In den Wind geschrieben

06.05.2012
Er heiratete eine taubstumme Frau, doch die Gebärdensprache lernte er nicht. Solche privaten Abgründe kommen in der Biografie über den Erfinder des Morse-Alphabets, Samuel Finley Morse, nur am Rande zur Sprache. Die Autorin konzentriert sich zu sehr auf seine beruflichen Erfolge. Der Mensch hinter den Fakten bleibt konturlos.
"Ich wünschte, ich könnte Euch diesen Bericht in einem einzigen Augenblick übermitteln", schrieb Samuel Finley Morse 1811 in einem Brief aus London an seine Eltern im heimatlichen Massachusetts. Ein Wunsch, für dessen Erfüllung er später selbst sorgte. Denn Morse entwickelte den ersten elektrischen Telegrafen und die nach ihm benannten Morsezeichen, mit denen sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts Nachrichten in Windeseile weltweit verbreiten ließen – die Geburtsstunde moderner Kommunikation.

Dabei war der Erfinder alles andere als ein Techniker, wie seine Biographin Margit Knapp verrät. Er wollte auch keiner sein. Sein Berufswunsch: Künstler. So zog er zunächst nach London, studierte an einer Kunstakademie, hatte zunächst überraschend großen, dann mäßigen Erfolg als Maler, kehrte in die USA zurück und versuchte als Maler zu überleben. Recht erfolglos. Eine weitere Reise nach Europa folgte, und auf der Rückfahrt traf er einen Physiker, der ihm das Prinzip des elektrischen Stroms erklärte: Dass Strom immer mit der derselben Geschwindigkeit fließe und man einen Stromkreis öffnen und schließen könne: ein, aus – ein Rhythmus, mit dem man auch Nachrichten übermitteln kann.

Margit Knapp erzählt das alles unaufgeregt und routiniert. Gut und spannend beschreibt sie die eigentliche Erfindung. Wie Morse aus einem alten Keilrahmen seinen ersten Telegrafen baute, wie er das erste Morse-Alphabet entwarf, was die Konkurrenz tat (sie nutzte den optischen Telegrafen), wie er Probleme mit der Stromzufuhr löste, wie er in Tests Nachrichten erst von Raum zu Raum sendete, dann über die Flure der Universität und schließlich über mehrere hundert Meter in Nebengebäude. Am 6. Januar 1838 wird der erste Satz über den elektrischen Telegrafen gesendet: "Ein geduldig Wartender ist kein Verlierer".

Doch der Durchbruch war das noch nicht: Morse versuchte in Europa sein Patent anzumelden, scheiterte aber an der Konkurrenz. 1842 bewilligt schließlich US-Präsident John Tyler 30.000 Dollar, um zwischen Washington und Baltimore eine Probestrecke für den Telegrafen zu errichten. Die wird am 24. Mai 1844 eröffnet: Der "New York Herald" feiert "einen Meilenstein in der Nachrichtenvermittlung".

Obwohl Margit Knapp ausführlich von den technischen und wirtschaftliche Schwierigkeiten sowie den späteren Triumphen Morses berichtet – 1871 wird ihm noch zu Lebzeiten ein Denkmal im New Yorker Central Park enthüllt – bleibt der Leser doch ein wenig enttäuscht zurück. Denn was den Menschen Samuel Finley Morse antrieb, erfährt man nicht. Sicher, man liest, dass Morse der Sklaverei anhing, dass er kein Verhältnis zu seinen Kindern hatte, dass er eine taubstumme Frau heiratete, aber nie die Gebärdensprache lernte: All das wird angesprochen. Aber weil die Autorin streng chronologisch erzählt, bleibt die Person des Erfinders Stückwerk. Margit Knapp hangelt sich zu sehr an den Fakten entlang, statt in ihre Hauptperson hineinzukriechen.

Besprochen von Kim Kindermann

Margit Knapp: Die Überwindung der Langsamkeit. Samuel Finley Morse – der Begründer der modernen Kommunikation
Mare Verlag, Hamburg 2012
256 Seiten, 19,90 Euro