Im Schweiße deines Angesichts

Von Sabine Korsukéwitz · 22.03.2006
Die Befreiung von der Arbeit für das tägliche Brot ist ein alter Menschheitstraum. Utopien von der Antike bis in die Neuzeit führen ihn immer wieder vor. In der Antike kennzeichnete allerdings die Freiheit von körperlicher Arbeit den Bürger - nur der Unfreie "arbeitete". Im Mittelalter konnte ein Adliger Titel und Rechte verlieren, wenn man ihn bei solch niederer Tätigkeit ertappte.
Mit Luther kam der Wandel: Jeder sollte dort seine Arbeit verrichten, wo Gott ihn hingestellt hatte - damit wurde auch eine gewisse Gleichheit hergestellt. Marx gar definierte das Existenzrecht über die Arbeit, die allein den Mehrwert herstelle. Heute, da die Arbeit schwindet, wird sie zum kostbarsten Besitzstand. Wer Arbeit zu vergeben hat, kann die Bedingungen diktieren, fast wie in schlechten alten Zeiten.

Arbeit war immer auch ein Schauplatz für Machtkämpfe. Sollte sich der Menschheitstraum erfüllen, z.B. durch das Grundeinkommen, was wird der Bürger dann mit seiner Freiheit anfangen? Müssen Arbeitgeber und Staat diesen Tag fürchten? Eine Reise durch die Geschichte der Arbeit und ihre Rolle im gesellschaftlichen Wandel.

Arbeiterin: "Schmeiss mal den 12er Schlüssel rüber! Achtung, da kommt der Chef!"

Arbeiter: "... gebeugt unter der Last der Verantwortung!"

Arbeiterin: "Ich würd' ihm ja schon was abnehmen von der Verantwortung..."

Arbeiter: "Will er ja nicht. Kein Betriebsrat, kein Sagen, nichts! Nur arbeiten dürfen wir. Arbeiten wie die Tiere!"

... wie die Tiere eben gerade nicht. Die Fähigkeit zur Arbeit ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, so der Berliner Historiker Prof. Paul Nolte:

"Menschen arbeiten, indem sie sich Werkzeuge beschaffen - das ist ja etwas, was vielleicht einige höhere Menschenaffen noch können - und indem sie eine zeitliche Perspektive entwickeln, indem sie für die Zukunft auch planen. Dann kann man auch sich anstrengen, um dann am nächsten Tag sich ausruhen zu können. Dann wird "gearbeitet", auch wenn das noch nicht so heißt, indem man sich im Moment stärker anstrengt, noch mehr Früchte sammelt und morgen kann man dann mal verzichten, auf die Jagd zu gehen."

"Und das hat dann später auch zu tun mit der Verteilung von Rollen, mit der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in einem Clan. Diese Punkte sind eigentlich fundamental für das Entstehen von Arbeit bei den Menschen. Das ist eine kulturelle Fähigkeit, aber gleichzeitig auch ein Fluch: klassisch in der Bibel festgehalten bei der Vertreibung aus dem Paradies: Es fällt uns eben nicht alles so zu und wir wandern durch den Garten und pflücken die Früchte, sondern es ist eben mit harter Arbeit und das Feld bestellen - "im Schweiße deines Angesichts" - verbunden."

Wenn wir Arbeit definieren als ein Zweck- und zukunftsgerichtetes Handeln, dann ist sie das Mittel, mit dem der alte Affe Adam es geschafft hat, eine gewaltige evolutionäre Distanz zwischen sich und allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten zu legen. Die Bedeutung von "Arbeit" wird schon in den frühesten Schriften der Menschheit erkannt.

Schwemmer: "Es ist in der Tat so, dass Herodot, etwa 700 Jahre vor Christus, also ungefähr wie Homer gleichzeitig, eine einzigartige Konzeption vorträgt, nachdem es das Gesetz der Erde ist: Die Arbeit und die Rechtssprechung, und er sagt dann: Arbeit macht ja die Männer "reich an Herden und Habe, und auch durch Arbeit sie viel lieber den unsterblichen Göttern". Rechtssprechung, Religion und eben die Arbeit - das sind die Grundpfeiler der Gesellschaft und das ist das erste europäische Zeugnis das wir haben, in der die Arbeit als ein Faktor der kulturellen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung gesehen wird."

