"In der Praxis ist da nicht viel passiert"

Martin Geiger im Gespräch mit Britta Bürger · 26.05.2010
Nicht nur in Polen, auch in Deutschland sei an der Oder ein Großteil der Mittel in technischen Hochwasserschutz investiert worden statt in natürliche Hochwasserflächen, kritisiert Martin Geiger vom World Wide Fund For Nature.
Britta Bürger: In Polen spricht man bereits von einer neuen Jahrhundertflut, 15 Menschen sind durch das aktuelle Hochwasser gestorben und auch Brandenburg ist in Gefahr: Die Pegel steigen kontinuierlich. (…) Am Telefon in Frankfurt am Main begrüße ich jetzt Martin Geiger von der Umweltstiftung World Wide Fund For Nature. Er leitet beim WWF den Fachbereich Süßwasser. Guten Morgen, Herr Geiger!

Martin Geiger: Guten Morgen!

Bürger: Wäre Polen die große Überschwemmung erspart geblieben, wenn die Deiche auf dem neuesten technischen Stand wären?

Geiger: Mit Sicherheit würde die Situation in Polen anders aussehen. Polen hat zwar auch investiert in Deichschutz und in technischen Hochwasserschutz, aber eben nicht so intensiv und so stark wie jetzt zum Beispiel auch auf der deutschen Seite, auf der brandenburgischen Seite.

Bürger: Was unterscheidet denn technisch neue Deiche von veralteten?

Geiger: Die neuen Deiche, da gibt es eben nach dem Elbehochwasser oder nach diesen Hochwässern gab es, gibt es eine neue DIN-Norm und neue Vorschriften. Nach diesen gibt es eben neue Regeln, wie diese Deiche auszusehen haben, also, die sind dann breiter angelegt, sind auch entsprechend sicherer, verbrauchen aber natürlich auch mehr Fläche und sind wesentlich massiver, also stellen auch einen deutlichen Eingriff natürlich in die Fläche dar.

Bürger: Polens Politiker sagen, Biber hätten die Dämme unterhöhlt, die Deiche unterhöhlt. Das kommt einem doch vor wie Realsatire. Haben die Biber wirklich was damit zu tun?

Geiger: Also, ich würde ganz klar sagen, dass man da jetzt nicht unbedingt die Biber als die Schuldigen da ausmachen sollte, sondern man sollte sich angucken, was wurde denn gemacht jetzt auch nach dem Oderhochwasser beziehungsweise insgesamt im Bereich Hochwasserschutz in Polen, und wirklich auch die Lehren daraus ziehen. Und ich glaube, da haben auch unsere polnischen Kollegen heftigst die Regierung und auch die Maßnahmen kritisiert, dass da eben nicht so viel passiert ist und dass sie auch zu stark auf technischen Hochwasserschutz gesetzt haben und sehr wenig auf den Bereich auch Deichrückverlegung oder ökologischen Hochwasserschutz.

Bürger: Es gab ja vor allem in Folge des verheerenden Oderhochwassers 1997 sowohl auf Bundesebene in Deutschland als auch auf EU-Ebene verschiedene Beschlüsse zum Schutz vor Hochwasser. Sie werden ja nicht sagen, das hätte man sich alles sparen können. Welche Weichenstellungen sind jetzt nachhaltig und durchaus sinnvoll, auch, was das Technische angeht?

Geiger: Also, diese neuen DIN-Normen als auch natürlich die Hochwasserschutzrichtlinien auf der Bundes- als auch auf die Hochwasserrisikovorsorge auf der EU-Ebene, das ist sehr wichtig, dass das passiert ist. Auch die Hochwasseraktionspläne oder -schutzpläne, die von den Flusskommissionen ausgearbeitet werden mit den lokalen Behörden sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen, und dann natürlich die konkrete Umsetzung, also nicht nur, dass dann die Pläne und Richtlinien dann vorliegen, sondern tatsächlich dann auch entsprechend gearbeitet wird.

Bürger: Und diese Richtlinien – damit ich das jetzt richtig verstehe –, die besagen einfach, wie dicht und wie groß und wie breit der Deich ist, oder was wird dort vorgeschrieben?

Geiger: Also, das eine ist praktisch die DIN-Norm, die gilt für die Art und Weise, wie Deiche gebaut werden oder wie Deiche ertüchtigt werden müssen. Es gibt aber dann eben noch weitere Richtlinien, die sagen eben aus, dass die Flächen, die Risikoflächen ausgewiesen werden müssen und gekennzeichnet und dass entsprechend auch das in Bebauungspläne oder überhaupt in die Art und Weise, wie in den Risikogebieten investiert wird, dass das entsprechend angepasst sein muss an diese Risiken, die es dort gibt.

