Im Stollen des Schreckens

16.08.2011
Der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger erzählt die wahre Geschichte des Tschechen Bohumil Modry. Der Eishockey-Profi wurde zu Unrecht verhaftet und in ein Uranbergwerk in Jáchymov ins Arbeitslager gesteckt.
Josef Haslingers neuer Roman hat ein großes Thema. Es geht um kaum bekannte Verbrechen der stalinistischen Ära, Verbrechen im winzigen Jáchymov nahe der deutsch-tschechischen Grenze.
In Jáchymov (vormals Sankt Joachimsthal), dem ältesten Radiumsol-Heilbad der Welt, fanden auch "politische Kuren" statt. Häftlinge wurden in den Stollen des Uranbergbaus zu Tode geschunden. Mit bloßen Händen mussten sie das radioaktive Erz sammeln.

Auch die Spieler der tschechoslowakischen Eishockeymannschaft kamen in die Mühlen. Zweifache Weltmeister und Olympiasieger im Gulag - eine Pointe des Stalinismus, wie man sie bisher nicht kannte. Haslingers Hauptfigur ist der Torwart Bohumil Modry. Es ist die Tragik Modrys, dass er zu seinem Land steht. Er lässt die Gelegenheit, als Profi nach Kanada zu gehen, mehrfach verstreichen, kehrt mit seiner Mannschaft brav von internationalen Turnieren zurück. Die Zeit der schlimmsten Verfolgungen war eben zugleich die Phase der stärksten Aufbau-Euphorie. Bis die Maschinerie der kommunistischen Klassen-Justiz aus ein paar demokratischen Anwandlungen staatsverräterische Verbrechen ableitet und Modry und sein Team exemplarisch verurteilt: zu hohen Gefängnisstrafen und Zwangsarbeit in Jáchymov.

Hauptfigur der in der Gegenwart spielenden Rahmenhandlung ist der Verleger Anselm Findeisen, der ausgerechnet durch seine Rückenschmerzen motivisch mit Modry verbunden wird. Er leidet an einer "Bambuswirbelsäule", und sein Arzt verschreibt ihm eine Kur in Jáchymov, wo er die Tochter Modrys trifft, die gerade die Stollen des Schreckens besichtigt. Sie erzählt ihm davon, und Findeisen drängt sie, die Geschichte ihres Vaters aufzuschreiben. Haslingers Roman präsentiert die historischen Ereignisse um Bohumil Modry fortan häppchenweise als Manuskriptlektüre Findeisens.

Diese Konstruktion verschiebt Haslingers realen Anstoß zum Schreiben dieses Romans ins Fiktive - die Begegnung mit der Tochter Modrys, die fürs Leben geprägt ist vom Verlust des Vaters: Schmerz und Wut, die nicht vergehen. Dieses biografische Trauma, das der Roman wiederholt mittels eindrücklicher Albtraum-Sequenzen illustriert, wird sehr nachfühlbar. Das Finale, das mit knappen Worten das Siechtum des radioaktiv vergifteten Vaters schildert, ist ergreifend.

Trotzdem wirkt die Konstruktion eher behelfsmäßig. Die eingespielte Lektüre aufregender "Manuskripte" ist ein abgenutztes Motiv. Und die Kapitel über Modry, sein Team und den tschechoslowakischen Stalinismus lesen sich oft wie Sachbuch-Material, dessen Transformation ins Literarische dann doch nicht wirklich geglückt ist.

Offenbar hat Haslinger über die Arbeit an diesem Buch eine schwere Eishockey-Passion entwickelt und unterrichtet seine Leser nun allzu detailliert über die Geschichte dieses Sportes in der Tschechoslowakei, über Mannschaftsaufstellungen, Spielverläufe und Ergebnisse von Weltmeisterschaften und Olympiaden. Diese Weitschweifigkeiten belasten ein Buch, das trotz der allzu sehr gewollten Konstruktion ein beeindruckendes Stück Doku-Fiction hätte werden können.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Josef Haslinger: Jàchymov
S. Fischer, Frankfurt/Main 2011
224 Seiten, 19,95 Euro

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