Arbeit. So zentral ist dieser Begriff der menschlichen Kultur, dass er in unserer gesamten Geschichte ständig definiert, diskutiert und umgedeutet worden ist. Natürlich schuftet niemand gern. In den antiken Gesellschaften waren für schwere, körperliche Tätigkeiten Sklaven zuständig. Aristoteles, erklärt der Philosoph Prof. Oswald Schwemmer, unterschied "Poiesis", als niedere, abhängige Tätigkeit und "Praxis": alles was zur Regierung und einem guten, tugendhaften Leben gehörte.

Schwemmer: "Alle die Dinge sind schlecht, die dem Körper oder der Seele schaden. Und die Arbeit - weil sie unselbstständig ist, und ich gar nicht darüber nachdenken kann, was ich machen sollte - deshalb lässt sie das Denken sich nicht entwickeln und sie ist etwas, was nur in Abhängigkeit verrichtet werden kann von Sklaven und Handwerkern, den Banausen, das heißt nur gemein, niedrig, das sind nur niedrige Arbeiten, das ist etwas, das Seele wie Geist nicht befördert."

Arbeiter: "Der hatte Recht, der alte Aristoteles: Arbeit schadet, habe ich ja immer schon gesagt. Gib mal die Bierflasche rüber!"

Arbeiterin: "Ja, klar: Deshalb bist du auch hier der Trottel: Weil du nämlich nicht über den Rand deiner Flasche gucken kannst. Aristoteles meinte ja nicht, dass man nur in der Hängematte liegen soll und außerdem konnte der bloß so reden, weil er was Höheres war, ein Aristokrat, so ein ... Sklavenhalter."

Schwemmer: "Bei Platon ist die Tätigkeit nicht schöpferisch, sondern ein Arrangement von Material. Also die Tischler etwa, die uns das Holz zusammenbringen, arrangieren, und das ist in dem Fall nicht schöpferisch, und deshalb ist aber trotzdem - das ist jetzt anders als bei Aristoteles - der Handwerker mehr wert als der Dichter oder der Künstler: Weil nämlich der Handwerker stellt ein Bettgestell her, der Dichter beschreibt es nur und der Maler macht ein Bild davon. Und dann sagt er den Dichtern und Malern: Ja, was habt ihr denn wirklich getan? Ihr macht die Leute nur unruhig, Emotionen regt ihr auf, wir verlieren die Ruhe und ihr gehört überhaupt nicht in den Staat, es sei denn ihr preist die Götter und die Regierung. So ähnlich wie heute."

In der Philosophie gibt es keine durchgängige Entwicklung des Arbeitsbegriffs. Es ging eigentlich immer nur um die Definition: Was ist Arbeit und was ist keine Arbeit und vor allem immer wieder um ihre Wertigkeit. Ist Arbeit bloße Mühsal oder ist sie in sich etwas wert?


Hier steht's, im Wörterbuch: "travail", französisch: Arbeit, kommt vom Lateinischen: quälen, pfählen! Oder hier, germanisch: "Arba", das hieß Knecht oder auch: "arbejo": Ich bin ein verwaistes und darum zu harter Arbeit verdingtes Kind.

Arbeiterin: "Na ja, sicher: Oft ist Arbeit schwer und macht keinen Spaß, aber was machst du für ein dummes Gesicht, wenn du keine Arbeit mehr hast! Sie gehört einfach zum Leben."

Arbeiter: "Das sagst Du!"

Die eher negative, antike Arbeitsauffassung änderte sich mit dem Christentum. Der Schöpfergott hatte seine Arbeit getan und den Garten Eden dem Menschen übergeben, der ihn zu "bearbeiten" und zu "bewahren" hatte. Der spätere Fluch lag nicht in der Arbeit, sondern in den harten Bedingungen nach der Vertreibung aus dem Paradies.

Arbeiterin: "So soll nun der Acker verflucht sein um deinetwillen; unter Mühsal sollst du dich von ihm nähren... Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrest."

Arbeiter: "Opium fürs Volk! Die Adeligen haben sich bei der Mühsal ja hübsch zurück gehalten. Den Schweiß hat immer nur unsereins auf der Stirn gehabt."

