Im Spannungsfeld

Besuch bei Elektrosensiblen

Eine Mobilfunkantenne auf einem Gebäude, aufgenommen in Timmendorfer Strand
Mobilfunkantenne: Auch hier gibt es elektromagnetische Strahlen. © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Tina Hüttl · 19.04.2015
Handys, WLAN, Hochspannungsleitungen - die Welt ist voller Strahlen. Manche Menschen spüren das besonders: die Elektrosensiblen. Beim Münchener Verein für Elektrosensible versammeln sich Betroffene. Alles Spinner? Oder was ist dran an der Elektrosensibilität?
Frau: "Der Grund war eine Mobilfunkantenne gegenüber von meinem Büro und wir hatten zu Hause ein Schnurlos-Telefon. Und das hat mich beides stark reingerissen."
Günther Ebert: "Günther Ebert mein Name, ich wohne in einer stark belasteten Wohnung, gegenüber einige Mobilfunkantennen und ich habe ein relativ stark belastetes Arbeitsumfeld mit viel WLAN im Büro. Bei mir hat es angefangen ab 92/93 habe ich Schlafstörungen bekommen, sehr stark geschwitzt und habe dann festgestellt, dass das Thema Elektrosmog eine große Rolle spielt."
Ingrid Kling: "Ich finde, dass unsere Wohnungen zu Datenautobahnen verkommen sind und man nimmt das so selbstverständlich hin. Wo sind wir denn, dass wir bis zu 40 WLANs von den Nachbaren in unserer Wohnung haben?"
Ein Stammtisch wie an vielen Orten in Bayern, allerdings nicht in der Bierkneipe und nicht zum Vergnügen. Hier sitzen keine Kartenspieler, sondern Menschen für die es eine Qual ist, sich in der Stadt unter vielen Leuten, Handys und Funkantennen zu bewegen.
Der Vorsitzende des Vereins für Elektrosensible, Günther Ebert, hat Jasmintee bestellt. Er begrüßt die zehn, zwölf Leute, die heute Abend hier sind.
Jeden ersten Montag im Monat versammeln sich die Mitglieder des Vereins um den runden Drehtisch bei einem Chinesen, ein ziemlich düsterer Laden im Münchner Süden mit wenig anderen Gästen:
Kling: "Wir haben nichts besseres gefunden, der ist überhaupt nicht okay. Ich merke das, wenn ich mich hinsetze. Meine Hände zittern. So geht es mir hier."
Ebert: "Also wir waren früher im Asam Schlössl, da ist relativ wenig Mobilfunk, aber die haben so ein Bestellsystem per Funk, da war die Antenne mitten im Gastraum, also da mussten wir umziehen, das ging gar nicht mehr."
Die meisten kennen sich seit Jahren
Rund 140 Mitglieder zählt der Verein, der seit 1991 existiert. Viele wohnen außerhalb Bayerns, für andere ist die Belastung in ein Restaurant zu gehen zu groß. Die, die regelmäßig zum Stammtisch kommen, sind noch besser dran. Die meisten kennen sich seit vielen Jahren - so wie die Bedienung die Nummern der Speisen, die sie bestellen.
Ein sehr bayerisch sprechendes Ehepaar, das um die Ecke wohnt, ist heute zum ersten Mal dabei. Ebenso eine stille Dame. Sie hat elektrosensibel im Internet gegoogelt und fand so hierher. Sie bestellt nichts, weil ihr Körper gerade nichts verträgt, wie sie sagt.
Insgesamt sitzen etwas mehr Frauen als Männer um den runden Tisch, alle eher älter. Einige von ihnen wollen ihren Namen nicht im Radio hören. Als Reporterin hier dabei zu sein, hat viel Überzeugungsarbeit erfordert. Die Betroffenen sind skeptisch, weil sie zu viel Schlechtes mit den Medien erlebt haben.
Ebert: "Es hat viele Anfragen gegeben, wir haben aber immer hinterfragt, was ist die Intention des Artikels. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir als einsame Spinner dargestellt werden, dann können wir darauf verzichten."
Kling: "Also wenn man die Zeitung öffnet und liest, was man so liest, dann stehen einem die Haare zu Berge. Da gibt es nur selektive Artikel. Es wird genau ausgewählt, was man berichtet, was im Sinne von bestimmten Gruppen ist, nicht in unserem Sinne. Also wir sind Betroffene, und ich denke, dass bestimmt die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist, sie weiß das aber nicht."
