Im Islam haben auch Tiere eine Seele

Von Thilo Guschas · 19.12.2009
Muslime sind wahre Tiernarren! Zumindest wenn es nach dem Koran und den Überlieferungen des Propheten Muhammads geht.
Atmo: Löwen, Kamele

So klingt die geheime Seite des Islams. Nicht einmal allen Muslimen ist sie bewusst.

"Und siehe, am Vieh habt ihr wahrlich eine Lehre."

Aber eigentlich ist "geheim" ist das falsche Wort. Meist wird diese Seite des Islams schlicht übersehen. Dabei wimmelt es im Koran geradezu vor Tieren. Viele Suren sind nach ihnen benannt: Die Kuh, das Vieh, die Biene, die Ameise, die Spinne, der Elefant.

"Der Gesandte Gottes hat das Töten des Sperbers, des Frosches, der Ameise und des Wiedehopfes verboten."

Ganz zu schweigen von unzähligen Überlieferungen. Mohammad Taghavi, Islamisches Zentrum Hamburg:

"Es wird berichtet, dass eine Frau, um ihren Durst zu stillen, aus einem Brunnen Wasser schöpfte. Als sie wieder hochguckte, sah sie dort einen sehr durstigen Hund stehen. Daraufhin hat sie einen Teil ihrer Bekleidung mit Wasser angefeuchtet, um den Tier zu trinken zu geben. Allein dieser Akt hat bewirkt, dass Gott ihr ihre Sünden erlassen und sie auf den rechten Weg geführt hat."

Wer eine Weide passiert, soll seine Kamele langsam reiten. Denn sie sollen in Ruhe grasen können. Wer Kühe melkt, möge vorher seine Fingernägel schneiden. Um die Euter nicht zu verletzen. Von solchen Weisungen finden sich viele in den Hadithen, den Überlieferungen des Propheten. War Muhammad ein Tiernarr? Die Publizistin Hilal Sezgin:

"Wenn man über den Menschen Muhammad so nachdenkt, – natürlich wissen wir nicht zu hundert Prozent, wie er wirklich war – muss er schon ziemlich oft darüber nachgedacht haben, und ziemlich viel versucht haben, seinen Mitmenschen etwas darüber beizubringen. Sonst wäre darüber nicht so viel überliefert worden. Es hätte keinen Grund gegeben, das zu erfinden."

Atmo: Biene

Aus ihren Leibern kommt ein Trank verschieden an Farbe, in dem eine Arznei ist für Menschen. Siehe, hierin ist wahrlich ein Zeichen für nachdenkende Menschen.

Atmo: Katze

Hilal Sezgin: "Katzen spielen eine ganz große Rolle bei Muhammad. Über Muhammad und die Katzen erzählt man zum Beispiel, als er zum Gebet gerufen wurde, dass er ein Kätzchen in seinen Ärmeln schlafen hatte. Da hat er überlegt, wenn er jetzt aufsteht, dann weckt er das Kätzchen. Da hat er den Ärmel abgeschnitten stattdessen."

Mohammad Taghavi: "Auf seiner Himmelsreise erlebt der Prophet, wie eine Frau bestraft wird. Er fragt: Warum wird diese Frau so streng bestraft? Er bekommt die Antwort, dass sie eine Katze gefangen gehalten hat und ihr nichts zu essen und nichts zu trinken gegeben hat."

Der Verweis auf die Himmelsreise bedeutet: Wer Tiere quält, muss im Jenseits für diese Sünden büßen. Jenseitsstrafen sind nicht weniger als die schwerste Keule für Gläubige. Nachdrücklicher lässt sich Tierschutz kaum formulieren. Ein Leben nach dem Tod, das gibt es übrigens nicht nur für die Menschen.

Atmo: Trompetender Elefant

Hilal Sezgin: "Sie werden wohl versammelt am Jüngsten Tag. Aber nur versammelt, über sie wird nicht gerichtet. Man muss es so verstehen: Tiere sind nicht schuldfähig, aber sie haben Seelen, und diese Seelen überleben, sie haben Seelen genauso wie wir. Nur die Gerichtsbarkeit fällt weg, weil sie eben nicht sündigen können."

"Die wilden Tiere werden sich nähern aus den Wüstengegenden und den Bergen, mit geneigten Köpfen, und – trotz ihrer vorherigen Wildheit – sich mit den Menschen mischen, so voll Demut sind sie durch den Tag der Auferstehung. So spricht Er: Und wenn die wilden Tiere sich versammeln."

Hilal Sezgin: "Keiner außer einem Erwachsenen, der durch jahrhundertelange blöde Philosophie verdorben wurde, glaubt, dass nur Menschen Seelen haben und keine Tiere. Wie soll das denn kommen überhaupt?"

Der Islam beschränkt sich übrigens nicht auf das Thema Tierschutz, erklärt Hilal Sezgin, selbst stolze Besitzerin von 39 Schafen, vier Ziegen und neun Hühnern:

"Ich denke schon, dass wir im Koran immer wieder aufgerufen werden, auch die Tiere anzusehen. Nicht nur durch die Verse wie zu den Zeichen Gottes – Tiere gehören auch zu den Zeichen Gottes, wie der Rest der Schöpfung – aber eben auch in solchen Versen, dass die Tiere Völker sind wie wir. Das ist ganz klar ein Aufruf an die Menschen – wir haben eine bestimmte Rolle in der Welt, aufgrund bestimmter Eigenschaften haben wir vielleicht auch eine prominente Rolle in der Welt, aber es nicht die einzige Rolle, die zählt, wir sind nicht die einzigen Geschöpfe, die zählen, und die anderen haben ja auch ihre Art, das Leben zu leben."

Das eine und einzige Thema, das die Medien erreicht, ist ein anderes. Das Schächten. Bei dem man die Tiere ausbluten lässt – bei lebendigem Leib. Ein Widerspruch zur Tierliebe des Korans?

Mohammad Taghavi: "Alles, was dazu beiträgt, die Leiden eines Tieres zu vermindern, ist islamisch empfohlen. Auch in Zeiten, wo die Betäubung eines Tieres noch nicht möglich war, wurde darauf hingewiesen, die Schlachtung so vorzunehmen, dass es möglichst wenig leidet. Zum Beispiel in der Auswahl des Ortes. Oder in der Auswahl des Messers, dass es möglichst scharf ist. Oder dass das Töten des Tieres einen Sinn hat – zum Verzehr des Menschen. Hierbei muss man aber auch darauf achten, dass der Verzehr für den Menschen keinen Schaden hat. Es muss also das Tier ausbluten."

Religiös vorgeschrieben ist, dass das Tier lebendig ausblutet. Dabei soll es allerdings betäubt sein, meint Taghavi. Die Tiere bei Bewusstsein zu lassen sei weder nötig noch gut. Diese Sicht teilen die meisten islamischen Gelehrten, behauptet Taghavi. Einen ungewöhnlichen Standpunkt hat die Tieraktivistin und Vegetarierin Hilal Sezgin. Entrüstet ist sie nicht so sehr über das Schächten – sondern über konventionelle Tierschlachtungen.

Hilal Sezgin: "Die Praxis, wie wir Tiere in dieser Gesellschaft töten – auch in den industriellen Schlachthöfen – ist barbarisch! Es ist alles barbarisch! Wie die Tiere aufgezogen werden, ist ja schon barbarisch. Das Ausmaß der Quälereien, die wir an diesen Tieren begehen, ist so groß – und die Muslime machen ja mit, bei Kuhmilch etwa, es ist jetzt nicht eine Frage "Muslime gegen den Rest der Welt" – wir alle partizipieren von unendlichen Gemeinheiten, die an Tieren begangen werden. Und da ist es für mich so ein kleines Manöver, Schächten ja oder nein."

Aber das Schächten ist nicht das einzige streitbare Thema. Die islamischen Länder sind nicht eben für ihren Tierschutz berühmt. Katzen und Hunde haben oft ein qualvolles Leben in Ägypten und der Türkei. Nicht selten nehmen deutsche Touristen sie mit zu sich nach Hause, aus Mitleid.

Hilal Sezgin: "Das komische ist, dass das tierethische Erbe, das ganz stark ist im Islam, auch im Koran kommen Tiere so oft vor, dass die Muslime heute das ganz vergessen haben."

Mohammad Taghavi: "Grundsätzlich muss man eins feststellen: Wenn sich ein Mensch als Muslim oder Christ bezeichnet, dann hat er damit ja nicht automatisch die höchste Stufe der humanen Lebensweise erreicht. Nur durch den Grad seines Glaubens entwickelt er sich zu einer bestimmten Ebene hin."

Hilal Sezgin: "Naja, mit den Frauen ist es ja auch ein bisschen so. Im Koran ist viel mehr Progressives, was die Frauen angeht, drin, als die Späteren das dann wahrhaben wollen: und dann hat die Tradition es vergessen. Es ist natürlich nicht praktisch. Ich denke, dass Menschen auch ganz einfach ein Interesse an der Ausbeutung der Tiere haben. Muhammad hat schon versucht, der Praxis der Menschheit etwas entgegenzusetzen, aber dann hat sich der übliche Egoismus des Menschens doch durchgesetzt."