"In Kasachstan gibt es weder Kultur noch Zivilisation"

Von Oliver Soos · 07.04.2014
Der kasachische Dissident Kanat Ibragimov ist durch spektakuläre Auftritte bekannt geworden. Er ist einer der wenigen Künstler, die unter großem Risiko gegen die Regierung des autoritären Präsident Nasarbayev aufbegehren.
Sonntag Mittag im Zentrum von Kasachstans größter Stadt Almaty: Das Chinarestaurant "Princess Turandot" ist gut gefüllt. Kanat Ibragimov hat panierte Garnelen bestellt, dazu Cola und russischen Vodka. Der 48-Jährige guckt immer wieder wachsam in die Runde, in seiner Jacke hat er ein Klappmesser:

"Es ist gefährlich hier. Sie können einen verhaften oder töten, wie sie es beim Journalisten Lukpan Achmedjarow versucht haben. Er hat zwei Schüsse und acht Messerstiche abbekommen. Oder wie beim Theaterregisseur Bolat Atabajew - den haben sie mit dem Gesicht gegen den Asphalt geschlagen. Oder wie bei meiner Frau und meinem kleinen Kind - da sind Leute vom Geheimdienst vorbeigekommen, um sie zu erpressen."

Zweimal wurde Kanat Ibragimov verhaftet, einmal im Restaurant, einmal im Fitnessstudio. Nach jeweils zwei Wochen ist er wieder freigekommen. Doch den Mund lässt er sich nicht verbieten. Bei jeder Gelegenheit kritisiert er seinen Präsidenten. Kasachstan ist einer der erdölreichsten Staaten der Welt und dennoch ist Armut weit verbreitet, Korruption grassiert.

"In Kasachstan gibt es weder Kultur noch Zivilisation. Wir werden seit 20 Jahren vom verlogenen Nasarbayev-Regime regiert. Aber das Volk demonstriert nicht für Veränderungen, sondern hat nur Dollar und Euro im Kopf. Nasarbayev war bis zum Ende der Sowjetunion Kommunist, dann hat er sich einen neuen Anstrich verliehen. Er hat seine grünen KPSS-Socken gegen Louis Vuitton-Anzüge eingetauscht und sich als Demokrat ausgegeben. Doch in Kasachstan gibt es keine echten Wahlen, keine echte Demokratie."

Kanat Ibragimov hat an der Kunsthochschule Almaty studiert. 1986 war er auf der Straße, als die Kasachen als erste gegen die Sowjetunion protestierten. Doch auch nach der Unabhängigkeit legte er sich mit der Regierung an. 2011 unterstützte er protestierende Ölarbeiter im westkasachischen Zhanaosen. Dort tötete die Polizei mindestens 14 Menschen. Seitdem geht der Präsident hart gegen Oppositionelle und kritische Journalisten vor. Auch Kanat Ibragimov wird abgehört und beobachtet.

Der Platz der Republik in Almaty. Hier sorgte Kanat Ibragimov mit einer Straßenperformance für Aufsehen, im Februar 2010:
"Ich habe in Blogs angekündigt, dass ich auf den zentralen Platz in Almaty kommen und eine Kunstaktion machen werde. Das Motto lautete: "Der Fisch stinkt vom Kopf". Mehr habe ich nicht verraten. Ich bin mit einem großen Karpfen gekommen. Die Polizei und der Geheimdienst waren schon da. Sie haben mir den Fisch abgenommen und ihn untersucht. Ich habe gesagt: Gebt mir meinen Fisch zurück, das ist mein Eigentum."

Kanat Ibragimov holt sein Smartphone heraus und zeigt einen Youtube-Clip der Aktion: "Der Fisch stinkt vom Kopf", ruft der Maler auf Kasachisch und Russisch, dann hackt er dem Karpfen den Kopf ab. Sofort nimmt ihn die Polizei fest. Doch weil man Kanat Ibragimov diese Regierungskritik nicht als Straftat nachweisen kann, wird er kurze Zeit später wieder freigelassen.

Auch Kanat Ibragimovs Gemälde sind mit ironischen Anspielungen gespickt. Es sind großflächige Acrylbilder mit grellen Farben, viel Blattgold und einfachen Figuren.

"Ich mache Kitsch, Glamour-Kitsch. In unserer Gesellschaft zählt nur das größte Auto, die teuerste Kleidung, das beste Gehalt. In meinen Bildern tauchen immer wieder dieselben vier Figuren auf: Die Hand, sie steht für den Islam, für den Namen Allahs. Der Vogel steht für die Freiheit. Das Mädchen mit Hörnern ist aus einer mongolischen Legende. Sie hat Dschingis Khan den Penis abgebissen. Und die Raute steht für die Jurte, das Nomadenzelt. All das steht symbolisch für die kasachische Revolution, aber in einer kitschigen Form, sehr einfach."

Kanat Ibragimov wohnt in einer kleinen, gemütlichen Drei-Zimmer-Wohnung in einem Außenbezirk von Almaty. Sein Wohnzimmer ist auch gleichzeitig sein Atelier.

Während er indischen Chai kocht, holt er ein Glas mit einer Flüssigkeit aus seinem Kühlschrank. Darin schwimmt ein kleiner verschrumpelter Hautfetzen. Es ist seine Vorhaut. Zum 70. Geburtstag des Präsidenten hat sich Kanat Ibragimov vor versammelter Presse beschneiden lassen. Ein Protest gegen den aus seiner Sicht fast schon religiösen Nasarbayev-Kult.

Sein wichtigstes Exponat für die Londoner Tate Modern Galerie, sagt Ibragimov scherzhaft. Seit dieser Aktion darf er nicht mehr öffentlich auftreten und in keiner Galerie mehr ausstellen. Seine Bilder verkauft er nur noch an reiche Kasachen im Ausland, die das Rebellische schick finden.
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