Genau hier fängt er schon an - der Streit zwischen denen, die Elektrosensible für Spinner halten und Menschen, die sagen, sie können WLAN, Mobilfunkantennen und Handys spüren. Wie wirkt elektromagnetische Strahlung auf den Körper und was merkt der Mensch davon wirklich?
Die Hälfte der Bevölkerung sei elektrosensibel
Alle werfen mit Zahlen um sich: Ingrid Kling, früher Vorsitzende des Vereins und heute in verschiedenen Mobilfunk-kritischen Initiativen aktiv, sagt in die Runde: Die Hälfte der Bevölkerung sei eigentlich elektrosensibel, denke jedoch ihre Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder Erschöpfung hätten andere Ursachen.
Wissenschaftler, Ärzte und Baubiologen, die sich mit dem Thema beschäftigen, schätzen: Es sind zwischen 17 und 20 Prozent. Das Bundesamt für Strahlenschutz wiederum spricht davon, dass sechs bis neun Prozent der Deutschen betroffen seien. Und die Industrie sagt: Unterhalb der zugelassenen Grenzwerte sei Elektrosmog nicht wahrnehmbar und völlig ungefährlich.
Was also stimmt? Gewiss ist nur: Menschen reagieren offensichtlich sehr unterschiedlich:
Ebert: "Das ist genauso wie beim Rauchen, daher ist der Vergleich immer gut. Es gibt Leute wie Herrn Schmidt, der raucht sein Leben lang und hat gar nichts und Leute, die passiv bei der Arbeit im Restaurant mitrauchen und dann Lungenkrebs bekommen. Da ist die Empfindlickeit deutlich unterschiedlich. Wir sind die Spitze des Eisbergs, viele von uns sind schwer krank. Die Frau Finster wohnt in einer Wohnung ohne Elektrosinstallation. Die hat ein batteriebetriebenes Radio - wir sind die, die am allerempfindlichsten reagieren. Die Gesamtbevölkerung spürt sicherlich auch was, kann aber den Zusammenhang nicht herstellen."
Das Essen kommt, Günther Ebert hat Tintenfisch bestellt, zu Hause macht er sich den nur selten.
Seit 2012 leitet er den Verein, der vom Referat für Gesundheit der Stadt München bezuschusst wird. 20 Stunden im Monat gehen für sein Engagement drauf, dazu reißt er noch eine 40-Stunden-Woche als Qualitätsingenieur in einer großen Firma. Im Großraumbüro mit all den Laptops zu sitzen, kostet ihn Kraft, noch im gestreiften Hemd und Anzughose ist er direkt von der Arbeit hierher geeilt. Ebert ist ein technisch sehr versierter Mann, der stets sachlich bleibt, nicht übertreibt, sondern lieber differenziert.
Ebert: "Bei mir in der Arbeit gibt es welche, die spüren gar nichts, die sind geistig fit, das merke ich."
Andere: "Ich kenne auch so Leute!"
Ebert: "Meine persönliche Meinung ist, diese Leute haben einen guten Schlafplatz zu Hause, wo sie regenerieren, solche Personen halten dann die Belastung gut aus.Wenn ich jetzt bei mir in der Wohnung – ich habe relativ großen Antennenmast vor der Tür, wo sie jetzt auch noch LTE darauf gepackt haben, dann habe ich noch Wasseradern und Niederfrequenz, wenn ich jetzt daheim schon aufgeladen in die Arbeit gehe und WLAN zusätzlich habe, dann ist das too much."
Elektromagnetische Strahlen: ein emotionales Thema
Anderen am Tisch fällt es schwerer, ihre Gefühle zu kontrollieren, besonders wenn sie von den Qualen berichten, die ihnen ein paar Mädchen mit Smartphones im Zug oder der Router der Nachbarn bereiten können.
Elektromagnetische Strahlen sind ein hochemotionales Thema. Die einen sind überzeugt, sie sind harmlos. Die anderen halten sie für krankmachend. Gewissheiten gibt es keine, nicht einmal beim Bundesamt für Strahlenschutz.
Hier heißt es ziemlich umständlich: "Als Fazit der zahlreichen bisher durchgeführten Studien ergibt sich, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und den Beschwerden elektrosensibler Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann."
Gleichzeitig gibt dasselbe Amt aber die Empfehlung, schnurgebundene Festnetztelefone Schnurlos-Telefonen vorzuziehen und rät Schulen von WLAN-Netzen ab.
