Im Taxi durch Havanna

Von Martin Polansky · 19.03.2012
Touristen, die Devisen ins klamme Land bringen, sind in Kuba willkommen. Seit die sozialistische Regierung durch Reformen versucht, die marode Wirtschaft zu retten, dürfen auch Privatunternehmer auf der Karibikinsel ihr Glück suchen. Einen gesellschaftlichen Wandel haben diese Schritte bislang nicht gebracht. Auch die wirtschaftliche Erholung ist bisher nicht in dem erhofften Ausmaß eingetreten.
Jorge ist Taxifahrer in Havanna. Sein Wagen ist sein ganzer Stolz. Ein blauer Cadillac Fleetwood – Baujahr 1950:

"Hier drinnen haben wir den Warnblinker, den Anlasser-Hebel und die Hupe.

Außerdem noch ein Radio und hinten einen Ventilator. Und im Fenster hier unsere Schutzpatronin, unsere Barmherzige Jungfrau von Cobre."

Der Cadillac Fleetwood ist älter als die Revolution – und er rollt und rollt. Auch wenn Jorge fast jedes Teil schon einmal ausgetauscht hat:

"Wenn wir Ersatzteile suchen, fragen wir uns bei den Kumpels durch. Einer hat das passende Teil, der andere vielleicht ein anderes. Man muss erfinderisch sein, denn nur ganz selten tauchen Originalteile auf."

Kuba wie im Bilderbuch. Die Straßenkreuzer aus den 50er-Jahren gehören ebenso zum Mythos der Insel wie die Politparolen und der allgegenwärtige Che Guevara. Mehr als zwei Millionen Besucher kommen jedes Jahr auf die Insel, um sich das anzusehen. Eine Reise in eine andere Welt, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Aber tatsächlich ist einiges in Bewegung in Kuba. Unterwegs mit dem Taxifahrer Jorge, auf der Suche nach den kleinen Veränderungen, die Kuba seit gut anderthalb Jahren prägen.

Der Taxistand ist gleich im Zentrum von Havanna, in Sichtweite des Capitols. Vor ihren Cadillacs und Pontiacs stehen Dutzende Fahrer. Unter ihnen gibt es seit Kurzem nur noch ein Thema: Der neue Automarkt. Kubas sozialistische Regierung hat beschlossen, viele bisherige Beschränkungen aufzuheben. Fast alle Fahrzeuge dürfen nun gehandelt werden. Kauf und Verkauf. Bisher galt das nur für Wagen, die älter waren als Baujahr 59.

Der Traum vom modernen Auto könnte nun wahr werden – wenn man denn das nötige Geld hat, sagen Jorge und seine Kollegen:

"Nicht jeder wird sich ein Auto kaufen können. Da muss dir schon ein Verwandter aus dem Ausland Geld schicken, sonst ist das nicht bezahlbar. Aber sicher ist: Havanna braucht neue Wagen."

"Man könnte das alte Auto gegen ein neues tauschen und das dann auf Raten abbezahlen - auch wenn es 40 Jahre dauert. Aber wer hat schon 20.000 Dollar, um sich einen schönen, großen Neuwagen zu kaufen."

Kurze Fahrt zum Prado – der Boulevard mitten in Havanna. Jeden Tag stehen hier Dutzende von Kubanern – meist mit kleinen Zetteln in der Hand: Wohnungsangebote. Kaufen oder Verkaufen durften Kubaner ihre Wohnungen bisher normalerweise nicht. Aber sie konnten tauschen:

"Ich habe eine Wohnung. Aber ich möchte in der Nähe etwas Ähnliches finden. Das sollte ein kleines bisschen größer sein. Damit noch ein Bett reinpasst."
Auf dem Weg zu Rolando. Er hat eine Wohnung im Zentrum von Havanna zusammen mit seiner Frau und einer Tochter. Vor fünf Jahren haben sie die Wohnung durch Tausch ergattert. Schwer genug war das, sagt er. Denn Wohnraum sei knapp in Havanna, erzählt er beim Blick aus dem Fenster:

"Schau, dieses Nachbarhaus zum Beispiel – komplett leer und ziemlich verfallen. Platz genug gäbe es, um etwas zu bauen. Auch in dem Haus daneben wohnt niemand mehr.

Manche Leute leben mit den Eltern bis sie zu alt sind. Unglaublich. Die Eltern sind dann 80 und sie selber 60 – ohne viel Privatsphäre. Weil sie bisher keine Wohnung kaufen konnten."

Kubas Führung will das nun ändern. Neue Zeiten auf dem sozialistischen Immobilienmarkt. Bisher waren viele Kubaner auf dem Papier schon die Eigentümer ihrer Wohnungen – jetzt sollen sie Immobilien auch verkaufen oder kaufen dürfen. Das Ziel: Linderung der Wohnungsnot. Wer sucht, soll schneller finden.