Nolte: "Ja, das war eine Fortwirkung dieses Arbeitsbegriffes als eines Fluches und gleichzeitig etwas, das soziale Distinktion verschaffte, indem man es nicht tat, also dieses Element der sozialen Differenzierung, das durch die Arbeitsteilung hineingekommen ist, wer nicht arbeiten brauchte, der verfügte eben über einen höheren sozialen Status und konnte das auch nach außen hin demonstrieren, dass er eben nicht arbeiten brauchte.

Es galt dann als unehrenhaft, zu arbeiten, auch in der Arbeit wird dann ganz stark unterschieden, also: Bestimmte Arbeiten sind ehrenhaft und es gibt auch unehrenhafte Arbeiten, an der unteren Skala dann der Henker, also eine sehr starke Verbindung mit der Vorstellung von Ehre, die sich durch die gesamte gesellschaftliche Hierarchie hindurch zieht."

Ging es im Mittelalter zwischen christlich-moralischem Anspruch und Alltag immer noch bunt durcheinander, so änderte sich in der Renaissance etwas Grund Legendes: Über den Arbeitsbegriff wandelte sich das Bild vom Menschen:

Schwemmer: "In der Renaissance ist produzieren wirklich schöpferisch. Leonardo da Vinci zum Beispiel, der ist stolz darauf, dass er kein Latein schreibt, dass er nicht Gelehrter ist, weil er sagt: die übernehmen immer nur, während die Entdecker und Erfinder, das sind die Richtigen, und nicht diese, die hier nur etwas beschreiben, ohne selbst kreativ zu sein.

Er ist stolz darauf, dass er Dinge macht, und da ist es nicht mehr die Trennung: Gott schafft - der Mensch arrangiert. Und da ist ein neuer Gedanke: Da löst der Mensch Gott ab als Schöpfer. Das gab es vorher nicht."


War bislang die Arbeit nur ein notwendiger Prozess zur Ernährung, von Religion mehr oder weniger schön bemäntelt, so gibt es jetzt seit der Antike erstmals wieder den Gedanken, dass der Mensch mehr aus sich machen kann, wenn er schafft. In der Antike wird das Denken und die Wissenschaft höher geschätzt als das "machen", weil sie vermeintlich nur in der Muße stattfinden können. In der Wiedergeburt wechselt die Betonung mehr auf das aktive Element.

Arbeiter: "Also schön, aber ich kann es nun mal nicht als so göttergleich empfinden, dass ich hier stehe und Schrauben festziehe... Kuck mal, der Chef hat wieder einen wichtigen Anschlag angepinnt. Der hat bestimmt ‚'ne neue Vorschrift für uns geschöpft!"

Das Problem der niedrigen, unbefriedigenden Arbeit blieb, seit Aristoteles mit der Unselbstständigkeit, also der mangelnden Selbstbestimmung behaftet. Wie also konnte man aus Heu Gold machen, wie der Mühsal die Kappe der Tugend aufsetzen? Der Wandel im Denken setzte mit Luther ein.

Liebermann: "Ich glaube, ein entscheidender Wendepunkt war die Reformation, weil mit der Reformation durch Luthers Bibel-Übersetzung - der Beruf als Berufung - eine Umwertung der Arbeit hergestellt wird: man ist von Gott berufen, ihm zu dienen, dort, wo er einen hingestellt hat, jeder konnte Gott gleichermaßen dienen und das hieß also: Jede Tätigkeit, der man nach ging wurde damit zu einem Gottesdienst erhoben. Das interessante daran ist, dass der Begriff "dienen" und "Arbeit" damit universalisiert wurde. Es war nicht mehr so, dass die einen Gott näher sind, als die anderen.

Das schaffte die Möglichkeit des Zusammenbruchs der ständischen Gesellschaft, weil der Adel vorher nicht gearbeitet hat und weil er aufgrund der Position und des ererbten Vermögens Anerkennung erfuhr und nicht durch die Leistung, die er erbracht hat. Und jetzt ist es auf einmal möglich, dass im Grunde genommen jeder gleich viel gilt vor Gott. Das ist eigentlich die Grundlage für das, was wir heute Leistungsethik nennen. Es war gesellschaftlich eine Öffnung."

