In der Werkstatt des Lyrikers

19.04.2011
Antonio Skármeta hat eine Leidenschaft für linke Ideologie und für den Dichter Pablo Neruda, an den er mit diesem Buch erinnert. Leider erzählt er dabei allzu viel von sich selbst.
Dieses Buch weckt gegensätzliche Gefühle. Es erhebt und verstimmt den Leser, es berührt, es stößt auch ab. Ein Autor mit klingendem Namen hat es verfasst: Antonio Skármeta, geboren 1940 in Chile, während der Pinochet-Ära im Westberliner Exil, 1989 kehrte er zurück nach Santiago. Von 2000 bis 2003 war der Chilene Botschafter in Berlin.

Neben seiner Passion für die Literatur zeigt Skármeta vor allem zwei Leidenschaften: für linke Ideologie und für Pablo Neruda (1904-1973). Ein Buch über den Poeten ("Mit brennender Geduld", 1985) und ein Film zum Buch ("Der Postmann", 1994) machten den Erzähler bekannt. Nach einer Reihe glückloser Prosawerke schreibt Skármeta nun erneut über Neruda. In welche Schublade gehört das Werk, wenn man eine wählen müsste? Non-Fiction auf alle Fälle, vielleicht ist es ein Essay.

Das Buch gewährt Einblicke in Vita und Werkstatt des Lyrikers. Wir sehen den Genussmenschen Neruda, den manischen Sammler, auch den großen Einsamen; wir lesen von der Wirkung seiner Vorträge (Zuhörer wirkten wie berauscht). Skármeta ergründet die Schnittstellen von Alltag und Poesie (etwa: welche Frauen inspirierten den Meister zu welchen Gedichten?), er beschreibt bizarre Begegnungen mit Neruda und den Einfluss des Älteren auf sein, Skármetas, Schaffen.

Nach achtzig Seiten Annäherung - Seiten voller Histörchen, notiert in einer blumigen Sprache - folgen 140 Seiten Interpretationen. Skármeta erläutert seine Lieblingsgedichte, er erinnert an die große Zyklen, etwa "Aufenthalt auf Erden" und "Elementare Oden", es ist ein Hymnus der Verehrung und Verklärung.

Bald bemerkt man Missklänge. Der politische Protagonist Neruda wird idealisiert. Dieser Protagonist hat nichts gemein mit einem ambivalenten Künstler, über den Roberto Bolaño einmal schrieb: "Wer imstande war, Oden an Stalin zu verfassen, hatte meinen Respekt nicht verdient." Leser, die Neruda anders sehen, als Skármeta dies tut, werden abgestraft: Kritik an einem späten Zyklus etwa sei ein "Irrglaube", der "auf Geschmacklosigkeit und Gemeinheit zurückzuführen ist". Das Anmaßende dieser Haltung spürte Skármeta wohl selbst, und so vermerkte er: Seine Version des Dichteres wolle "nur eine unter Hunderten" sein.

"Mein Freund Neruda" heißt das Buch, und dies ist ein sprechender Titel: Im Mittelpunkt steht das "Ich", der Verfasser. Neruda wird für Skármeta zum Anlass, in Erinnerung an eigene Erfolge zu schwelgen, an die schöne Zeit nach seinem großen Buch. Wieder und wieder erzählt Skármeta vom fiktiven Neruda, von der Buchfigur, von Filmszenen ("Ich lasse meinen Neruda die Verse aus Herbst sagen"). Er hantiert mit dieser fiktiven Figur, bis sich auch der reale Neruda zu verwandeln scheint: in eine Schöpfung des Antonio Skármeta.

Manch berühmter Dichterkollege hat es vorgemacht, wie man sich in der Rolle eines Biographen zurücknehmen sollte, wie man am besten verschwindet hinter der Figur, die man preisen möchte. Nur so entstehen die großen, die bleibenden Lebensbilder, Essays wie die eines Octavio Paz oder eines Mario Vargas Llosa.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Antonio Skármeta: Mein Freund Neruda. Begegnungen mit einem Dichter
Aus dem Spanischen von Petra Zickmann
Piper Verlag, München 2011
224 Seiten, 19,95 Euro