Im Baumarkt der Erkenntnissysteme

Von Kirsten Westhuis · 23.06.2012
1737 wurde in Hamburg die erste deutsche Freimaurerloge gegründet. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität sind die Ideale der Logenbrüder. Ursprünglich waren die Ritenabläufe der Freimaurer streng geheim. Inzwischen bemüht man sich um mehr Transparenz.
"Das Logenhaus ist vor 101 Jahren gebaut worden, von Freimaurern für Freimaurer und so überrascht es nicht, dass an diesem Haus nichts zufällig ist."

Jörg Ahlheid führt durch das Logenhaus des Freimaurerordens in der Hamburger Innenstadt, zwischen Dammtorbahnhof, Universität und Außenalster. Der 43-jährige Bankkaufmann ist der sogenannte "Vorsitzende Meister" der Loge "Carl zum Felsen" – das sind etwa 30 Männer, die sich jeden Freitagabend im Logenhaus treffen.

"Warum Mozart, warum steht seine Büste hier? Den meisten ist bekannt, dass er Freimaurer war und sein mit bekanntestes Werk ist ein typisches Freimaurerwerk, deswegen nennt man es auch die Freimaurer-Oper: nämlich die Zauberflöte."

An den Freitagabenden im Logenhaus treffen sich die Männer zur rituellen Arbeit. Ähnlich wie in einem Gottesdienst gibt es einem Schema folgend, eine Begrüßung, eine Art Meditation, dann zum Beispiel Vorträge oder Musik. Dabei tragen die Männer schwarze Anzüge, weiße Handschuhe und einen Zylinder. Zu Mozarts Zeiten war das alles streng geheim.

Heute sind die Ritualabläufe der Freimaurer in Büchern nachzulesen und die Originalanweisungen sogar bei eBay zu ersteigern. Seit etwa zehn Jahren bemühten sie sich um mehr Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz, sagt Jörg Ahlheid. Einerseits, um Nachwuchs zu finden, aber andererseits auch, um von alten Vorurteilen wegzukommen. Der Geruch des verschlossenen Männerbundes, der Geheimnisse und Mysterien, hafte den Freimaurern bis heute noch an, sagt er, während er durch den ersten Stock des Logenhauses führt.

"Und Sie sehen, hier ist nichts Geheimnisvolles, hier ist nichts Verborgenes, hier liegt niemand tot, beerdigt rum, Jungfrauen halten wir auch nicht in Schatztruhen, Hühnerkäfige sind hier auch nicht zu finden. Es ist eine Übungsstätte für die zwischenmenschliche Kommunikation, genau das, was eine Freimaurerloge eigentlich darstellt."

Die Loge Carl zum Felsen, in der Jörg Ahlheid aktiv ist, nimmt nur Männer auf. Frauen können in gemischten Logen und in reinen Frauenlogen arbeiten. Übrigens nicht nur im Tempel. Die eigentliche "Arbeit" eines Freimaurers sei die Arbeit an sich selbst, sagt Jörg Ahlheid.

"Religionen sind mehr auf das Jenseits orientiert in ihrer Gesamtlehrausrichtung, die Freimaurerei ist mehr auf das Diesseits konzentriert, auf das Hier und Jetzt. Wie meistere ich eigentlich mein Leben jetzt. Es geht nicht darum, meine Seele vorzubereiten und zu läutern um möglichst dem Fegefeuer zu entgehen und in den Himmel zu kommen, sondern es geht darum, bereits hier auf Erden sich bewährt zu haben und als möglichst positiver Mensch sich entwickelt zu haben."

In der Freimaurerei gibt es verschiedene Entwicklungsstufen, sogenannte Grade. Zu jedem neuen Grad gelangt der Einzelne durch Initiationsriten im Tempel.

"Gehen wir mal in den großen Tempel ... ich mach uns mal wieder ein bisschen Licht."

Jörg Ahlheid öffnet im zweiten Stock des Logenhauses die hohen Türen zu den Heiligen Hallen. Der Tempel ist ganz in Blau, in ein strahlendes Himmelblau, getaucht. An der Decke blinken kleine elektrische Lichter als Sterne; Altar, Kerzenleuchter, Bänke und sogar eine Orgel sind darin. Hier befassen sich die Brüder der Johannisloge mit den elementaren Fragen: wo komme ich her, wer bin ich und wo gehe ich hin?

"Wenn wir als Freimaurer aufgenommen sind kommen wir ja in der Regel mit verbundenen Augen hier rein. Wir sind blind, wir haben auch nur einen Schuh an, das heißt, wir haben einen unregelmäßigen Gang, wir fühlen uns unsicher, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir werden nur geleitet von zwei Brüdern, die mich in den Tempel hineinführen. Und hier bekomme ich ein neues Licht zu sehen, nämlich nicht mehr das weltliche Licht, sondern das göttliche Licht."

Die Freimaurer bezeichnen die Bibel als ihr "höchstes Licht". Sie liegt bei jeder Logenarbeit auf dem Altar, aufgeschlagen an der Stelle des Johannesevangeliums "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott." Die Logen des Freimaurerordens nennen sich explizit christlich, sagt Jörg Ahlheid:

"Also ein Atheist kann nicht Freimaurer werden, denn wenn er an nichts Göttliches glaubt, sei es ein göttliches Prinzip, eine Atomwolke, die alles formt und schafft oder meinetwegen auch der Gott, so wie wir ihn in den Religionen kennen, dann würde die freimaurerische Lehre an ihm sich nicht vollziehen können."