Dr. Sascha Liebermann, Soziologe aus Frankfurt. Das Element der Gott bestimmten Arbeit "ora et labora" als eine Form des Gebets war im Katholizismus schon vorhanden, praktisch vorgelebt von den Bettelorden, aber Luther machte einen großen Eindruck: Seine Bibel, seine Predigten konnte jeder verstehen:

Der 128. Psalm sagt: "Wohl dem, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen gehet, du wirst dich nähren von deiner Hände Arbeit, wohl dir, du hast’s gut!" Wiederum hören wir, dass der Mann, der Gott nicht fürchtet, auch nicht auf seinen Wegen gehet, sondern in des Teufels Weg wandelt, der nicht Arbeit, nur spazieren gehen will, der soll es nicht gut haben und unselig sein, das ist: einen ungnädigen Gott haben...

... und damit ja keine Missverständnisse aufkamen, hinsichtlich der Arbeit Luthers selbst:

Also arbeitet auch ein Predikant "im Schweiße seines Angesichts", welches gewiss die große Arbeit ist, mit dem Kopf zu arbeiten...

Müßiggang wurde gebrandmarkt, eine christliche Grundvoraussetzung, die bis heute in unseren Köpfen nachwirkt.

Schwemmer: "Na ja und dann kommt die Aufklärung, da wird Arbeit unterschiedlich betrachtet, aber jedenfalls als etwas, das wir benötigen, zu dem wir uns auch bringen sollen, das wird mit Tugenden versehen, wie wir arbeiten sollen. Und wir sollen gesund bleiben, um arbeiten zu können. Nur durch Arbeit haben wir unseren Reichtum, unseren Wohlstand. Etwa bei Kant findet sich auch dieser Gedanke des Produzierens, des Herstellens, und das ist die eigentliche Fähigkeit des Menschen, wobei er gar nicht an die individuellen Fähigkeiten des Menschen denkt, sondern er denkt an "Arbeitsvermögen" wie er auch an Erkenntnisvermögen denkt, und die Individuen sollen sich die Arbeit teilen, das ist also positiv besetzt aber trotzdem ist Mühe und teilweise auch Abhängigkeit mit gedacht. Das ist eben das, was wir ertragen müssen, um unser Leben zu bewerkstelligen, und "bewerkstelligen" meine ich hier in einem etymologisch wörtlichen Sinne: Werke herstellen zu können."

Im Wirkungszusammenhang der Bedingungen und Kräfte, die im 17. bis 18. Jahrhundert Europa an die Moderne heranführten, kamen antike und christliche Traditionen auf den Prüfstand, auch die Stellung der Arbeit wandelte sich: Von der niedrigen Sklaventätigkeit zur gesellschaftlichen Notwendigkeit; von der in Demut zu ertragenden Mühsal zur Selbstverwirklichung.

1690 schrieb der englische Philosoph John Locke:

Die Arbeit seines Körpers und die Arbeit seiner Hände, dürfen wir sagen, gehören ihm. Was auch immer er herausnimmt aus dem Zustand, in dem die Natur es geliefert und belassen hat, er hat es mit seiner Arbeit vermischt und etwas von sich hinzugetan. Damit hat er es zu seinem Eigentum gemacht, denn es ist in der Tat die Arbeitsleistung, die jedem Ding seinen Wert gibt. (John Locke "Two Treatises of Government, 1690)

Damit hat sich die Arbeit emanzipiert von der untersten Stufe menschlicher Tätigkeit zur höchsten Form menschlicher Potenz. Diese Sichtweise ermöglichte dem Menschen, sich über die Natur zu stellen. Die Natur wurde die Sklavin, der Mensch ihr Herr. Am Ende war in diesem Prozess christliche Moral überflüssig geworden. Die Arbeit als Prinzip hatte sich verselbstständigt.

Arbeiter: "Aha. Aber wieso soll ich denn nun den Sinn des Lebens darin sehen, ständig zu malochen?"

Arbeiterin: "Weil du das brauchst!"

Arbeiter: "Wer sagt denn so was?"

Arbeiterin: "Na zum Beispiel Immanuel Kant, Aufklärer, Mitbegründer des deutschen Idealismus..."

