Im Friendship Park bei San Diego

Am Grenzzaun küssen sich die kleinen Finger

Der so genannte "pinky kiss" am Grenzzaun im Friendship Park
Der sogenannte "pinky kiss" am Grenzzaun im Friendship Park © Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann
Von Nicole Markwald · 30.03.2017
Durch diesen Zaun passt keine Abendmahl-Oblate. Und trotzdem feiern sonntags auf beiden Seiten der Grenzbefestigung Menschen den Gottesdienst. Der "Friendship Park" in der Nähe der US-Stadt San Diego grenzt an Mexiko. Migranten und ihre Familien begegnen sich hier, getrennt durch Eisengitter.
Jeden Samstag und Sonntag wird für vier Stunden der Friendship Park am Grenzzaun südlich von San Diego geöffnet. Weil sie die USA nicht verlassen können, ist es für viele die einzige Möglichkeit, mit Familienmitgliedern oder Freunden auf der mexikanischen Seite zu sprechen, sie durch das Gitter hindurch zu sehen.
Maria Teresa Fernandez fotografiert seit Jahren diesen Ort und erzählt, wie sich dieses Stück Grenze über die Jahrzehnte verändert hat. Ihre Bilder von den Familienbegegnungen zeigen einen Ort tiefer Verzweiflung und großer Freude gleichermaßen.
Pastor John Fanistil führt durch den sonntäglichen Gottesdienst im Friendship Park südlich von San Diego. Auf der anderen Seite des Grenzzauns steht sein mexikanischer Kollege mit der Gitarre. Der Zaun ist so engmaschig, dass Fanistil beim Abendmahl keine Oblate durch den Zaun reichen kann, ganz so will es der Grenzschutz. Bis zum Pazifik sind es nur wenige Meter, das Meeres rauscht an diesem Tag besonders laut.
Gottesdienst am Grenzzaun
Gottesdienst am Grenzzaun© Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann

Wenigstens einmal pro Woche will Daniel die Kinder sehen

Daniel ist heute in den Friendship Park gekommen, wie jeden Sonntag in den zurückliegenden acht Monaten. Nicht zum Gottesdienst - er ist hier, um seine Frau und seine beiden Kinder zu sehen, die auf der mexikanischen Seite leben. Die ganze Woche über fühle ich mich sehr einsam, erzählt der 30-Jährige. Sie hier zu sehen und zu sprechen hilft mir, weiterzumachen.
"During the whole week I feel alone, then I have a little talk with my wife and my kids - it helps me a lot to keep going."
Er sitzt in einem Campingstuhl nach vorn an den Zaun gebeugt, er presst sein rechtes Ohr gegen das Metall. Daniel ist Amerikaner mexikanischer Abstammung, er arbeitet auf dem Bau. Wegen Problemen mit seinen Papieren kann er momentan nicht ausreisen und seine mexikanische Frau hat nicht die nötigen Papiere um in die USA einzureisen. Deshalb trifft sich die Familie seit Monaten jeden Sonntag hier am Zaun.
"Ich freue mich sie zu sehen, aber es ist anders, als ich erwartet habe. Ich dachte, ich könnte sie anfassen oder meiner Frau einen Kuss geben. Aber der Zaun ist so engmaschig, dass das alles nicht geht, keine Umarmung, kein Kuss.”
Das war mal anders, erzählt Maria Teresa Fernandes. Seit Jahren fotografiert die gebürtige Mexikanerin die Familientreffen im Friendship Park.
"Früher gab es nicht diesen Zaun. Die Familien aus Mexiko kamen mit Kühlboxen, Sonnenschirmen und Stühlen, brachten Tacos und Shrimpcocktails mit. Die Familien auf der US-Seite brachten Geschenke und man verbrachte den Nachmittag zusammen. Es war so, als wäre die Grenze zwischen ihnen gar nicht da.”

Seit 2009 gibt es Türme und Wärmebildkameras

Als der Park 1971 gegründet wurde, gab es gar keine Grenzbefestigung. Später wurden Stelen errichtet, kleine Kinder schlüpften zum Spass von der einen auf die andere Seite, die Erwachsenen konnten sich die Hände reichen, einen Kuss geben, übers Gesicht streichen. Fotografin Fernandez:
"Das ist es, was sie wollen - den anderen spüren, anfassen, riechen. Aber das geht hier nicht mehr. Ich kann ihnen nicht helfen, ich kann einfach nur für sie da sein und sie umarmen. Ich bin zwar nicht die Person, die sie umarmen wollen, aber es ist immerhin etwas. Es gibt ihnen das Gefühl, dass sie nicht allein sind.”
2009 wurde der Park ganz geschlossen, ein zweiter, höherer Zaun wurde gebaut, der secondary fence. Lichtmasten wie im Fußballstadion wurden aufgestellt, Türme mit Wärmebildkameras. Ein Wagen des Grenzschutzes ist immer in der Nähe. Auf der US-Seite des Parks herrscht Nüchternheit: Seit 2012 wird der Friendship Park nur am Wochenende für jeweils vier Stunden geöffnet, maximal 25 Personen dürfen sich darin aufhalten, es ist verboten, Geld, Lebensmittel oder Dokumente durch den Zaun auf die andere Seite zu reichen. Die Maschen sind so eng, dass sich lediglich die Fingerspitzen durch den Zaun berühren können. "Pinky kiss" nennen sie das hier - der Kuss der kleinen Finger. Und es fließen Tränen - Tränen des Glücks und der Verzweiflung. Pastor John Fanistil sagt:
"Viele Familien beschreiben ihre Zeit hier als bittersüß: Es ist sehr traurig, aber auch schön, endlich wiedervereint zu sein, einander mit den Fingerspitzen zu berühren. Manche sind weit gereist, oft sind viele Jahre vergangen bis sie die Möglichkeit fanden, sich hier wiederzusehen.”
Der Grenzzaum reicht bis ins Meer.
Der Grenzzaum reicht bis ins Meer.© Foto: Maria Teresa Fernandez
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