"Im Netz so arbeiten, wie das Netz eben funktioniert"

Wolfgang Michal im Gespräch mit Britta Bürger · 14.11.2012
Online-Journalismus habe immer noch nicht den Stellenwert, der notwendig sei, damit Verlage ihre Leser auch im Netz an sich binden können, kritisiert Wolfgang Michael. Verlage hätten zu lange auf klassische Zeitungen gesetzt.
Britta Bürger: Immer mehr Leserinnen und Leser verzichten auf den Kauf einer Tageszeitung. Stattdessen suchen und finden sie Informationen in Online-Angeboten. Die "Frankfurter Rundschau" hat in den vergangenen zehn Jahren fast die Hälfte ihrer Abonnenten verloren und zugleich den Anschluss an erfolgreiche Online-Portale verloren. Mit den Online-Kollegen von "Spiegel", "Süddeutscher Zeitung" und der "Zeit" kann die "Frankfurter Rundschau" mit Abstand nicht konkurrieren. Hat sich der Verlag also selbstverschuldet, hinauskatapultiert? Welche Weichen müssten die Print-Medien stellen, um im Netz erfolgreich zu sein? Darüber sprechen wir jetzt mit dem Journalisten und Blogger Wolfgang Michal. Er hat viele Jahre für die Wochenzeitung "Vorwärts" und das Magazin "GEO" gearbeitet und schreibt heute für Online-Plattformen wie zum Beispiel carta.info, das ist ein Blog, der sich vor allem mit Netz- und Medienthemen einen Namen gemacht hat. Schönen guten Tag, Herr Michal!

Wolfgang Michal: Guten Tag!

Bürger: Ist das Scheitern der "Frankfurter Rundschau" ein Einzelfall oder doch symptomatisch für den Anfang eines weitaus größeren Zeitungssterbens in Deutschland?

Michal: Ja, ich denke, das ist symptomatisch, und es tritt jetzt, weil es eben eine so große Einrichtung und Institution betrifft, auch erstmals ins Bewusstsein einer breiten Leserschaft und auch vor allem der Redakteure, die in anderen Tageszeitungen arbeiten. Also sie sehen jetzt einfach, die Einschläge kommen sehr viel näher.

Bürger: Was machen deutsche Zeitungsverleger falsch?

Michal: Die Rahmenbedingungen haben sich schlicht und einfach geändert, das Internet macht es einfach möglich, dass man einzelne Nachrichten sich zusammenstellen kann zu einer persönlichen Zeitung, und die Zeitungen sind umgekehrt teurer geworden. Seit die Anzeigen ins Netz abwandern, haben sie die Vertriebserlöse, müssen sie erhöhen, das heißt, die Zeitungspreise werden teurer, und wenn man sich heute ein Abo von einer überregionalen Zeitung kauft, dann muss man 500 Euro im Jahr ausgeben, und das ist für viele Leute einfach zu viel. Außerdem hat sich das Publikum geändert, also bei der "Frankfurter Rundschau", das war sozusagen das Pflichtblatt für den sozialdemokratischen Gewerkschafter gewesen, diesen Typus gibt es ja so auch nicht mehr in großer Zahl. Also das Publikum hat sich geändert, die Rahmenbedingungen haben sich geändert, und auch die Kaufkraft hat sich für viele Leute geändert.

Bürger: Bei Gruner + Jahr stehen gerade die Wirtschaftsmedien auf der Kippe, die "Financial Times Deutschland" zum Beispiel, die Zeitschriften "Capital" und "Impulse" - haben die auch den Sprung ins Netz verpasst, und wären sie da nicht vielleicht sogar viel besser aufgehoben?

