Im Lande Infantilien

Von Wiglaf Droste · 25.04.2007
Das Delikt heißt Kitsch mit Tieren, doch das Tier kann nichts dafür. Der mit dem Knuffignamen "Knut" ausgestattete Eisbär im Berliner Zoo ist unzweifelhaft äußerst niedlich anzusehen. Er ist drollig, tapsig und flauschig, wie es seiner Art und seinem Alter entspricht. Dagegen lässt sich nichts sagen.
Seltsam sind dagegen die Aktivitäten ausgewachsener Menschen, die aus der Existenz eines Zootieres ein internationales Medienereignis machen. Der am 5. Dezember geborene Bär wird am 23. März, wie es heißt, "der Weltöffentlichkeit vorgestellt"; 500 Journalisten aus aller Welt sind dabei, der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel übernimmt die Patenschaft. Mediale Überflüssigkeitsorgane wie "Bild", "BZ" oder "Vanity Fair" kreieren, was sie einen "Superstar" nennen. Der Bär wird zur Bärenmarke.

Was folgt, sind organisierte Affektaufwühlungen. Als über Ostern zehntausende Menschen in den Berliner Zoo drängen, um das mediale Totemtier zu bestaunen und im Chor "Nein, wie süüüüß!" zu kreischen, kommt es zu Besucherstaus, die wiederum Unmut, Wut und Prügeleien unter frustrierten Zwangswartenden auslösen. Auch das ist nur neues Futter für die mediale Verwertungsmaschine; seitdem der "Knut" genannte Bär in den Rang einer Sensationsnachricht erhoben wurde, ist alles, das mittelbar mit ihm zu tun hat, selbst wieder eine Nachricht.

Mehrmals täglich gibt es neue Depeschen von Weltwucht und Bedeutung: Die Fotografin Annie Leibowitz reist aus den USA an, um den Bären zu fotografieren. Der provinzberliner Röchelsänger Frank Zander flanscht sich mit einem Lied über "Knut" an. Die "BZ" drückt ein "großes Knut-Fotoalbum" in den Markt und meldet das auf Seite eins – "Der Beweis: Knut liebt BZ". Alle Beteiligten, vom Bären abgesehen, sind volljährig. Und der von Hysterie unberührte Betrachter fragt sich angesichts der Geschrei-Offensive: Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?

Offenbar nicht. Die Entschlossenheit, die neue Erfolgsmarke "Knut" bis zum letzten Cent kommerziell auszuwringen, könnte nicht größer sein. Als vor zwei Jahren, nach der Papstwahl, die Parole "Wir sind Papst!" ausgeschenkt wurde, lief das Devotionaliengeschäft auch nicht schlecht; der Knutkitsch aber scheint ungleich erfolgreicher zu werden als der Papst-Benedikt-Kitsch. Dem Papst haftet der Makel an, ein Mensch zu sein; zwar lässt der ehemalige Kardinal Ratzinger sich äußerst professionell vermarkten, aber mit einem Bären geht es doch besser. Die Bereitschaft des Publikums zu ehrlich empfundener, also komplett geheuchelter Zuneigung lässt sich bei einem "Knut" doch leichter und massenhafter herstellen als bei einem Papst.

Die Sprache, in der das Dauerspektakel präsentiert wird, ist eine Art Kinder-Eititei. "Bild" wünscht einen geistverlassenen "knuten Tag" und attestiert dem Bären ein "fröhliches Lachen" – da lacht dann eher der Zoologe. Dasselbe Blatt meldet über den "Knut" betreuenden Tierpfleger Thomas Dörflein: "Knuts Menschen-Papa gefällt auch den Frauen". "Menschen-Papa" – man muss es noch einmal sagen: All das sind Meldungen aus der Welt der Erwachsenen. Die, plakativmedial abgestumpft, ihre Restempathie auf ein Zootier schleudern.

Die Kehrseite des Kitsches ist die Grausamkeit. Der im Frühsommer 2006 zum Medienbären gemachte und "Bruno" genannte Braunbär wurde so lange konsequent entniedlicht, bis man ihn "zum Abschuss freigab", wie es dann hieß. "Bruno" hat hinter sich, was "Knut" erst noch blüht – sollte er, älter, größer und stärker geworden, einem der ihn bedrängenden Auf- und Zudringlinge einmal nach Eisbäreneinzelgängerart eine Bärentatzenschelle verabreichen. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich das Geschrei über die "blutrünstige Bestie" vorzustellen, erhoben von identisch denselben Medialmutanten, die vorher die Welt mit einer Schmuse- und Kuscheltierwelle von Tsunamistärke überschwemmten.

Und damit die fortschreitende Infantilisierung der Öffentlichkeit massiv vorantreiben. Es ist ja nicht nur die Gossenpresse, die das Publikum anspricht, als sei es im Kindergartenalter. Auch in öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichtensendungen wird man längst von guten Onkels und Tanten angeschnackt, als wäre man nicht fähig, einen komplexeren Sachverhalt zu verstehen oder eine unangenehme Nachricht psychisch zu verkraften. Man muss es Menschen wie beispielsweise Frau Slomka deutlich sagen: Wir sind nicht aus Debilien. Wir sprechen deutsch, in ganzen, richtigen Sätzen für erwachsene Menschen, und wir können, ohne bekochlöffelt zu werden, die Wahrheit vertragen. Und bitten darum, aber dringend.

Wiglaf Droste, geboren 1961 in Herford/Westfalen, lebt als Schriftsteller und Kolumnist in Berlin, sofern er nicht als Sänger mit seiner Band, dem Spardosen-Terzett, auf jazzgestützten Lesereisen unterwegs ist. Kolumniert u.a. für die "taz", und das "Tageszeichen" auf WDR 3. Letzte Bücher: "Der infrarote Korsar" (Edition Tiamat 2003, TB Reclam Leipzig 2004), "Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi" (Edition Tiamat 2004, TB Reclam Leipzig 2005), "Nutzt gar nichts, es ist Liebe", Gedichte (Reclam Leipzig 2005). Zahlreiche CD-Veröffentlichungen.
Der Satiriker Wiglaf Droste
Wiglaf Droste© AP Archiv