Bürger: Das heißt, dass dort nicht gebaut werden darf?

Geiger: Ja, wobei in vielen Bereichen wenn jetzt da irgendwo Risikogebiete ausgewiesen werden – in einigen Bereichen wurde natürlich schon gebaut und da muss man halt sehen, wie geht man jetzt damit um, mit diesem Eigentum und den, ich sage mal, Eigentumswerten, die dort schon entstanden sind.

Bürger: Die aktuellen Überschwemmungen in Polen und das drohende Überschwappen auf Brandenburg beweisen, dass es noch immer an effizientem Hochwasserschutz mangelt in Europa. Wir sind im Deutschlandradio Kultur darüber im Gespräch mit Martin Geiger von der Umweltstiftung WWF. Naturschutzorganisationen wie Ihre, die sagen ja, dass Überschwemmungen eigentlich ganz natürlich sind, gäbe es an den Ufern der Flüsse noch natürliche Auenlandschaften. Wie ist es denn um die bestellt in den bedrohten Gebieten?

Geiger: Also, wenn man jetzt die Oder betrachtet in Polen: In Polen wurde ganz wenig investiert in dem Bereich Deichrückverlegung. Es gibt zwar einige Maßnahmen, die auch im Hochwasseraktionsplan enthalten sind, insgesamt für die Oder. Also Deichrückverlegungen sind da genannt, Ausweisung von Hochwasserentstehungsgebieten in Gebirgen, dass man da was auch an der Bewirtschaftung ändert und dass auch Überflutungsflächen wieder gewonnen werden. Aber in der Praxis ist da nicht viel passiert. Selbst in Deutschland an der Oder wurde der Großteil der Mittel – auch EU-Mittel – wurde in technischen Hochwasserschutz investiert und sehr wenig in den Bereich der natürlichen Hochwasserflächen.

Bürger: Aber sind die Auen jetzt nur durch Bebauung zerstört worden oder auch durch Deiche oder auch auf natürliche Weise? Also, müssen vorhandene Auen im Grunde auch gepflegt werden?

Geiger: Nein. Viele dieser Auen sind einfach ausgedeicht worden, das heißt, die sind abgeschnitten von der Dynamik des Flusses und es sind dann damit auch große Auenflächen verloren gegangen. Also, Größenordnung: 70, 80 Prozent der Auenflächen sind durch Begradigung und auch Deichbau verloren gegangen.

Bürger: Renaturierung ist in diesem Zusammenhang immer ein Zauberwort, also, dass man die natürlichen Auenlandschaften wiederherstellt. Der WWF ist selbst an solch beispielhaften Projekten beteiligt, an der Elbe zum Beispiel, da verlegen Sie gerade einen ganzen Deich ins Hinterland, um neue Auen anzulegen. Was gehört denn da alles dazu?

Geiger: Das ist ein aufwändiges und ein großes Projekt. Da geht es dann eben darum, den Deich zurückzuverlegen. Der alte Deich wird dann, wenn der neue Deich gebaut wurde und gesetzt ist, wird dann der alte Deich geschlitzt, es werden auch Flutrinnen abgesenkt, es werden natürliche Auenwälder wieder hergestellt und geschützt. Und wir haben auch ein solches Projekt an der Oder, wo wir jetzt entsprechend mit den polnischen Behörden an der Mittleren Oder entsprechende Planungen vorantreiben.

Bürger: Wie lange dauert so etwas? Das ist ja nicht nur eine rein technische Baustelle, dazu gehört ja eben auch, dass die Natur wieder Leben gewinnt dort.

Geiger: Von Projektidee bis Umsetzung und Abschluss 10 bis 15 Jahre.

Bürger: Und die Kosten?

Geiger: Die Kosten können ... an der Elbe, die gehen natürlich in die Millionen, also, es sind rund 20 Millionen, etwas mehr. Die Gelder werden vom Bund zur Verfügung gestellt, als auch anteilig vom Land und wir investieren auch einen Teil mit hinein. In anderen Regionen wird auch zum Teil ... von der EU werden Mittel eingesetzt, und die Frage ist halt, was kostet alternativ ... Was würde es kosten, entsprechende schwache Deiche zu ertüchtigen? Und das muss man natürlich auch ins Verhältnis setzen. Es ist etwas teurer als die Ertüchtigung des alten Deichs oder es ist teurer, aber man schafft natürlich damit auch Naturschutzwerte.

Bürger: Nicht das Wasser ist das Problem, sondern die Zerstörung der Ufer – Hochwasser, eine von Menschen gemachte Katastrophe. Martin Geiger vom WWF, danke für das Gespräch!

Geiger: Danke!