"Je mehr wir beschäftigt sind, je mehr fühlen wir, dass wir leben, und desto mehr sind wir uns unseres Lebens bewusst. In der Muße fühlen wir nicht allein, dass uns das Leben so vorbei streicht, sondern wir fühlen auch sogar eine Leblosigkeit." (Immanuel Kant zitiert nach Paul Menzer "Eine Vorlesung über Kants Ethik" 1924)

Die gesamte Zeitströmung läuft auf eine Leistungsgesellschaft hin: Die Erfolgsorientierung der Calvinisten, die Unterscheidung der Bevölkerung in Arbeiter und Parasiten der französischen Revolution; der auf Wachstum zielende Merkantilismus und die Mechanisierung - all das macht die Arbeitsleistung zur existentiellen Anforderung.

Doch noch stand der Mensch im Mittelpunkt. Kant forderte die Befreiung der Arbeit von entwürdigender Fremdbestimmung. Fichte sah ihre Grenzen:

"Das absolute Eigentum aller sei freie Muße zu beliebigen Zwecken, nachdem sie die Arbeit, welche die Erhaltung ihrer selbst und des Staates von ihnen fordert, vollendet haben. Endzweck aller Verbindung der Menschen zum Rechte ist Freiheit; das heißt zuvörderst Muße. Diese ist der eigentliche Zweck und die Arbeit nur das aufgedrungene Mittel." (Johann Gottlieb Fichte "Das System der Rechtslehre" 1834)

Arbeiter: "Damit bin ich voll inhaltlich einverstanden."

Arbeiterin: "Ja ja, du würdest nur noch auf dem Fußballplatz hocken."

Arbeiter: "Na und? Er hat gesagt "Muße zu beliebigen Zwecken!" Und außerdem heißt es doch "Ein gesunder Geist wohnt in einem sportlichen Körper."

Arbeit hatte für die Schulmeister des deutschen Idealismus einen Menschen bildenden Zweck zu erfüllen. Zum ersten Mal wurden hier Arbeit und Bildung miteinander verknüpft. Doch die Aufklärung produzierte ihre eigenen Schatten. Arbeitslose, gänzlich Müßige hatten in dem System keinen Platz.

Der Historiker Paul Nolte: "Die Einführung von Arbeitshäusern im 17./18.Jh, dann auch durch die französische Revolution hat einen Schub bekommen, Menschen, die keine Arbeit hatten oder aus der Gesellschaft raus gefallen sind, in Arbeitshäusern zusammenzufassen und sie dort arbeiten zu lassen und sie mit der Arbeit auch eine disziplinierende oder erziehende Wirkung erfahren zu lassen, das hat sich dann im späten 19. Jahrhundert übersetzt in neue Institutionen, in neue Formen der Fürsorgepolitik, in der Jugendfürsorge oder in anderen Bereichen der sozialen Fürsorge, die sich mit Arbeit, mit der Heranführung an geregelte Lebensführung durch Arbeit verbinden sollte."

Im Dritten Reich gipfelte Disziplinierung durch Arbeit in dem zynischen Spruch, der über einigen KZ-Toren stand: "Arbeit macht frei." Heute gefallen sich Staatsvertreter darin, Arbeitslose in mehr oder weniger sinnvollen Maßnahmen zu gängeln, auch das eher eine Machtausübung denn Menschen bildend. Doch davon war man in der Aufklärung noch weit entfernt.

Hegel beschwor in seinem berühmten Kapitel von Knecht und Herr die Abhängigkeit beider voneinander, sah aber klarer als alle seine Zeitgenossen die Gefahren einer technisch fortschreitenden Arbeitsentwicklung:

Der Mensch wird "durch die Abstraktion der Arbeit mechanischer, abgestumpfter, geistloser. Das geistige, dieses erfüllte, selbst bewusste Leben, wird ein leeres Tun. ... Es werden eine Menge (Menschen) zu den ganz abstumpfenden, die Geschicklichkeit beschränkenden Fabrik-Manufaktur-Arbeiten ... verdammt, ... und diese Menge ist der Armut, die sich nicht helfen kann, preisgegeben." (zitiert nach Johannes Hoffmeister Jenaer Realphilosophie, 1931)

Die Industrialisierung entwertet zunächst die manuelle Arbeit mit allen Auswüchsen, die wir kennen: Verelendung, Hungeraufständen, Maschinenstürmern, aber....

Nolte: "Daraus resultiert dann eine ganz wesentliche Innovation moderner Gesellschaften, nämlich dass sich tatsächlich die Organisation von Menschen sehr vorrangig - nirgendwo sonst eigentlich so stark kristallisiert hat wie im Bereich Arbeit eben mit der Entstehung von Gewerkschaften oder dann auch Arbeiterparteien, sozialdemokratischen Parteien, als Antworten auf dieses Problem der Arbeit."