Ebert: "Es gibt ja auch schon Studien über Studien zwar auch eine Studie, wie die Finanzierung einer Studie das spätere Ergebnis beeinflusst. Und alle Studien, die von der Industrie finanziert wurden, haben in der Regel weniger Gefährdungspotential erkannt wie Studien, die unabhängig finanziert wurden, ist wirklich deutlicher Trend. Ist ja klar."
Elektrosmog ist nicht nur ein wissenschaftliches Problem. Weil der Staat die Mobilfunklizenzen für Milliarden versteigert hat und an den Konzernen kräftig Steuern verdient, ist es auch ein politisches. Und ein gesellschaftliches: Für Elektrosensible gibt es kaum neutrale Flecken.
In den letzten 30 Jahren wurde das UMTS-, D-, E- und Digitale-Fernseh-Netz flächendeckend ausgebaut, aktuell sind 112 Millionen Mobilfunkanschlüsse in Deutschland gemeldet, weltweit sind 7,4 Milliarden Handys im Einsatz. Und Hotspots gibt es inzwischen selbst in Schulen und Krankenhäusern. Daneben WLAN in fast allen Wohnungen und Arbeitsstätten. Vom Streit mit Nachbarn oder Kollegen kann jeder hier am Stammtisch eine Geschichte erzählen.
Ebert: "Die sind natürlich völlig von ihrer Technik überzeugt und sagen: Was will denn der Spinner bei mir? Kennt der sich nicht aus, der soll sich mal im Internet schlau machen – es gibt keine Studie, die die Gesundheitsgefahr nachgewiesen hat. Und die kann man nicht bekehren, da läuft man gegen eine Wand."
Die Teller auf dem Drehtisch rotieren, Ingrid Kling, die ehemalige Vorsitzende, schafft ihre gebratenen Nudeln nicht. Sie ist eine schmale, immer leicht aufgeregte Person.
Kling: "Darf ich Ihnen meine Nudeln anbieten, haben Sie Hunger?"
Frau: "Weiß nicht, was drinnen ist, ich faste..."
Strahlenabschirmende Kleidung und beschichteter Hut
Die Sitznachbarin, die stille Frau, die eigentlich fastet, isst nun doch. Dabei erzählt Kling auch vom Verständnis, dass ihr manchmal entgegengebracht wird. Ihr Englischkurs schaltet die Handys aus, wenn sie teilnimmt. Nur vor den Nachbarn in der Stadt ergriff sie lieber die Flucht.
Kling: "Ich bin von München weggezogen, es war bei mir so dramatisch, dass ich die letzten Jahre in München im Keller geschlafen habe, ich habe auch andere Leute bei mir im Keller aufgenommen. Es gibt sehr viele, die betroffen sind, ich mache das auch heute nach wie vor, dass ich sie bei mir aufnehme, weil das noch der beste Platz ist. Ich habe verzweifelt nach einem Grundstück gesucht, dass besser ist, und habe Gott sei Dank etwas gefunden, wo es noch relativ gut ist."
Kling kann noch mehr berichten, von Menschen, die im Wald im Auto schlafen, um endlich Ruhe vor Strahlung zu finden. Leute wie sie als Hypochonder und Spinner abzutun, wäre ein Leichtes. Zu seltsam und bisweilen auch wirr klingen die Dinge, mit denen sie sich beschäftigen: Kling hat sich zum Beispiel strahlenabschirmende Kleidung gekauft. Sie hebt den schwarzen Rollkragenpulli hoch: Darunter ein metallisch glänzender Stoff, ein Ganzkörperanzug, den sie immer trägt. Auch fällt jetzt auf, dass sie ihren Hut nicht abnimmt. Er ist innen beschichtet und schirmt das Gehirn ab.
Kling: "Das ist silberbeschichtet."
Ebert: "Wichtig ist die Maschenweite, die muss klein sein, dass Strahlung nicht durchkommt."
Kling: "So ein Anzug ist sehr teuer, Hose, Unterhose und Oberteil kosten über 300 Euro. Im Winter ist das gut machbar, im Sommer ist das nicht so toll. Vor allem das kann man schlecht waschen, wenn Flecken drauf sind, sieht das nicht so gut aus."
Günther Ebert hat dagegen seine Wohnung umgebaut, den Kampf mit den Nachbarn hat auch er aufgegeben.