Michal: Ja, also die deutschen Zeitungsverleger haben den Sprung ins Netz natürlich lange Jahre verschlafen, in letzter Zeit allerdings sind sie aufgewacht, und vor allem die großen Konzerne gehen verstärkt ins Netz, indem sie dort Zukäufe machen an Internetplattformen, an Portalen, zum Beispiel Immobilien, Partnerschaftsanzeigen, alles, was man sozusagen früher in den Kleinanzeigen hatte, das gibt es ja inzwischen als Internetportal, und da versuchen sich jetzt die Zeitungsverlage einzukaufen und damit Geld zu machen. Was sie dabei vergessen, ist, dass das eigentlich gedacht ist, um den Journalismus zu finanzieren. Also der Springer-Verlag zum Beispiel, der verdient heute die Hälfte seines Geldes praktisch schon mit digitalen Angeboten. die haben aber meistens nicht viel mit Journalismus zu tun.

Bürger: Ja, es geht ja um die Inhalte. Müssten die Zeitungen dafür nicht auch all ihre Perlen eigentlich online stellen? Es gibt ja eben die Angebote von der "Süddeutschen" zum Beispiel auch im Internet, aber das Streiflicht und die Seite drei findet man nicht online.

Michal: Ja, also da gibt es einfach widersprüchliche Strategien - das ist ähnlich gewesen bei der "Frankfurter Rundschau", die einmal dieses Konzept, dann wieder ein völlig anderes Konzept verfolgt hat, und das im Rhythmus von wenigen Jahren, woran sich die Leser einfach nicht gewöhnen können, und ähnlich geht es bei den Online-Aktivitäten einiger großer Verlage. Also Gruner + Jahr hat auch seine Hü-und-Hott-Politik gemacht: Einmal wollten sie einsteigen ins Internet, dann wollten sie wieder raus, dann wollten sie Paywalls, dann wieder nicht - also diese Hü-und-Hott-Strategien, die verwirren natürlich vor allem die eigenen Journalisten im Haus. Wenn man nicht von Anfang an wirklich hundertprozentig auch auf online setzt, wie das zum Beispiel der "Spiegel" gemacht hat mit "Spiegel Online", dann kann man da wenig gewinnen, und dann ist man, wenn man im Internet einige Jahre zu spät ist, einfach immer hinten dran.

Bürger: Ja, "Spiegel online" ist erfolgreich und profitabel - machen die alles richtig?

Michal: Die sind einfach sehr frühzeitig gestartet, also das war, glaube ich, eines der ersten Nachrichtenportale im Netz, und sie haben sehr viel Geld investiert, das ist eine große Redaktion, wenn Sie bedenken, die machen täglich 100 Geschichten, die sie verbreiten. Das heißt, jeder, der aktuell informiert sein will, geht mehrmals am Tag auf diese Seite, nur einfach um zu sehen, ob es wieder was Neues gibt. Das kann man natürlich kritisieren, aber das hat natürlich dazu geführt, dass "Spiegel Online" eine so riesige Reichweite hat, dass tatsächlich auch die Anzeigen auf dieser Seite das Angebot finanzieren, und zwar vollständig. Also sie schreiben schwarze Zahlen.

Bürger: Man muss sich aber auch den Vorwurf der Boulevardisierung machen lassen.

Michal: Muss ich machen lassen, ja, aber diese Boulevardisierung, die ist ja generell eingezogen, also das werden Sie auch bei großen Qualitätsblättern merken, was die inzwischen für Themen machen, auch auf Seite eins, wie sie versuchen, die Leser so langsam einzubinden, dass sie sehr viel über populäre Stars berichten, das hätten sie früher alles nicht gemacht, also das ist, glaube ich, ein genereller Zug. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Leser und die Zuschauerpräferenzen verändert haben, also durch das Internet. Die Zugänge sind einfach viel leichter und man orientiert sich sehr viel mehr auch an audiovisuellen Inhalten. Also auch die Zeitungen müssen natürlich immer mehr Videos bringen, und das ändert natürlich auch ihr Gesamtkonzept.

Bürger: Sind Zeitungen auf Papier ein Auslaufmodell, darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten und Blogger Wolfgang Michal. Der klassische Zeitungsleser ist ja meist an eine, also an seine Tageszeitung gebunden: Bei der "taz" oder bei der "FAZ" weiß man, was man kriegt. Wie lässt sich solch eine Bindung auch im Netz herstellen?

