da eine Satire darauf gegründet hat, und die haben unter alle NPD-Plakate diese Storch-Heiner-Plakate geklebt, und da hat sich eine Zivilgesellschaft dagegen organisiert, dass da Hoteliers in Rostock gesagt haben, nein, da wollen wir was dagegen machen, wir bezahlen die Plakate, wir hängen die auch selber mit auf.

Also Sie sehen, da tut sich was, da ist es was, die etablierten Parteien müssen da noch nachholen und im doppelte Sinne schon, glaube ich, nachholen. Einerseits müssen Sie natürlich ein Gefühl auch für die Leute kriegen. Bei uns im Dorf hängt zum Beispiel ein ganz einsames Plakat von der FDP, aber ich glaube, die kennt da überhaupt keiner, da hat noch nie jemand FDP gewählt, aber das hängt da ganz einsam im Dorf - da hängt kein NPD-Plakat.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, der Soziologe Andreas Willisch ist bei uns, wir reden über die Strategien der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und die Chancen der Rechtsextremen bei den nächsten Landtagswahlen. Sie haben Storch Heinar gerade angesprochen, das ist ja so eine Persiflage auf das Modelabel Thor Steinar zum Beispiel, das die Rechtsextremen so mögen, also die ganze rechtsextreme Kultur wird eigentlich auf die Schippe genommen von dieser Storch-Heinar-Kampagne. Das ist so - auch mit etwas Abstand betrachtet - ziemlich lustig, aber hilft das eigentlich tatsächlich in der direkten Auseinandersetzung vor Ort?

Willisch: Ich denke schon. Man wird die NPD und deren Kümmererbasis nicht mit Storch Heinar bekämpfen können, das ist schon klar, aber das ist mal ein etwas anderer Versuch, sich diesen politischen Inhalten, die die vermitteln wollen, zu nähern, ohne sozusagen immer gleich mit der Moralkeule zu kommen und zu sagen, wir dürfen da gar nicht dran denken, uns mit denen auseinanderzusetzen, wir müssen da irgendeine Menschenkette haben und demonstrieren.

Ich glaube, alles ist nötig, und in dieser Reihe findet sich auch Storch Heinar wieder. Ich finde das ganz interessant, und für Leute wie mich - und da gibt es sicherlich auch einige davon in Mecklenburg-Vorpommern -, die spricht das ganz gut an, und so muss man, glaube ich, für die vielen Leute so Anknüpfungspunkte finden.

Meyer: Sie haben uns ja erklärt, dass die etablierten Parteien vor Ort eigentlich in den kleineren Orten der NPD kaum etwas oder zu wenig entgegensetzen - die andere Frage ist ja, was machen Sie eigentlich im Landtag? Die "Süddeutsche Zeitung" hat dazu geschrieben, dass die etablierten Parteien - CDU und SPD - vor allem sich da relativ klug verhalten haben, weil sie so etwas wie eine gemeinsame Abgrenzung gegen die NPD geschaffen haben. Ist das auch Ihre Beobachtung?

Willisch: Das ist meine Beobachtung. In den Landtagen, insgesamt in Ostdeutschland, aber wir können da ja auch auf Erfahrungen im Westen zurückgreifen, funktioniert es mittlerweile ganz gut, die etablierten Parteien tappen da auch nicht mehr in jede Falle, wie das auch mal in Sachsen - wir erinnern uns - gewesen ist.

Aber es müsste natürlich jetzt auch der nächste Schritt kommen, diese tatsächliche Auseinandersetzung mit den Ideen dieser Rechtsextremen vor Ort. Und das sind nun mal Probleme, die wir haben mit abgehängten peripheren Entwicklungen, Dörfern, und auch mit so einer Ungleichzeitigkeit von Entwicklung. Darüber wird meines Erachtens zu wenig gesprochen, wie es sein kann, dass es der Landwirtschaft beispielsweise - die ist ja manchmal die einzige funktionierende Branche - sehr, sehr gut geht und den Leuten in den Dörfern sehr, sehr schlecht geht, wo es viel Arbeitslosigkeit gibt, viele Hartz-IV-Empfänger gibt, wie man das zusammenkriegt, wie man das beiderseits erklären kann.