Ebert: "Ich habe unsere Wohnung abgeschirmt für ca. 3000 - 4000 Euro. Ich habe die Hälfte der Wände schwarz gestrichen mit Graphit-Farbe, Erdung hingemacht und habe außen an den Fensterfronten so eine Abschirmmatte und Fenstergitter hingemacht, das ist alles sehr aufwändig und sehr teuer."
Den Kampf mit seiner Frau führt er noch.
Ebert: "Sie hat zum Glück alles mitgemacht, aber gesagt: Sie versteht das nicht. Aber in letzter Zeit versteht sie schon mehr, sagt auch: Sie ist nicht sensibel, aber sie versteht, dass es Leute gibt die sensibel reagieren."
Die meisten hier sagen, sie werden heute nach dem Stammtisch Symptome spüren: Ingrid Kling ein Ziehen in den Händen, andere Kopfschmerzen, Erschöpfung oder gar Übelkeit. Vielleicht kann man nur - wenn es einem selbst so ergeht - nachvollziehen, dass ein Mann freiwillig so viel Geld ausgibt, um seine Wohnung abzuschirmen und eine Frau sich tagtäglich einen schweißtreibenden Anzug überzieht. Wer nichts fühlt, dem fällt es schwer, sich in Elektrosensible hineinzuversetzen.
Dieter Kugler mit einer Wünschelrute - Die Reportage 18.4.15
Dieter Kugler mit einer Wünschelrute: "Wir könnten die Technik wesentlich gesundheitsverträglicher machen."© Deutschlandradio / Tina Hüttl
"Die Vorreiter der Evolution"
Sicherlich sammeln sich im Münchener Verein für Elektrosensible die schlimmsten Fälle, oder wie Dieter Kugler es sieht: Die Vorreiter der Evolution – die, die einen Sinn für das entwickelt haben, was der Mensch eigentlich nicht spüren kann.
Dieter Kugler: "Wir haben eine verrückte Situation, wir haben keine Sensorik. Wenn das weh tun würde, was glauben sie was hier los wäre: Wie schnell Elektrosmog ein Thema wäre. Tut es aber nicht. Vor hundert Jahren gab es das nicht, der Körper hat keine Sensorik ausgebildet. Und die Elektrosensiblen sind quasi die Vorreiter, wo der Körper anfängt, doch zu reagieren."
Dieter Kugler ist 73, die wachen Augen hinter der randlosen Brille ruhen auf der kurvigen Landstraße. Sein kraftvoller Körper wirkt jünger. Jahrzehntelang war er als Pharmavertreter mit dem Auto unterwegs. Ein Job, in dem er extrem gut verdient und möglichst viele Tabletten in Umlauf gebracht hat. Nicht aber um zu heilen, wie er jetzt sagt, sondern um die Profite der Pharmaindustrie zu steigern. Nun wolle er kranken Menschen wie denen am Stammtisch für Elektrosensible wirklich helfen.
Kugler: "Es gibt technisch bestimmt Dinge, die sind absolut kein Riesenproblem. Und was mich noch viel mehr ärgert: Wir könnten im Grund die Technik so wesentlich gesundheitsverträglicher machen. Ich kann es nicht vermeiden, dass Mobilfunk ist, das kriegen sie nicht mehr weg. Das Ding ist gelaufen. Aber man könnte es wesentlich verträglicher machen."
In den neunziger Jahren hat er daher sein Hobby zur Berufung gemacht: Kugler ist nicht Arzt geworden, nein, er hat sich zum Geobiologen fortgebildet - ein Beruf, der übrigens nicht geschützt ist.
Als Geobiologe macht er Hausbesuche bei Verzweifelten, die wie Kling oder Ebert über Kopfweh, Erschöpfung, Schlaflosigkeit oder Herzrasen klagen. Bei ihnen, erzählt er, spürt er mit der Wünschelrute Wasseradern auf und mit Messgeräten nieder- und hochfrequente Strahlung, die von Steckdosen, Mobilfunkantennen und Routern kommt. Anschließend klärt er, wie sie die Strahlung vermeiden können. Manchmal ist die Lösung erstaunlich simpel, wie bei seinem letzten Kunden, der ein dreiviertel Jahr von Arzt zu Arzt rannte, weil er sich kraftlos wie ein alter Mann fühlte, bis Kugler bei ihm zu Hause das WLAN ausschaltete und zum Surfen mit Kabel riet.
