Im Automobil um die Welt

Von Thomas Jaedicke · 12.02.2008
Als "Benzinkutsche" wurde das Auto zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch kritisch beäugt. Ein Autorennen rund um die Welt sollte dem Automobil zum Durchbruch verhelfen. Am 12. Februar 1908 starteten die verwegenen Fahrer zur Route durch die USA, Japan, Russland und Europa - bis zum Ziel Paris.
In New York ist der 12. Februar 1908 ein eiskalter Wintertag.

"Bereits um 9 Uhr 30 drängen sich an diesem Mittwochmorgen eine halbe Million Schaulustige rund um den Times Square mitten in Manhattan. Die Polizisten, in langen blauen Mänteln und dunklen Tellermützen hoch zu Pferd, haben Mühe, die Gäule im Zaum zu halten. New York steht Kopf."

Redakteure des "Paris Matin" hatten nicht lange gebraucht, um die Kollegen der "New York Times" zu überzeugen: ein Autorennen rund um die Welt! Das wäre die Nummer, um Auflage zu machen und dem Automobil - zu Beginn des 20. Jahrhunderts von vielen noch misstrauisch als "Bezinkutsche" - beäugt, endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Bald geben sich Gönner, Experten und Claqueure auf beiden Seiten des Ozeans in den Redaktionsstuben die Klinke in die Hand.

"Die Spannung der Zuschauer steigt ins Unerträgliche, als der erste Wagen auf den Platz rollt. Sechs Automobile bewegen sich auf die Startlinie zu. Spitzhacken, Schaufeln und Bohlen sind an den Seiten befestigt. Aufgeschnallt haben die Monteure Unmengen von Kästen, Geräten und Ersatzteilen. Die Mannschaften stecken in schweren Winterpelzen und Lederkappen. Große Autobrillen werden ins Gesicht gerückt. Vor den Männern liegen 20.000 Kilometer bis zum Ziel in Paris. Das Abenteuer wird sie in den nächsten 123 Tagen über schlammige Pisten in Nordamerika und durch Eiseskälte und Schneestürme in Sibirien führen."
Berlin schickt einen Protos ins Rennen. Die Überfahrt zum Start in New York erfolgt von Hamburg aus mit dem Schnelldampfer Kaiserin Auguste Viktoria. Die "BZ am Mittag" und der Kaiserliche Automobilclub beteiligen sich an der Ausrüstung. Gesteuert wird das Gefährt von drei verwegenen Männern, die sich am Volant abwechseln: Hans Knape, Ingenieur des Deutschen Heeres, Ernst Maas und Oberstleutnant Koeppen, vor allem zuständig fürs Reisetagebuch. Voll beladen bringt es der Protos auf gute 50 Zentner. Wenn alles gut läuft, beschleunigt die 40-PS- starke Maschine den Wagen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern in der Stunde.
"Der 60-PS-starke amerikanische Thomas-Flyer legte am ersten Tage auf schwer zu befahrenden, schneeverschneiten Straßen eine Strecke von 190 Kilometern bis nach Hudson zurück. Auf den Plätzen folgten der französische De Dion und der italienische Zust. 70 Kilometer zurück lag der Protos, dessen Besatzung den Wagen immer wieder aus Schneeverwehungen schaufeln musste. Für den Sizaire-Naudin, motorisiert mit 15 PS, war der zweite Tag bereits der letzte. Nach einer harten Fahrt durch den Schnee verirrte sich die Besatzung und kam von der Straße ab. Im Schlamm von Iowa gaben als nächste die Fahrer des Moto-Bloc auf."

Nach einer Schiffspassage über den Stillen Ozean stehen am 22. Mai in Wladiwostok mit Thomas, dem Zust und Protos nur noch drei Wagen am Start, um die nächste Etappe des Rennens durch Sibirien in Angriff zu nehmen.

"Der Schlamm haftete an allen Teilen der Wagen und überzog die Metallteile mit einer gleichmäßigen Kruste. Die Kotflügel waren zerbeult, die Reifen zerfetzt. Die Lampen waren zum großen Teil verloren gegangen. Die Fahrer sahen in ihren zerrissenen und verschmierten Mänteln aus, als seien sie jahrelang von keiner Zivilisation berührt worden."

Mussten sich die Fahrer in den Rocky Mountains gegen Angriffe ausgehungerter Wolfsrudel mit Schusswaffen zur Wehr setzen, haben sie nun, am Fuß des Jablonoi-Gebirges neben dem schlechten Wetter und Materialverschleiß noch einen ganz andern Feind.

"Die Protos-Männer waren eben wieder auf ihren Wagen geklettert, als sie plötzlich eine unheimliche Reiterschar auf sie zugaloppieren sahen. Die Mongolen waren bereits so nah, dass man sie deutlich sehen konnte. Knape gab Gas, die anderen schossen, was die Flinten hergaben. Mit ohrenbetäubendem Geknatter schoss der Protos davon. Vor dem fauchenden Ungetüm gingen die Pferde der Mongolen durch. Sie machten auf der Hinterhand kehrt und ergriffen wild die Flucht."

Auf einem Empfang beim Zar Nikolaus II. in St. Petersburg nimmt die Protos-Besatzung, die inzwischen die Führung übernommen hatte, eine Zusatzprämie von 1000-Dollar entgegen. Danach ging die wilde Jagd weiter über Berlin in Richtung Frankreich, dem Ziel entgegen.

"Die Lichter von Paris flammten auf, als Koeppen am 26. Juli den Schlüssel aus der Zündung zog und nach den Strapazen der vergangenen vier Monate hinter dem Steuer des Protos hervorkletterte. Den Sieg allerdings sprach man dem amerikanischen Thomas-Wagen zu, der vier Tage später in Paris eintraf. Die Deutschen hatten während der Fahrt durch Amerika 15 Strafpunkte kassiert. Dritter wurde der italienische Zust, der 14 Tage später das Ziel erreichte."