Und das versuchen ja sozusagen die Leute der NPD, darauf sozusagen anzuspringen und die Leute an der Stelle abzuholen. Und für diese Fragen, da gibt es keine öffentliche Debatte darüber, wie können wir das machen, wie können wir sagen, dass die Unternehmen, die sich da gründen, wieder mehr Verantwortung auch für die Region übernehmen.

Meyer: Wirtschaftliche Entwicklung ist natürlich ein wichtiges Stichwort, weil es ja die These gibt, da, wo es den Leuten wirtschaftlich schlecht geht, da hat die NPD besonders leichtes Spiel. Jetzt, wenn man insgesamt auf Mecklenburg-Vorpommern schaut, das Land, denen geht es deutlich besser, wenn man vergleicht mit 2007, Zeitpunkt der letzten Wahl - die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen um ein Drittel, es gibt inzwischen für Jugendliche sogar mehr Ausbildungsplätze, als noch junge Leute in diesem Land leben. Würden Sie sagen, das entzieht der NPD, zumindest langfristig gesehen, den Boden?

Willisch: Das wird der NPD das jedenfalls wesentlich schwerer machen, mit so einfachen Parolen zu punkten. Wenn es mehr Lehrstellen als junge Leute gibt, dann kann man natürlich nicht sagen, die Ausländer nehmen uns die Arbeit oder die Lehrstellen weg. Aber wie wir erlebt haben, sind die auch intelligent, also die sind schon in der Lage, sich auch an veränderte Bedingungen anzupassen, und sie haben sich jetzt auch diese Basis geschaffen.

Also wir kommen nicht drumherum, auch wenn es dem Land besser geht, eine politische Auseinandersetzung mit denen zu führen. Was sie ja auch zeigen, ist, das mit dem Kümmern wird ja auch ein bisschen so von oben herab gesagt - die kümmern sich eben -, aber was sie gezeigt haben, ist, dass politische Arbeit in diesen ländlichen Räumen, in diesen Peripheren, zum Teil abgehangenen Räumen, in diesen Städten gemacht werden kann und dass die Leute darauf ansprechbar sind. Und nun müssten die anderen Parteien das in die Hand nehmen und sagen, okay, wir haben gesehen, das geht, und wir müssen diese politische Auseinandersetzung vor Ort suchen.

Meyer: Jetzt bei den Prognosen, die es im Moment gibt für die Wahl am Sonntag, steht die NPD bei manchen so bei vier Prozent, bei anderen bei fünf Prozent, also es ist noch nicht ganz sicher, ob sie wieder hineinkommt in den Landtag. Es gab mehrere Kommentare in den letzten Tagen, in Zeitungen, die sagen, die NPD hat wohl den Zenit in Mecklenburg-Vorpommern überschritten und kommt eben, wie gesagt, eventuell nicht wieder in den Landtag. Wie sehen Sie das?

Willisch: Ich glaube und würde mir sehr wünschen, dass sie nicht in den Landtag kommen, aber wir sollten deswegen nicht den Fehler machen zu sagen, die NPD hat den Zenit überschritten oder diese politischen Positionen, die sie formuliert, hätten dadurch keinen Rückhalt mehr in dem Land. Wir erleben schon auch, dass durch ihre Basisarbeit sie sich da einen etwas festeren Punkt geschaffen haben, und das Problem ist damit keineswegs vom Tisch, nur wenn sie nicht im Landtag sitzen.

Meyer: Also die NPD bleibt in Mecklenburg-Vorpommern erst einmal präsent, sagt der Soziologe Andreas Willisch. Wir haben über die Strategien der NPD und die kommenden Landtagswahlen gesprochen. Herzlichen Dank!

Willisch: Ich danke Ihnen!

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