Dieter Kugler: "Langer Rede kurzer Sinn - eine gute Woche später ruf ich ihn an und habe eine jugendliche Stimme am Telefon – und dann sag ich noch, ich dachte das ist der Sohn: Du kannst mir deinen Vater geben, dann sagt er: 'Na, des bin i schon selbst'. Und dann sage ich: 'Und wie geht's?' Und dann sagt er: 'I bin a neier Mensch.' Ich bin ein neuer Mensch, mir fehlt nichts mehr, ist der Wahnsinn gibt's doch gar nicht. So einfach ist das, das habe ich oft."
Ihn treibt das Sendungsbewusstsein
Viele seiner Geschichten klingen wie Märchen, in denen er am Ende als Retter auftaucht. Rund 40.000 Kilometer legt er für Kundenbesuche im Jahr zurück, gute 600 Kilometer ist er heute schon von seinem Heimatort Bad Heilbrunn gefahren – er muss noch bis nach Bleckede, ein Ort in Niedersachen, wo Gräfin Claudia von Bernstorff ihn erwartet. 400 Euro plus Anfahrtskosten verlangt Kugler für den Hausbesuch mit Gutachten. Finanziell hat er längst ausgesorgt, ihn treibt sein Sendungsbewusstsein:
Kugler: "Was soll ich mich dahin setzen und aufs Mittagessen warten? Mir macht das Spaß, ich halte auch viele Vorträge, weil es mich ärgert, dass man diese Thematik aus medizinischer Sicht unterbewertet. Wenn man mal erlebt hat, wie es Menschen geht, die krank sind, und sie kommen her und stellen fest, es ist eigentlich gar kein Riesenproblem, es in Griff zu bekommen, dann motiviert das."
Auf seiner Auto-Konsole steht ein kleines Gerät, Walky-Talky-groß, der Super Esmog Spion zur Messung elektromagnetischer Störfelder, wie ihn fast alle Baubiologen verwenden. Kugler schaltet ihn ein.
Als er sich der Ortseinfahrt Bleckede nähert, macht der Spion einen Höllenlärm, schlägt voll in den roten Bereich. Kugler hat ihn auch so gesehen, den stillgelegten Getreidespeicher mit den vielen Antennen am Dach.
Gerätekoffer des Geobiologen Dieter Kugler mit Messgeräten
Gerätekoffer des Geobiologen Dieter Kugler mit Messgeräten© Deutschlandradio / Tina Hüttl
Kugler: "Das ist ja eine Unverschämtheit. (Wildes Piepen) Und so was stellt man in einen Ort hinein, wo Wohnhäuser sind und das machen die natürlich, weil die ganze Energieversorgung schon da ist. So sparen sie einen Haufen Geld, wenn sie hier aufs Feld gehen würden, was viel vernünftiger ist, aber da müssen sie Strom legen. Also hier Kosten sparen, ach die Anwohner haben dann halt Pech gehabt. Na bravo, damit rechnet man normalerweise nicht."
Kugler hält vor dem hübschen alten Fachwerkhaus der Kundin, steigt aus, begrüßt Claudia von Bernstorff mit festem Händedruck.
Kugler: "Hallo, grüße Sie!
Claudia von Bernstorff: "Tag, das hat aber gut geklappt. Und was üben Sie hier schon?"
Kugler: "Sie haben ja da vorne Sender stehen ohne Ende. Und das mitten auf dem Land! Da wohnen Sie so herrlich und dann haben hier Mobilfunkbelastung von der Großstadt. Das ist Wahnsinn."
Von Bernstorff: "Ja das ist echt Wahnsinn..."
Claudia von Bernstorff, eine Frau mit praktischem Kurzhaarschnitt und Gummistiefeln, nickt. Jahrelang litt sie unter Rückenschmerzen und Atemnot, sie sagt aber – die Masten machen ihr zum Glück wenig aus.
Von Bernstorff: "Ich reagiere auf die Handystrahlen offensichtlich gar nicht. (...) Sondern ich habe nur wahnsinnig auf Erdstrahlen reagiert...."
Im Haus lässt sich Kugler ihr Bett zeigen, schon vor Jahren hat von Bernstorff einen Wünschelrutengänger durch ihr Schlafzimmer geschickt, damit er es auf natürliche Erdverwerfung wie Wasseradern und Erdstrahlen untersucht. Sie hat ihr Bett von einem Störungsfeld weggerückt - seitdem gehe es ihr gut, sagt sie.
