"In der Form unscheinbar, als Bekenntnis aber nicht minder wichtig"

Von Nina Josefowicz · 06.03.2012
Während Schumann die "Fantasiestücke" auf dem Höhepunkt seines Schaffens 1849 schrieb, sind die beiden folgenden Kompositionen von Alban Berg und Paul Hindemith Beispiele dafür, wie reizvoll es sein kann, die frühen Stücke berühmt gewordener Komponisten kennenzulernen. Beide Werke sind im Nachkriegsjahr 1919 uraufgeführt worden, zu einem Zeitpunkt, an dem niemand wusste, wie sich das kulturelle Leben entwickeln würde.
Alban Berg war 28 Jahre alt, als er sein Opus 5, die Vier Stücke für Klarinette und Klavier, noch vor Kriegsbeginn 1913 in Wien komponierte. Er berichtete über das neue Werk an seine Frau Helene:

"Die Klarinettstücke – in der Form unscheinbar, als Bekenntnis aber nicht minder wichtig – wirst Du vielleicht auch lieben, wenn Du Ihren Inhalt weißt und sie gut geblasen und gespielt einmal hörst."

Die Form ist insofern unscheinbar, als dass das kürzeste der vier Stücke neun Takte umfasst, während das längste aus 20 Takten besteht. Insgesamt dauern die vier Stücke nicht länger als acht Minuten.

Die von Berg hervorgehobene Bedeutung der Komposition bezieht sich wahrscheinlich auf die Loslösung von traditionellen Bindungen: Die Stücke sind strikt "atonal" und die sonst bei Berg auftauchenden tonalen Komplexe fehlen ganz. Außerdem entziehen sie sich einem durchgehenden Metrum. Im ersten Satz ändert Berg das Grundmetrum nahezu in jedem Takt. Darüber hinaus vermerkt er nachdrücklich in der Partitur:

"Nach jedem Stück ausgiebige Pause; die Stücke dürfen nicht ineinander übergehen!"

Berg arbeitete mit Spezialeffekten, wie der Flatterzunge auf der Klarinette (beim Blasen ist ein rollendes Zungenspitzen-R zu erzeugen) und dem Klavierflageolett. In den letzten drei Takten spielt die Klarinette eine kleine Septime abwärts und dann einen Echo-Ton, während das Klavier die Tasten unhörbar niederdrückt und im Anschluss die Tasten "so leise als möglich" anschlägt. Theodor W. Adorno beschrieb diese Takte so:

"Die aus der Zeit herausgestaute harmonische Energie der Stücke hat ihre Dämme zerschlagen samt der Form: traurig sinnt eine beseelte Stimme ihr nach."