Immer mehr Kindersoldaten im Kongo

Markus Nitschke im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.08.2012
Der Ost-Kongo befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Milizen ziehen durchs Land, töten und vergewaltigen. Unterstützt werden sie offenbar aus Ruanda. Es sei daher ein "starkes Signal", dass Deutschland Teile der Ruanda-Hilfe ausgesetzt habe, sagt Oxfam-Mitarbeiter Markus Nitschke.
Gabi Wuttke: Auch wenn die Menschen im Kongo arm sind, das Land ist reich. Reich an Kobalt, Kupfer und Zink, an Diamanten und Gold. Das macht die Regierung reich, aber auch die Nachbarländer. Den Verkauf der Bodenschätze auf dem Schwarzmarkt sollen die Truppen garantieren, die seit Jahren den Osten des Kongo unsicher machen. Zwei Millionen Menschen sind deshalb zu Flüchtlingen geworden. Eine Katastrophe für die Menschen, darüber kann Markus Nitschke von der Organisation Oxfam berichten. Er ist jetzt am Telefon, einen schönen guten Morgen!

Markus Nitschke: Ja, guten Morgen!

Wuttke: Inwiefern werden denn besonders Frauen und Kinder zu Opfern der Auseinandersetzung?

Nitschke: Also, Frauen und Kinder sind im Ostkongo bei dem Konflikt natürlich immer in besonderem Maße betroffen. Also, gerade jetzt in der Situation, wo sich viele dieser Aktivitäten auf eine bestimmte Region, nämlich jetzt die Region um die Provinzhauptstadt Goma, sehr stark konzentrieren und wo es also in vielen gerade abgelegenen Gebieten jetzt gar keine Präsenz mehr gibt. Also, weder von den Armeen, noch von den Blauhelmsoldaten.

Wuttke: Gibt es denn für Sie eine Erklärung für diese Grausamkeiten gerade gegenüber völlig wehrlosen Menschen?

Nitschke: Also, das hat so sehr verschiedene Ursachen. Also, ich denke, es geht da zum einen um schlichte Bereicherung. Also, was wir jetzt zurzeit beobachten, ist, dass etliche Milizen und bewaffnete Banden in ungeschützte Dörfer einfallen und dort die ohnehin schon arme Bevölkerung ausrauben. Also, da geht es häufig um Viehdiebstähle und solche Sachen. Aber für die armen Leute im Ostkongo ist das natürlich, ist das schon eine Katastrophe. Das andere ist, dass jetzt im Moment gerade sehr viele Kindersoldaten zwangsrekrutiert werden. Also, die werden praktisch irgendwie dann gezwungen, in die Milizen also selber einzusteigen. Und das funktioniert natürlich auch nur irgendwie, weil in diesen Regionen also kein Schutz für die Zivilbevölkerung da ist.

Wuttke: Das heißt, dass diese Milizen für Nachschub materieller Art sorgen, das heißt, Mensch und Nahrung?

Nitschke: Ganz genau. Also praktisch, diese Milizen leben konkret auf Kosten der Bevölkerung in den Gebieten, wo sie operieren.

Wuttke: Das heißt, man muss einen großen Unterschied machen zwischen diesen Milizen und den Regierungstruppen?

Nitschke: Auf jeden Fall. Also, Sie wissen, dass es im Ostkongo ein riesiges Spektrum von bewaffneten Gruppen gibt, und die kongolesische Armee ist auch, ich sag mal, bekannt dafür, dass es häufig zu Menschenrechtsverletzungen kommt und zu Problemen, also, was die Kommandokette angeht und die Disziplin der Soldaten.

Wuttke: Ja, deshalb frage ich.

Nitschke: Ganz genau. Also, es ist eine Tatsache, dass viele der Soldaten in der kongolesischen Armee einfach schlecht trainiert sind und monatelang zum Beispiel nicht bezahlt sind. Also, die leben auch zum Teil unter erbärmlichen Bedingungen. Ich denke, daran sieht man das Dilemma der kongolesischen Armee, dass sie auf der einen Seite dazu da ist, die Zivilbevölkerung zu schützen, aber die Zivilbevölkerung häufig ein gespaltenes Verhältnis dazu hat, eben aufgrund der Menschenrechtsverletzungen.

