In alle Welt verstreut

12.02.2007
Der Deutsche Sprachrat hat im Sommer 2006 die Fahndung nach dem Export ursprünglich deutscher Wörter in alle Welt international ausgeschrieben. In nur einem Vierteljahr gingen über sechstausend Nennungen ein, über hundert sind in diesem Buch abgedruckt. Allein die Erläuterungen sind im wörtlichen Sinn erbaulich.
Die Sprache ist es, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Befindlichkeiten ausdrücken können auch Tiere und Pflanzen. Aber ein Instrument zu entwickeln, das ähnlich wie das Geld als "allgemeines Äquivalent" funktioniert - das blieb dem Menschen vorbehalten, und wir nützen es bis heute weidlich, wenn auch keineswegs nur zu guten Zwecken.

Sprache verändert sich mit uns und wir uns mit ihr. Sie wandert mit uns, saugt sich voll mit Neuem, lässt Eigenes in die neuen Umgebungen einsickern. Es ist ein ständiger osmotischer Prozess, in dem immer wieder neue Begriffe entstehen. Meistens da, wo auch die Dinge entwickelt werden, die sie bezeichnen. Dass Sprache sich bürokratischer Standardisierung entzieht, wissen wir nicht erst seit dem Chaos der Rechtschreibreform.

Die Idee einer "Sprachreinheit" ist insgesamt ebenso absurd wie die einer "Rassereinheit". Es gibt sie nicht, und das ist gut so. Aber gerade deshalb ist das mediale Geschrei, das wellenartig "wider die Überfremdung unserer deutschen Sprache" erhoben wird, so lächerlich bis gefährlich.

Der Deutsche Sprachrat - eine Arbeitsgemeinschaft aus der Gesellschaft für deutsche Sprache, dem Goethe-Institut und dem Institut für Deutsche Sprache - hat darauf im Sommer 2006 mit einer gewitzten Gegen-Welle reagiert: Er hat umgekehrt die Fahndung nach dem Export ursprünglich deutscher Wörter in alle Welt international ausgeschrieben.

In nur einem Vierteljahr gingen über sechstausend Nennungen ein, über hundert sind in diesem Buch abgedruckt. Allein die Erläuterungen sind im wörtlichen Sinn erbaulich. Das häufigste Wort zum Beispiel leitet sich ab von "Was ist das?" und bezeichnet im Französischen einen Türspion (vasistas), im Ungarischen dagegen das kulturbanausische Verdikt für etwas, das einem "zu hoch" ist. Das legt ganze kulturhistorische Schichten frei und macht neugierig.

Denn mit der Sprache beginnt das Erzählen - von sich, von anderen, von der Welt. Und das dreht sich meistens um die großen Triebkräfte - Krieg, Not, Verfolgung für die Migrationen und Arbeit, Essen, Kultur fürs Sesshaftsein. Der "blitz" ist mit dem Blitzkrieg-Terror ins Angelsächsische, Russische, Italienische gezischt, den "Strudel" schmeckt, wer sich von Israelis eine Emailadresse sagen lässt: Sie nennen das @-Zeichen so.

Von "German angst", einer Art "leitmotif" und "zeitgeist", wenn nicht gar "weltanschauung", parlieren gebildete Nicht-Deutsche ebenso gern wie von "le waldsterben" und "realpolitik". Und "kaput(t)" ist vermutlich ein ähnlicher Exportschlager wie "(h)alt!"

Den größten Spaß an dieser herrlichen, ganz und gar nicht vollständigen und zu immer neuen Funden animierenden Sammlung aber machen die Schreibweisen. Sie bebildern unsere guten alten Wörter aufs Komischste und bringen gleichzeitig den Sprachhumus, auf den sie gefallen sind, zum Klingen - oder hören Sie beim "vahtimestari" (Wachtmeister) etwa nicht finnische Politiker, bei "szuflada" nicht polnische Flüsse mit?

À propos Schublade - wenn Franzosen den bockenden Amtsschimmel verunglimpfen wollen, werfen sie ihm "schubladiser" vor. Reimportiert etwa: Schübladisieren.

Wer selbst in der Welt herumkommt, dem fallen sofort die abenteuerlichsten Menüs ein. Meine Lieblingsspeisekarte stammt aus einem Restaurant in Mitrovica, Kosovo. Ich weiß bis heute nicht, was besser war - der Geschmack oder der Name der shnitsell shatobryan. Darauf ein "St.Pauli Girl" mit Dirndl auf dem Etikett, aus kalifornischer Bierbraukunst!


Rezensiert von Pieke Biermann

Jutta Limbach (Hg.), Ausgewanderte Wörter
Hueber Verlag, München 2006, 144 Seiten, 19,95 Euro