Weiter im Cadillac Fleetwood zu Lisandra. Ihre Wohnung ist ihr neuer Arbeitsplatz. Drei Nähmaschinen stehen hier. Lisandra fertigt mit ihrer Tochter Kleider auf Bestellung. Dafür hat sie sogar eine Lizenz. Arbeiten auf eigene Rechnung können die Kubaner seit gut einem Jahr in rund 180 Berufen. Überlegung der sozialistischen Führung: Die Leute sollen sich selbständig machen, damit der verschuldete Staat überflüssige Stellen streichen kann. Sogar Betriebe mit eigenen Angestellten sind zugelassen – eine deutliche Abkehr von der bisherigen reinen Lehre.

Lisandra ist zufrieden. Für sie lohnt sich die selbstständige Arbeit, sagt sie – und klingt dabei fast wie eine Unternehmensberaterin:

"Ich kenne niemanden, der als Selbstständiger gescheitert ist. Aber einige sind zu schnell enttäuscht, weil sie einfach keine Geduld hatten. Die braucht man aber. Man muss sich bekannt machen, Marketing betreiben. Sonst klappt es nicht."

Lisandra sieht die neue Marktfreiheit als große Chance. Aber viele Probleme und Beschränkungen müssten noch behoben werden. Stoff zum Nähen zum Beispiel sei nur sehr schwer zu bekommen, ihre Maschinen sind uralt. Investieren würde sie gerne – aber mit welchem Geld? Leute mit reichen Verwandten in Miami seine nun klar im Vorteil:

"Sie können dir helfen bei den ersten Investitionen. Wer soll sonst die Maschinen, die Zwirnrollen und die Nadeln bezahlen. Ansonsten kann man nur eisern sparen, um sich das anzuschaffen. Uns jedenfalls hilft keiner."

Trotzdem: So etwas wie Aufbruch ist durchaus zu spüren in Havanna. Überall in der Stadt gibt es nun neue Stände, viele versuchen, privat etwas Geld zu machen. Mit kleinen Küchen oder Pizza-Ständen, mit dem Verkauf von selbst gemalten Bildern oder Schmuck, mit Reparatur-Betrieben. Kleine Marktwirtschaft im Sozialismus.

Jorge und seine Taxifahrer-Kollegen finden die Veränderungen jedenfalls gut – auch wenn sie nur sehr langsam vorankommen und Ergebnisse bringen. Etwa beim Thema Transportprobleme. Früher mussten die Leute ewig Schlange, um Bus oder Taxi zu bekommen. Das werde nur langsam besser, sagt Jorge:

"Der Transport ist chaotisch. Es gibt schon neue Autos aber zu wenig Ersatzteile. Und auch die Straßen sind sehr schlecht. Immerhin haben wir jetzt auch neue Busse und mehr Taxilizenzen. Für die Leute ist das bequemer - und wer ein Auto hat, kann damit Geld machen."

Eine Prozession durch das historische Zentrum von Havanna. Die Jungfrau von Cobre wird durch die Straßen getragen – die Schutzheilige, die auch Jorge in seinem Taxifenster hat. Rund tausend Menschen folgen betend dem Umzug.

Etwa jeder zweite Kubaner ist katholisch getauft. Jetzt kommt der Papst auf die Insel, will den Wallfahrtsort mit der Jungfrau von Cobre bei Santiago de Cuba besuchen und danach mit Hunderttausenden auf dem Platz der Revolution in Havanna beten.

Ein Großereignis, mit Spannung erwartet auch bei vielen Gläubigen auf der Prozession:

"Alle hier warten darauf. Die Kubaner werden ihn freudig aufnehmen. Als einen, der vom Glauben geleitet wird."

"Es ist sehr wichtig. Er soll den Frieden bringen, den wir uns wünschen. Wir wollen, dass sich die Beziehungen zur Kirche verbessern und der katholische Glauben wieder neu auflebt."

Angeführt wird die Prozession von Kardinal Jaime Ortega, dem Erzbischof von Havanna. Kirche im Sozialismus. Die Katholiken haben in den letzten Jahren einige Freiräume hinzugewonnen – Kardinal Ortega ist inzwischen anerkannter Gesprächspartner für die sozialistische Führung. Der Erzbischof war wesentlich beteiligt an den Verhandlungen zur Freilassung von 52 politischen Gefangenen.

Dass jetzt Papst Benedikt kommt, ist ein weiteres Zeichen der Annäherung – und Kardinal Ortega erinnert an den Besuch von Papst Johannes Paul II. vor vierzehn Jahren:

"Wir erwarten den Papst natürlich mit großer Freude. Wie schon bei Johannes Paul hat dies nicht nur Bedeutung für die Kirche, sondern für das ganze Volk. Es geht um das Bekenntnis zum Glauben. Der Papst unterstützt uns auf unserem Weg und auch all das Positive, das im Augenblick bei uns zu sehen ist."

Januar 1998 – Zehntausende Kubaner jubeln Papst Johannes Paul II. zu. Der revanchiert sich mit kleinen Scherzen:

"Ich habe nichts gegen Applaus. Macht nur weiter. In der Zeit kann ich mich ein bisschen erholen."