Michal: Also man kann nicht einfach sozusagen, die Zeitung ins Netz übertragen. Man muss, glaube ich, im Netz so arbeiten, wie das Netz eben funktioniert. Man muss sehr viel verlinken, man muss auch mit anderen Angeboten kooperieren und sich so allmählich eine eigene Marke aufbauen. Diese Markenbildung, die ist gerade im Gange, glaube ich, also dass auch im Netz sich Angebote etablieren, wo der Leser sofort weiß, also wenn ich auf diese Seite gehe, dann kriege ich wahrscheinlich was Vernünftiges oder das, was mich interessiert, aber man kann nicht einfach sozusagen wie ein ePaper die Zeitung ins Netz klatschen, das wird nicht funktionieren, vor allem sind die meisten Zeitungen immer noch nicht bereit, auf Angebote zu verlinken, die außerhalb ihrer eigenen Seite sind. Also selbst "Spiegel online" verlinkt meistens auf "Spiegel Online", und nicht auf Angebote, die draußen sind. Und das muss man einfach machen, also man muss diese Vertiefung, die im Netz einfach da ist, diese Kooperation, die muss man auch nutzen. Und dann bekommt man auch was zurück, ein Feedback, und auch Nutzerzahlen werden sich dann verändern, wenn man auch andere Leute mit einbezieht und empfiehlt und auf sie verweist, dass eben da auch was Gutes steht, es muss nicht im eigenen Blatt sein. Und diese Online-first-Strategie, die zum Beispiel der "Guardian" verfolgt hat, die hat eben dazu geführt, was natürlich im englischsprachigen Raum ein bisschen einfacher ist, dass die inzwischen 37 Millionen Nutzer haben weltweit.

Bürger: In Deutschland hat ja der Internetjournalismus immer noch so eine Art Imageproblem, wird eher ein bisschen abschätzig beurteilt von vielen. Wie kann man guten Online-Journalismus, Qualitätsjournalismus, den es ja auch gibt, so ausbauen, dass er sich auch finanzieren lässt?

Michal: Also erstens müsste man bei den Journalistenschulen anfangen und dort stärker auf Online-Journalismus ausbilden. Die Online-Journalisten haben bei uns keinen so guten Ruf, weil sie schlechter bezahlt werden meistens, also man hält es für einen Journalismus zweiter Klasse, so wie viele Feuilletons ja immer noch das Märchen verbreiten, dass das Internet die Gosse ist, aus der nur was Schlechtes kommen kann. Also dieser Imagewandel, der müsste einfach mal einsetzen, und der könnte ähnlich wie in Amerika das schon passiert ist, dadurch passieren, dass sich eben auch renommierte Institutionen mit dem Online-Journalismus befassen. Dort gibt es Stiftungen wie die Nieman Foundation oder die Knight Foundation, die solche Forschungen auf dem Gebiet des Online-Journalismus unterstützen, und da auch bestimmte Felder sich ausprobieren lassen, etwa Lokaljournalismus oder Datenjournalismus, und das führt natürlich auch zu einer Aufwertung dieser Form von Journalismus. Da gibt es wirklich renommierte Hochschulen wie Harvard, die sich dafür einsetzen. Bei uns gibt es ja nicht mal einen Journalistenpreis, der sich mit Online-Journalismus befasst, auch das würde ja diese Form von Journalismus aufwerten. Kennen Sie zum Beispiel einen Online-Hans-Joachim Friedrichs oder eine Online-Anne Will, die sozusagen stellvertretend stehen würde für dieses Segment von Journalismus? Das gibt es nicht, und es gibt auch keine Online-Verleger vom Schlage einer Arianna Huffington, die die "Huffington Post" gemacht hat. Also all diese Sachen, die dazu beitragen würden, dass das Renommee des Online-Journalismus steigt und das man auch in die Qualität des Online-Journalismus steigt, und dass man auch in die Qualität dieses Journalismus, investiert, das fehlt in Deutschland noch zum großen Teil, wir sind immer noch sehr stark auf den Print-Journalismus fixiert.

Bürger: Das sagt der Blogger und Journalist Wolfgang Michal. Haben Sie vielen Dank fürs Gespräch, Herr Michal!

Michal: Bitte!

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