Musik: "Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt, wir sind der Sämann, die Saat und das Feld. Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd. Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat."

Marx und Engels führten den Arbeitern ihre Macht in der Masse vor Augen und gaben ihnen Selbstbewusstsein:

Wörmann: "Da entwickelte sich eine sehr stolze Arbeitnehmerschaft, es gab ja auch diesen Begriff der Arbeiteraristokratie, die einfach was auf sich hielt, es gab eine ganze Arbeitnehmerkultur, die prägend war im Kaiserreich noch, aber auch in der Weimarer Zeit: Das waren stolze Arbeiter und Arbeiterinnen, Sie müssen mal die alten Versammlungen sehen, die Banner sehen, wie sie in den 20er Jahren noch unglaublich stolz sich präsentierten, das hängt mit diesem ganzen Arbeitsprozess zusammen, also Sie sahen schon die Bedeutung dieses Arbeitsprozesses für die Gesellschaft und das hat sich dann fundamental verändert."

So schwärmt Dr. Heinz Wörmann von der DGB-Stiftung "Arbeit und Leben". Die Arbeiteraristokratie - tatsächlich glaubte man ja, eines Tages die Macht übernehmen zu können, und eine Zeit lang gab es sogar diese Möglichkeit - diese vereinigten und selbst bewussten Arbeiter übernahmen den Bildungsbegriff der Aufklärung:


Wörmann: "Die Volksbühnenbewegung zum Beispiel ist aus Arbeitergroschen zusammen gesammelt worden, die berühmte Volksbühne am Luxemburgplatz noch im Kaiserreich eröffnet mit Gerhardt Hauptmann, die Gesangsvereinsbewegung, die Kunst natürlich, in der Weimarer Zeit die Avantgarde in der Architektur, aber auch in der Kunst, die gehörte in dieses Lager, das war die Avantgarde die da baute und Max Taut und Erich Mendelssohn, das gehörte alles zu dieser Kultur und dann natürlich die Vertretung international auch. Auch die Friedensbewegung im Ersten Weltkrieg, übrigens auch die Frauen sollte man nicht vergessen, das sind alles Leistungen der damaligen Arbeitnehmer und Arbeitsnehmerinnenbewegung."


Musik: "Herrn der Fabriken, ihr Herren der Welt, endlich wird eure Herrschaft gefällt. Wir, die Armee, die die Zukunft erschafft, sprengen die Fesseln engender Macht. "


Arbeiterin: "Von wegen: sprengen die Fesseln! Heute diktieren die Arbeitgeber die Bedingungen: Und wir kuschen, bloß um nicht auf die Straße zu fliegen."

Arbeiter: "Nanu! Eben hast du dich doch noch so für die Arbeit begeistert. Aber wenn’s keinen Spaß mehr macht, dann werden die Bosse eben seh’n, was sie davon haben. Ich meine: Sie können dich zwar zwingen zu arbeiten, aber zwingen gut zu arbeiten, das können sie nicht."

Arbeiterin: "Na das ist vielleicht ein Trost!"

Die Arbeit verschwindet, so scheint es. Zeit, endlich die alten Träume der Menschheit umzusetzen, findet Sascha Liebermann von der Initiative "Freiheit statt Vollbeschäftigung". Er vertritt die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, aber das stößt zurzeit noch auf wenig Gegenliebe.

Liebermann: "Anstatt die Entlastung durch Maschinen als einen Erfolg zu sehen, als eine Rückgewinnung von Freiheit könnte man sagen, sprechen wir ja immer von Versagen. Statt den wirtschaftlichen Erfolg zu sehen in der Erzeugung von Werten, Gütern und Dienstleistungen, reden wir immer von den wirtschaftspolitischen Problemen, die wir haben. Wir sind ja nicht ein armes Land, sondern ein reiches Land. Die Frage ist, wie nutzen wir dies? Wir setzen eben immer auf Regulierung und Zentralisierung. Wir sprechen immer von Wettbewerb, aber wir zentralisieren.""

