Im Tal des Todes

10.12.2010
Für seine Reportage aus Afghanistan hat sich Sebastian Junger direkt an die Front begeben und sein Leben aufs Spiel gesetzt. Entstanden ist ein Bericht, der zur Reihe der großen Kriegsbücher gezählt werden darf.
Sebastian Junger ist kein Unbekannter: Mit seinen Reportagen von den gefährlichsten Gebieten der Welt hat der amerikanische Journalist längst Weltruhm erlangt; sein Roman "Der Sturm" wurde 1998 zum Bestseller. Sein aktuelles Buch führte ihn 2007 bis 2008 gemeinsam mit dem Fotografen Tim Hetherington fünfmal ins Korengal-Tal im Osten Afghanistans. Sein Ziel hatte er bewusst gewählt: Nirgendwo sonst wie hier im "Tal des Todes" wurden US-Soldaten so oft in Gefechte verwickelt, fünfzig starben. Inzwischen haben die USA das Korengal-Tal aufgegeben – es sei "kein Ort für fremde Imperien".

Auch wenn sein Bericht einen eigentümlichen Sog entwickelt, dem man sich kaum entziehen kann – leicht lesen lässt sich das Ganze nicht. Das liegt weniger an der Brutalität des Krieges. Vielmehr ist es die fast minimalistische, mit unzähligen Abkürzungen aus dem Militärjargon gespickte Sprache und die Art des Erzählens, die es dem Leser schwer macht, den Überblick zu behalten. Wie ein Kameraauge wird so die Realität vor Ort direkt transportiert. Eine Realität, die verwirrend und unübersichtlich ist und die wenig Raum lässt für den Blick über den Moment hinaus.

Schlaglichtartig und schonungslos beschreibt Junger einige der vielen blutigen Gefechte gegen die Taliban, die entweder geplant oder oft genug als Reaktion auf überraschende Angriffe stattfinden. Die Klammer bilden Schilderungen von der Zeit dazwischen: der Journalist ist dabei, wenn die Soldaten neue Stützpunkte bauen, mit den Einheimischen sprechen, auf Patrouille gehen und versuchen, sich die quälende Langeweile zu vertreiben. In seltenen, knappen Dialogen lässt er die Soldaten über ihre Befindlichkeit sprechen, darüber, wie es sich anfühlt mit der Angst, dem Dreck, der Hitze, der Gewalt und den Taranteln, die in die Zelte kommen. "Wir sind wie Tiere, nur schlimmer", sagt einer der Soldaten. Mut, Heldentum, und Solidarität – was genau das ist schildert der Autor in kleinen, lesenswerten Exkursen.

Der größte Teil des Buches jedoch ist die bloße Schilderung dessen, was gerade passiert. Mit Interpretationen und politischen Bewertungen hält sich Junger zurück. Genau das ist die Stärke seines Berichts. Die Brutalität, aber auch die Komplexität des Krieges wird genau deshalb umso deutlicher. Denn er zeigt nicht nur, wie aussichtslos der Militäreinsatz in Afghanistan ist, sondern auch, wie fatal er sich auf die auswirkt, die ihn ausführen. Die Kriegsgewalt tötet nicht nur, sondern zerstört auch die Überlebenden. Sie macht aus den Soldaten Kampfmaschinen, die süchtig nach Gewalt werden: Männer, die für die zivile Welt verloren sind.

Besprochen von Vera Linß

Sebastian Junger: War. Ein Jahr im Krieg
Blessing, München 2010,
336 Seiten, 19,95 Euro
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