Impressionen aus dem "Gelben Elend"

23.04.2009
Er ist als Verfasser der "Deutschen Chronik" bekannt geworden. Manche werden sich noch an Walter Kempowskis Erfolge "Tadellöser & Wolff" oder "Uns geht’s ja noch gold" erinnern. Jetzt erscheinen posthum Gedichte unter dem Titel "Langmut". Darin verarbeitet er seine Zeit im DDR-Gefängnis Bautzen, genannt "Das Gelbe Elend".
Walter Kempowski (1929-2007), Verfasser der neunbändigen Romanserie "Deutsche Chronik" und des kollektiven Tagebuchs "Echolot", hat einen großen Teil seines frühen Erwachsenenlebens im Zuchthaus verbracht. Er war gerade 19 Jahre alt, als ihn 1947 ein russisches Militärtribunal zu 25 Jahren Haft wegen Spionage verurteilte. Kempowski hatte Unterlagen in den Westen gebracht, die die Demontage der familieneigenen Reederei in Rostock durch die sowjetische Besatzungsmacht belegten. Unter Folter gab er die Mitwisserschaft der Mutter zu. Auch sie kam ins Gefängnis. Dass es ihm nicht gelang, die Mutter zu schützen, hat Kempowski sein Leben lang verfolgt. Im März 1956 wurde er vorzeitig aus dem "Gelben Elend" in Bautzen entlassen, ging in den Westen und kam nach Göttingen, wo er das Abitur nachholte und Grundschulpädagogik studierte.

1969 erschien sein Debüt "Im Block", inspiriert von den teils in grotesker Verzerrung vermittelten Bautzener Erfahrungen. Mit seinem Gedichtband "Langmut", dessen Erscheinen zu seinem 80. Geburtstag vom Autor testamentarisch verfügt wurde, nimmt er das Sujet noch einmal auf. "Plötzlich wurde mir klar", äußerte sich Kempowski über seine Haftzeit und die literarische Bearbeitung in "Im Block", "dass das nicht so stehen bleiben kann. So habe ich Gedichte darüber gemacht".

Der Band "Langmut" besteht aus kurzen, meist ungereimten Gedichten ohne Titel mit ein oder zwei Strophen. Der Tonfall ist lakonisch. Die Themen sind die quälende Isolation, das Gefühl des Ausgeliefertseins und die erzwungene Untätigkeit. Mithäftlinge tauchen auf, aus der Ferne sind Schreie vernehmbar, manchmal hört das lyrische Ich Schritte. Immer wieder wird die eintönige Umgebung in Augenschein genommen:

"Das Schachbrett der Fliesen", heißt es einmal. Oder: "Das Licht lässt die Drähte tanzen, / und die Pfosten laufen schwarz die Wände / hinauf./ Geteiltes Licht. / Einmal erlosch es, / da wurde es hell".

Ab und zu blitzen Erinnerungssplitter an die Kindheit und Jugend auf. Beobachtungen und Introspektion wechseln einander ab. Abstrakta werden gelegentlich ins Konkrete überführt. Ein gängiges Stilmittel ist das Enjambement, der Zeilenbruch. Mitunter zeigt sich eine Neigung zu übermäßigem Pathos, das zu den einfachen Stilmitteln nicht passen mag:

"Das letzte Wort war das erste, / mit dem Pinsel schrieb / man es dir auf die Stirn. / Von da an warst du gerettet".

Oder:

"Stunde des Abschieds, / da winkte dir keine Hand. / Auf dem Hof hallten Bretter, / und aus dem Schornstein stieg Rauch".

Andere Male kippen Metaphern ins Süßliche: "Wind streicht durch die Harfe des Gitters" oder "Die Stalaktiten deiner Tage, / in deine Stille sind sie eingestimmt: / ihr Glockenton ist dir verschwiegen, / bis er in Tropfen ungehört verrinnt."

Dass Kempowski in Bautzen große Not litt und tief traumatisiert wurde, steht außer Frage und entzieht sich jeder Bewertung. Wie er diese Erfahrungen ästhetisch bearbeitet, lässt sich aber durchaus beurteilen. Manche seiner Verse sind in ihrer Naivität und unverblümten Offenheit anrührend. Der Band hat werkgeschichtliche Relevanz – literarisch bedeutsam ist er nicht. Ein letztes Mal kommt Walter Kempowskis Lebensthema zum Tragen, nämlich zu kurz gekommen zu sein und nicht zur literarischen Elite der Bundesrepublik zu gehören. Dass er im Alter mit einer Fülle von Preisen und Ehrendoktorwürden bedacht wurde, änderte daran nichts mehr. Vielleicht war es der Hader mit dem versäumten Leben, der ihn so empfindlich werden ließ – und zu einem der produktivsten Schriftsteller seiner Generation machte.

Rezensiert von Maike Albath

Walter Kempowski: Langmut. Gedichte
Knauss Verlag, München 2009
82 Seiten, 16 EUR