Der Historiker Paul Nolte ist skeptisch:

"Ich glaube, dass wir mit guten Gründen daran festhalten, dass Arbeit einen zentralen Stellenwert für die Selbstdefinition von Menschen hat, weil wir auch nicht zuletzt in den sozialen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit sehen, was passiert, welche sozialen und kulturellen Welten zusammenbrechen, wenn Menschen Arbeit fehlt und auch dieses Element der Sinnerfüllung des Lebens, das aus Arbeit folgt, fehlt.

Der zweite Aspekt ist auch das Problem einer regelmäßigen Lebensführung. Es geht mir nicht darum, das Regiment des Weckers im Leben einzuführen, sondern die Fähigkeit sein Leben zu strukturieren und unter Kontrolle zu halten und da übt eben Arbeit offensichtlich so etwas wie einen sozial heilsamen Zwang aus, sein eigenes Leben im Verhältnis zu anderen auf die Reihe zu kriegen und zu organisieren."

Liebermann: "Ein ganz großer Punkt hier ist das Misstrauen. Das ist ein Misstrauen darein, dass der Einzelne im Prinzip seinen Weg finden wird, ganz gleich worin der besteht, ein Weg der ihm angemessen ist. Das Misstrauen ist gewaltig in unserem Land. Und das ist natürlich auch ein Selbstmisstrauen.

Ich gucke in die Realität und sehe, dass viele ganz genau wissen was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen wollen. Das kann extrem schwer werden bis zu dem Widerspruch, dass der Beruf nur noch Broterwerb ist, und man die eigentliche Erfüllung nur noch außerhalb hat. Aber selbst unter so ungünstigen Bedingungen sucht man sich eben einen Bereich, irgendein Engagement ehrenamtlich, das einem eine Erfüllung gibt."

Sascha Liebermann und andere Vertreter des Grund- oder Bürgereinkommens sehen zum Beispiel im Zulauf zu Ehrenämtern den Beweis, dass Menschen schon arbeiten wollen, aber eben ohne die Existenz-Knute im Nacken.

Auch die Machtverhältnisse würden sich ändern: Im Augenblick benutzen viele Arbeitgeber ihre Position der Stärke, um die Bedingungen zu diktieren und z. B. Mitbestimmung zu unterdrücken, obwohl sie gesetzlich vorgesehen ist.

Heinz Wörmann vom DGB: "Das Verhältnis in Deutschland zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist ja geprägt durch Mitbestimmungsregelungen, wo oft die Betriebsräte für den Betrieb sich einsetzen, und oft auch mit dazu geholfen haben, Betriebe durch schwieriges Gefahrwasser zu bringen, wenn man dieses aufbricht, dann kommen Sie wirklich in eine hire-and-fire-Situation, praktisch ein Rückfall in Arbeitsnehmersituationen von vor weit über hundert Jahren.

Die Stärke des Standorts Deutschland wäre, wenn man nicht nur kurzzeitige Verwertungsinteressen hat. Und dann brauchen Sie auch Leute im Betriebsrat, im Personalrat, mit denen Sie reden können.
Es ist sehr schwierig, das kriegen Sie ja mit: ver.di hat das aufgedeckt mit Lidl, wo Lidl versucht einfach Gewerkschaftsvertretungen zu eliminieren. Der Kampf ist härter geworden. Versuchen Sie mal einen Personalrat bei Walmart aufzubauen, viel Vergnügen! Es ist kein Vergnügen, nur noch für die Belange eines Sozialplans sich dann einzusetzen..."

In der privaten Wirtschaft kämpfen die Gewerkschaften längst Rückzugsgefechte.
Unsere Gesellschaft befindet in einer Übergangssituation, die ebenso gewaltig ist, wie die industrielle Revolution. Es gibt ja Arbeit: Arbeit für die Gesellschaft, Familienarbeit, soziale Arbeit - angeblich unbezahlbar.

Modelle der Zukunft werden diskutiert und dabei argumentiert man mit Versatzstücken vergangener Zeiten und Philosophien: Die antike Verachtung manueller und abhängiger Arbeit ist irgendwie noch da. Das Fleiß-Gebot des Protestantismus schwirrt in den Köpfen herum auch bei Konfessionslosen. Die einen halten die Selbstverwirklichungsidee der Aufklärung hoch, die anderen schwören immer noch auf das Grenzenlos-Wachstums-Modell des Wirtschaftsliberalismus. Ein zeitgemäßes, der Situation angemessenes Denkmodell wird es schwer haben.