Von Bernstorff: "Ich bin früher, wenn ich in die Hotels kam, ich kriegte Asthma, Urlaub und so ging nicht. Und seitdem ich diesen Schlafplatz habe und da für mich Ruhe habe, weil da keine Erdstrahlen sind, kann ich auch wieder in Hotels übernachten. Also das dauert jetzt so zehn Tage, wenn ich mich auf alte Stellen lege, dann kommt das wieder."
Kugler kennt das Problem. Sagt, dass auch er das Erspüren von natürlichen Störfeldern mit der Wünschelrute beherrscht, bereits 20.000 Schlafplätze untersucht hat. Offensichtlich reagieren manche Menschen auf solche Störfelder – auch etwas, für das es in der Wissenschaft weder eine Erklärung noch einen Nachweis gibt.
Claudia von Bernstorff zieht ihr Handy aus der Hosentasche, das sie ungern benutzt, aber das halt doch praktisch ist.
Von Bernstorff: "Dann rufe ich jetzt nur schnell an."
Kugler: "Ja, fahren wir hin ..."
Sie will ihrer Nachbarin Bescheid geben, dass Dieter Kugler da ist. Sie ist der Hauptgrund, warum sie den Geobiologen heute gerufen hat:
Telefonat von Bernstorff: "Ja, die werden glücklich sein. Herr Kugler ist da. Kommt ihr beide? Sagst Du Till Bescheid? Herr Kugler hat schon sein Gerät angestellt und ist gelinde gesagt erschüttert, was hier die Handymasten machen. Du kannst gar nicht schlafen, ist kein Wunder.... Ja okay. Wir fahren jetzt los."
Seit die Nachbarin neben dem Mobilfunkmasten wohnt, findet sie nachts keine Ruhe mehr. Kugler soll nun ihr Haus auf alle möglichen Strahlungsquellen untersuchen, allerdings das neue, das die Antiquitätenhändlerin Claudia von Bernstorff gerade für sie restauriert.*
Von Bernstorff: "Ich zeige ihnen jetzt mal eben die Räumlichkeiten, die als erstes ausgerutet werden müssen."
Kugler: "Ich mache das so, ich beginne unten im Parterre... dann sehen wir gleich was los ist..."
Ein paar Autominuten später sieht Kugler extrem zufrieden aus. Der Esmog Spion schweigt, nicht mal das Handy zeigt einen Balken. Aus einer eigens gebauten Halte-Vorrichtung im Auto hat er drei große Koffer mit Messgeräten in die riesige Eingangshalle geschleppt. Claudia von Bernstorff führt ihn in dem Haus herum, ein ehemaliger Hof, 150 Jahre alt. Die Nachbarin hat ihn von ihren Großeltern geerbt, sie kommt fast zeitgleich an:
"Herzlich Willkommen."
Kugler: "Gerne gekommen. Ja schön, das Erste kann ich ihnen schon mal sagen: Sehr positiv was sie hier haben, Funkbelastung ist null."
"Ahh, deswegen haben wir kein Handyempfang."
Kugler: "Lassen Sie das Handy schön bleiben, gebe Ihnen auch gleich ein paar Tipps, was Sie machen können, damit Sie es trotzdem nutzen können. Sie machen eine Umleitung, wenn sie ins Haus kommen auf ihr Festnetz."
"Aha."
Kugler: "Und dann läutet es auf Festnetz."
Kugler will keine Zeit verlieren. Hochfrequenter Mobilfunk ist hier kein Problem.
Wünschelrute bleibt fast regungslos
Doch sind 600 Quadratmeter Wohnfläche auszumessen, zuerst mit der Wünschelrute nach natürlichen Erdstrahlen, dann mit der Fauser Feldsonde und anderen Geräten nach elektrischen Feldern, die von Steckdosen in Böden, Wänden und Decken herrühren. Kugler ist ehrgeizig. Er will, dass die Nachbarin von Claudia von Bernstorff im neuen Haus endlich gut schläft.
"Ich fühle mich immer so, als wenn ich immer angeschaltet bin. Ich bin müde, aber mein Körper kann nicht loslassen – ich fühle mich wie die ganze Zeit leicht durchströmt. Das liegt sicherlich auch am Leben, wir haben ja fünf kleine Kinder und jetzt dieses Haus umgebaut, kommt sicherlich hinzu. Es war aber auch schon vorher der Fall."