Wuttke: Leidtragende sind auf jeden Fall die Zivilisten. Wo, Herr Nitschke, versuchen die Flüchtlinge denn Sicherheit zu finden?

Nitschke: Das ist ganz unterschiedlich. Also, ein großer Teil der Leute fliehen aus ihren Dörfern zurzeit und bringen sich praktisch in der unmittelbaren Umgebung in Sicherheit, also, in der Erwartung, dass sie vielleicht in ein, zwei Tagen wieder zurückkehren können auf ihre Dörfer und auf ihre Felder. Andere sind jetzt gerade auf dem Weg in die größeren Flüchtlingscamps, die es in der Region gibt, also vor allem jetzt in der Umgebung von Goma.

Wuttke: Wie sind die denn ausgestattet?

Nitschke: Die Flüchtlingslager?

Wuttke: Ja?

Nitschke: Gut, also, diese Flüchtlingslager bestehen hauptsächlich aus Unterkünften und aus praktisch der Infrastruktur, also, wie Wasser, die werden mit Nahrungsmitteln beliefert. Also, die Wasserversorgung zum Beispiel ist auch das, was Oxfam hauptsächlich in diesen Flüchtlingscamps macht, also, die Versorgung mit sauberem Wasser und mit Sanitärversorgung. Die ist nämlich auch ganz wichtig in den Camps, wo relativ viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, also, wegen der Krankheiten, die natürlich da ganz leicht ausbrechen.

Wuttke: Jetzt wird verstärkt wieder über die Situation im Osten des Kongo geredet, aber dieser Konflikt ist ja nicht neu, er eskaliert. Seit wann ist Oxfam im Osten des Kongo engagiert, wie lange und mit welcher Schwere werden diese Auseinandersetzungen um Bodenschätze denn tatsächlich geführt?

Nitschke: Also, Oxfam ist schon seit mehreren Jahrzehnten vor Ort, im Kongo. Und wir arbeiten dort sehr stark mit Partnerorganisationen zusammen. Ja, die Frage nach den Bodenschätzen ist eine schwierige Sache. Also, wie Sie jetzt vorhin schon gesagt hatten: Eigentlich ist ja die Demokratische Republik Kongo ein sehr reiches Land, nur halt kommt leider der Reichtum nicht den Menschen zugute, sondern heizt im Gegenteil eben die Konflikte an. Die Tatsache, dass es so viele Rebellengruppen gibt dort, hat sicherlich genau damit zu tun, dass es dort so viel zu holen gibt.

Wuttke: Können Sie auch vor diesem Hintergrund nachvollziehen, dass Deutschland seine Entwicklungshilfe nach dem UN-Bericht, von dem die Kollegin Antje Diekhans in dem Bericht, den wir beide auch gehört haben, berichtet hat, jetzt eingefroren hat?

Nitschke: Also, ich würde sagen, es ist auf jeden Fall ein sehr starkes Signal, dass die Bundesregierung die Vorwürfe, die in dem Bericht dieser UN-Expertenkommission erhoben wurden, sehr ernst nimmt dadurch, dass sie jetzt die Budgethilfe vorläufig einstellt. Wobei es hierbei auch – das muss man sagen – nicht um eine Schuldzuweisung geht, sondern um die Aufforderung, eine Liste konkreter Vorwürfe aufzuklären.

Wuttke: Das heißt aber auch, diese Entwicklungshilfe kann den Menschen vor Ort nicht zugute kommen, sondern verschlimmert womöglich die Lage?

Nitschke: Das würde ich nicht sagen. Also, das ist auch ja nur ein Teil der gesamten Entwicklungshilfe, die die Bundesregierung Ruanda zur Verfügung stellt. Also, nur ein bestimmter Teil dieser Mittel ist eingefroren.

Wuttke: Zur Situation im Osten des Kongo Markus Nitschke von Oxfam. Vielen Dank für diese Erläuterungen!

Nitschke: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema