Im Griff des Zaren

Von Bernd Ulrich · 26.02.2007
Vor 175 Jahren verkündete Zar Nikolaus I. ein Statut, mit dem Polen zu einem Teil des russischen Reiches wurde. Vorausgegangen war der Novemberaufstand von 1830/31. In ihm hatten der polnische Adel und Teile der Bevölkerung vergeblich versucht, die russische Herrschaft abzuschütteln.
"Die Polen! Das Blut zittert mir in den Adern, wenn ich das Wort niederschreibe, wenn ich daran denke, wie Preußen gegen diese edelsten Kinder des Unglücks gehandelt hat, wie feige, wie gemein, wie meuchlerisch."

Was Heinrich Heine im Oktober 1832 so erschütterte, hatte sich knapp acht Monate zuvor in Warschau abgespielt. Am 26. Februar 1832 war dort durch Zar Nikolaus I. - der "Gendarm Europas" - das so genannte Statut des Zarentums Polen verkündet worden. Der umständlich formulierte Erlass bildete das Finale einer gescheiterten Revolution, die von den Polen gewagt und dann - verlassen von allen, auch von den Preußen - verloren worden war. Dennoch sprach Fürst Paskewitsch, der Statthalter des Zaren, von einem bisher ungeahnten Glück für die Polen. Eine zynische Bemerkung, die in einem Zeitungsbericht bitter-ironisch kommentiert wurde:

"Die Ingredienzien im polnischen Glückstopf sind folgende: Die Polen sollen von nun an eine mit den Russen übereinstimmende Nation bilden, das Königreich Polen soll für immer als untrennbarer Teil mit dem russischen Reich verbunden sein."

Nein, von einem glücklichen Polen konnte wirklich keine Rede sein. Nach drei Teilungen zwischen 1772 und 1795 als unabhängiger Staat ausgelöscht, das Land in Händen der Teilungsmächte Preußen, Russland und Österreich, 1815 auf dem Wiener Kongress als Königreich Polen konstituiert, de facto eine Provinz Russlands und zunehmend autokratisch vom Zaren regiert - all das taugte nicht als Ersatz für die verlorene Nation. In dieser aussichtlosen Lage hatte die Französische Julirevolution von 1830 wie ein Fanal gewirkt. Sie brachte, wie es der italienische Historiker Benedetto Croce formulierte,

"neues Vertrauen auf kommende Revolutionen. Nach fünfzehn Jahren von Regierungskünsten und Polizeiterror in Europa, nach dem Aufgebot aller Gendarmerien und Milizen hatte der Absolutismus seine ganze Schwäche und seinen Mangel an Logik bewiesen."

Das hatte sich vor allem auf dem Wiener Kongress offenbart. Denn das dort geschmiedete Europa der fürstlichen Bündnisse vermochte nicht jene Emotionen einzulösen, mit denen einst die Völker für den Kampf gegen Napoleon mobilisiert worden waren: Vaterlandsliebe und Nationalgefühl und das Versprechen politischer Freiheiten.

Dies traf insbesondere für Polen zu. Den letzten Anstoß zum Aufstand gab der Plan des Zaren, die unter seinem Oberbefehl stehende polnische Armee gegen die revolutionären Unruhen in Westeuropa einzusetzen. Aber was Ende November 1830 in Warschau so hoffnungsvoll begann, scheiterte nach wechselvollen und blutigen Kämpfen. Ende Oktober 1831 brach die Revolte zusammen, und die russische Macht war fester denn je etabliert.

Doch die polnischen Revolutionäre hatten sich unter der Losung "Für unsere und für Eure Freiheit" als Avantgarde eines europäischen Freiheitskampfes verstanden. Das blieb nicht ohne Resonanz. Noch der alte Theodor Fontane erinnerte sich an diese Zeit, die er als Knabe erlebte:

"Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe. Ein Jahr dauerte der polnische Insurrektionskrieg, während welcher Zeit ich mich zu einem kleinen Politiker herangelesen hatte."

Nach dem Ende der Revolte konzentrierte sich alle Sympathie auf die durch Deutschland fliehenden Soldaten und Offiziere der geschlagenen polnischen Armee. Zumeist auf dem Weg nach Paris, wurden sie umsorgt von Polenvereinen von einem Ort zum nächsten weitergereicht. Heine glossierte diesen Triumphzug in seinem Spottgedicht "Zwei Ritter". Dessen Protagonisten Krapülinski und Waschlapski

"Fochten tapfer und entkamen
Endlich glücklich nach Paris -
Leben bleiben, wie das Sterben
Für das Vaterland ist süß."

Spott und Satire minderten den Glauben an die Wiederauferstehung Polens kaum. Auch wenn solche, mit religiöser Inbrunst vorgetragene Visionen wie die des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz die Ausnahme blieben:

"Das polnische Volk ist nicht gestorben; sein Leib liegt im Grab, und seine Seele hat die Erde, das öffentliche Leben verlassen. Und am dritten Tage wird die Seele in den Leib zurückkehren, und das Volk wird auferstehen, und es wird alle Völker Europas aus der Knechtschaft befreien."

Diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Und erst der 1914 beginnende Weltkrieg führte zur Neugründung eines unabhängigen Polen.