Es war ein historischer Besuch. Der erste Papst in Kuba überhaupt. Der Pole Karol Wojtyla nach Ende des Kalten Krieges in einem der letzten marxistisch regierten Länder der Welt. Der Papst neben Revolutionsführer Fidel Castro. Der - in Anzug statt Uniform - konnte schon den Besuch an sich als klaren Erfolg verbuchen:

"Heiligkeit. Der Boden, den sie gerade geküsst haben, ist geehrt durch ihre Anwesenheit."

Johannes Pauls Besuch markierte den Höhepunkt einer schrittweisen Entspannung im Verhältnis zwischen dem sozialistischen Staat und der katholischen Kirche. Schon bald nach der Revolution 1959 war das Verhältnis zerrüttet. Kubas neue Führung verstaatlichte kirchliche Sozialeinrichtungen und Schulen, bekennende Christen wurden etwa am Arbeitsplatz benachteiligt. Sehr schnell exkommunizierte der Vatikan den ehemaligen Jesuitenschüler Fidel Castro.

Die Entspannung begann Mitte der 80er-Jahre und beschleunigte sich nach dem Fall der Mauer. Kuba, isoliert und nah am wirtschaftlichen Kollaps, war dankbar für karitative Hilfe der Kirche. Die pochte im Gegenzug auf Religionsfreiheit. Die Annäherung war auch deshalb erfolgreich, weil die Kirche das System an sich nicht in Frage stellt. Entsprechend diplomatisch vor vierzehn Jahren Papst Johannes Paul:

"Ich begleite Euch im Gebet, damit dieser Boden jedem eine Atmosphäre der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit und des wahren Friedens bietet. Kuba möge sich der Welt öffnen, und die Welt öffne sich für Kuba."

Politisch hat sich seit dem letzten Papstbesuch auf der Insel aber nur wenig verändert. Fidel Castro, 85, hat sich aus der Tagespolitik zurückgezogen. Aber regelmäßig meldet er sich zu Wort – etwa mit Zeitungskolumnen zur Weltlage. Fidels 80-jähriger Bruder Raul ist inzwischen Staats- und Parteichef, er hält jetzt die meisten Fäden in der Hand.

Und Raul Castro macht immer wieder klar: Trotz der vorsichtigen Wirtschaftsreformen soll am Führungsanspruch der Kommunistischen Partei und am Sozialismus an sich nicht gerüttelt werden:

"Als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei habe ich als Hauptaufgabe und Lebenssinn, den Sozialismus zu verteidigen, zu erhalten und zu perfektionieren. Und niemals eine Rückkehr des kapitalistischen Regimes zu erlauben."

Eine echte politische Öffnung ist nicht zu erkennen. Andere Parteien werden nicht zugelassen, kritische Internet-Blogger beklagen Repressionen. Dissidenten-Gruppen werden überwacht, kleinere Demonstrationen aber mitunter geduldet.

Wenn Taxifahrer Jorge etwa sonntags durch Havanna fährt, kann er den regelmäßigen kleinen Protestzug der Damen in Weiß beobachten. Meist Ehefrauen von lange Zeit eingesperrten Dissidenten oder andere, die sich der Opposition nahe fühlen. Die Damen in Weiß sind inzwischen auch in und um Santiago organisiert, dort wo der Papst die Wallfahrtsstätte der Jungfrau von Cobre besuchen will.

Tania Montoya Vazquez von der Gruppe beklagt Übergriffe der Behörden:

"Gegen die Damen in Weiß gibt es brutale Repressionen. Wir wurden einmal angegriffen, als wir die Wallfahrtsstätte verlassen wollten. Andere Mitglieder können gar nicht erst zu uns kommen, weil sie kurzzeitig festgenommen wurden."

Oppositionelle fordern vom Papst klare Worte zum Thema Menschenrechte. Und sie kritisieren, dass kein Treffen zwischen Benedikt und Dissidenten vorgesehen ist. Der Papstbesuch werde Kubas Führung unnötig aufwerten, befürchten manche.

Jose Daniel Ferrer gehört zur nicht zugelassenen Gruppe Patriotische Union. Er erwartet, dass die Behörden bemüht sein werden, in einem guten Licht dazustehen:

"Wir gehen davon aus, dass sich die Staatsorgane während des Papst-Besuchs so wenig aggressiv wie möglich verhalten werden. Bis der Papst dann weg ist. Dann beginnen wieder die kurzzeitigen Verhaftungen und manche von uns müssen befürchten, dass sie für länger im Gefängnis landen."

Kuba vor dem Papstbesuch. Taxifahrer Jorge wird sich Benedikt XVI. wohl ansehen. Der Glaube und die Jungfrau von Cobre seien ihm sehr wichtig, betont er. Ansonsten sagt er: Abwarten. Niemand wisse, was die vielen Veränderungen der letzten Zeit bringen, wie weit sie tatsächlich gehen. Dafür sei es noch zu früh. An einem will Jorge aber auf jeden Fall festhalten – auf seinen Cadillac Fleetwood wird er auch in Zukunft nicht verzichten:

"Ich will mein Auto behalten. Das ist doch mein vertrauter Wagen und auch meine Arbeit. Wenn ich den verkaufe, wovon soll ich dann schon leben."
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