Kuglers Gesicht ist jetzt völlig konzentriert, als er mit der Wünschelrute Schritt für Schritt das enorme Wohnzimmer abläuft. Noch ist alles leer, von ein paar Arbeitsleitern und Handwerkszeug abgesehen. Dann lächelt er begeistert, die Wünschelrute bleibt fast regungslos, nur im hintersten Winkel ein leichter Ausschlag:
Kugler: "Hier läuft übrigens eine Wasserader, die läuft ganz hinten in der Ecke, das kann man vernachlässigen. Hier ist fast der Verdacht, dass - wie das Haus gebaut wurde, es ist ja schon sehr alt - ein Rutengeher da war und geschaut hat. Das trifft man häufig bei Bauernhäusern an, dass die wirklich keine Wasseradern haben."
Kugler hat schon viele herrschaftliche Häuser und Villen gesehen, selten aber ein so unbelastetes.
Schließlich entdeckt er doch noch was, mit der Fauser Feldsonde, die elektrische Felder in Volt pro Meter misst. Die Stromleitungen, die in den Zimmerwänden zu den Steckdosen führen, sind schlecht isoliert, - harmlose niederfrequente Strahlung, die aber manchen Menschen zu schaffen macht, sagt Kugler. Doch auch das ist bisher wissenschaftlich unerklärt. Kugler empfiehlt einen Netzfreischalter, mit dem sich der Strom in den Leitungen ausknipsen lässt. Trotzdem - die gute Botschaft für die Besitzerin am Ende der Begehung, als er ihr den erstellten Plan mit Störfeldern zeigt:
Kugler: "Es ist nix los hier – ist doch wunderbar!"
"Herrlich."
Kugler: "Also, Sie werden sich hier wohlfühlen gegenüber vorher. Da werden Sie erstmal den Unterschied merken was da für ne Folterkammer hatten."
"Ja!"
Kugler: "Also der Strom, der als Rest bleibt, das kriegen wir weg und dann haben Sie einen richtig edlen Platz."
Forderung: Weiße Zonen, die mobilfunkfrei sind
Zurück beim Münchener Stammtisch für Elektrosensible wünschten so manche, sie könnten sich einen weißen Fleck wie andere ihn haben, leisten. Doch die sind inzwischen selten.
Ebert: "Das ist auch das Thema, was wir fordern: Wir brauchen weiße Zonen - das ist genauso wie es Restaurants gibt für Nichtraucher, fordern wir Restaurants und Hotels, die mobilfunkfrei sind. Also weiße Zone gibt es in München nicht mehr."
Der Vorsitzende Günther Ebert bezahlt sein Essen, er ist im Aufbruch. Davor noch der letzte Besprechungspunkt: die anstehende Wanderung des Vereins nächsten Monat.
Kling: "Wir wandern im Naturschutzgebiet und das Naturschutzgebiet ist sehr wenig bestrahlt, da gibt es ein paar Plätze, wo man sich wirklich erholen kann. Und ich sag auch nicht, wo wir hingehen."
Ebert: "Sonst war es die letzte weiße Zone ..." (Lachen)
Die Mitglieder haben die Hoffnung nicht aufgeben, wenn auch nicht auf weiße Zonen, so doch auf mehr Verständnis von Nichtbetroffenen.
Wie etwa in Schweden. Dort gelten Elektrosensible als körperlich beeinträchtigt und haben ein Recht auf einen elektrosmog-freien Arbeitsplatz, den der Arbeitgeber umrüsten muss. Auch in Frankreich hat die Regierung ein neues Gesetz zum Mobilfunk erlassen. Wifi-Antennen sind nun anmeldepflichtig und WLAN in Kindergärten verboten. Und für den Stammtisch die beste Nachricht: Die Lage der Elektrosensiblen wird in unserem Nachbarland nun offiziell für einen Regierungsbericht untersucht.
Tina Hüttl: "Als ich für die Recherchen an meinem Schreibtisch saß, klingelte es an meiner Tür und mein Nachbar fragte mich, ob das mein WLAN sei, was er in seiner Wohnung sieht. Er sei gerade Vater geworden und würde mich bitten, es doch wenigstens nachts auszuschalten. Und das mache ich seitdem."
Tina Hüttl, Autorin für Reportage
Tina Hüttl© privat

* Im Vergleich zu einer früheren Version haben wir einen Namen anonymisiert.