Konkreter beschreibt er das Gottesbild nicht. Ganz bewusst sprächen die Freimaurer auch nicht von "Gott", sagt Ahlheid. Das sei dem freimaurerische Prinzip der Toleranz geschuldet:

"Aber wir versuchen ein anderes Bild zu finden, was etwas undogmatischer ist. Und so verehren wir eben Gott unter dem Namen der dreifach-große Baumeister der ganzen Welt."

Was genau jeder Einzelne darunter versteht, bleibt also offen. Genauso auch die Interpretation von Jesus. Ob ein interessanter Mensch, Prophet, Sohn Gottes oder Gott selbst – es gibt keine Dogmen, also vorgeschriebene Glaubensinhalte in der Freimaurerei. Dennoch seien verbindende Elemente für alle gültig:

"Auf der einen Seite die Inhalte der Bergpredigt. Und auf der anderen Seite die dreifache Liebe: die Liebe zu sich selbst, die Liebe zu seinem Nächsten und die Liebe zu seinem Schöpfer."

Natürlich könnten sich die Freimaurer christlich nennen, wenn sie sich auf die Bergpredigt beziehen, sagt der katholische Theologe Klaus Kottmann aus Hamburg. Doch sei die Bergpredigt nur ein kleiner Ausschnitt, den die Freimaurerei dabei aus dem Christentum auswähle:

"Es ist etwas kurz gegriffen, weil Glaube mehr ist als nur ein moralisch einwandfreies Leben."

Seit es die Freimaurerei gibt, seit dem frühen 18. Jahrhundert, lebe die katholische Kirche mit den Freimaurern im Konflikt, erläutert Klaus Kottmann. "Kirchenfeindlichkeit" lautet einer der schwerwiegendsten Vorwürfe. Dabei müsse man allerdings regionale Unterschiede machen, betont der Theologe. Gerade hier in Deutschland sei Kirchenfeindlichkeit in den meisten Logen sicherlich nicht gegeben. In Frankreich oder Italien sähe das vollkommen anders aus.

Von Beginn der Freimaurerei bis ins Jahr 1983, als die aktuelle Auflage des Kirchenrechtes erschien, wurde die Mitgliedschaft eines Katholiken bei den Freimaurern mit Exkommunikation bestraft.

"Das ist mit dem Kirchenrecht von 1983 geändert worden, und heute ist eben formuliert, dass die Mitgliedschaft in einer kirchenfeindlichen Vereinigung mit einer gerechten Strafe belegt ist und nur diejenigen, die eine solche Vereinigung leiten, werden schärfer bestraft. Mir ist allerdings kein Fall bekannt, wo jemals gegen einen katholischen Freimaurer ein solches Strafverfahren eingeleitet worden ist."."

Dass die Unvereinbarkeit von Freimaurerei und Katholizismus auch heute noch nicht nur kirchenrechtliche Theorie ist, hat Burkhardt Gorissen in der Praxis erfahren. Der Buchautor war Freimaurer - und ist schließlich ausgetreten, weil er sich dem katholischen Glauben angenähert hatte. In seinem 2009 erschienenen Buch "Ich war Freimaurer" schildert er seine Entwicklung. Nach und nach sei ihm deutlich geworden, warum es eben nicht zusammen gehe, berichtet Gorissen:

""Sie müssen, wenn Sie eine Freimaurerloge betreten, akzeptieren, dass Jesus nicht der Weg und die Wahrheit ist, sondern eben nur einer unter vielen Religionsgründern und das steht schon mal explizit gegen den Katholizismus."
"Nicht wir ändern die Menschen, die Menschen können sich nur selber ändern. Aber wenn alle Menschen sich ändern, was glauben Sie, was am Ende dabei rauskommt."

Heere Ziele und große Erwartungen, die auch Burkhard Gorissen vor rund zehn Jahren zur Freimaurerei führten. Er nennt die Freimauerei heute eine "Idealisten-Falle", die mit den Werten Toleranz und Humanität hausieren ginge.

"Die Erwartungen wurden relativ schnell enttäuscht, denn die Freimaurerei ist einfach ein völlig normaler Verein mit sehr, sehr vielen persönlichen Eitelkeiten, die können leicht verletzt werden und das kriegt man dann relativ schnell zu spüren."

"I`m beginning to see the light". Ein Jazzklassiker voller Lichtmetaphern. Pianist Duke Ellington wurde 1932 in eine Loge in Columbia eingeführt.

In den USA leben mehr als die Hälfte der rund fünf Millionen Freimauer weltweit. In Deutschland gibt es etwa 14.000 Mitglieder, deren Altersdurchschnitt bei etwa 60 Jahren liegt. Jörg Ahlheid aus Hamburg, der schon mit gut 30 Jahren Freimaurer wurde, vermutet, dass die Suche nach Sinn und Orientierung in der Gesellschaft immer mehr Menschen zu den Freimaurern führen werde – gerade auch jene, die die Kirchen verlassen.

"Die Freimaurerei ist ja, wie ich immer so ein bisschen flätig sage, der Baumarkt unter den Erkenntnistheorien oder den Erkenntnissystemen. Das heißt, ich muss selber loslegen. Wir sagen Ihnen A nicht, wie Sie sich Ihren Gott vorzustellen haben, noch sagen wir Ihnen, wie weit Sie zu gehen haben, noch sagen wir Ihnen, welche Werkzeuge Sie sich aus dem Werkzeugkasten nehmen können. Das machen Sie ganz alleine."
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