Illustrierte Vergangenheitsbewältigung

Von Anette Selg · 05.03.2013
Die Comic-Szene im Libanon steckt noch in den Kinderschuhen. Die libanesische Comic-Zeichnerin Zeina Abirached lebt daher seit vielen Jahren in Paris. Ihr Comic "Das Spiel der Schwalben", der jetzt auf Deutsch erscheint, erzählt von ihrer Kindheit mitten im libanesischen Bürgerkrieg.
Zeina Abirached sitzt auf dem Sofa in ihrer Pariser Wohnung, in der Nähe des Canal St-Martin im 11. Arrondissement. Sie gießt Tee ein, geht dann noch einmal in die Küche, um Zucker zu holen.

Die aus dem Libanon stammende Comic-Zeichnerin ist Anfang 30, sie hat dunkle Locken und große braune Augen. Bereits während ihres Studiums an der Kunstakademie in Beirut hat Zeina Abirached ihre ersten Comics gezeichnet. Aber weil es im Libanon weder Verlage noch ein Publikum für ihre Arbeiten gibt, lebt sie seit mittlerweile acht Jahren in Paris. Hier arbeitet sie als Grafikerin, Illustratorin und Comic-Zeichnerin.

"Als ich meine erste Geschichte aufschreiben wollte, wusste ich nicht, ob ich zeichnen konnte. Ich verspürte nur dieses dringende Bedürfnis, eine Geschichte zu erzählen. Und es war mir sehr schnell klar, dass ich sie mit Worten und Bildern erzählen musste, und im Gegenzug hab ich mich von allem verabschiedet, was nicht unerlässlich für die Erzählung war. Und die Farben sind ziemlich schnell über Bord gegangen."

Beim französischen Verlag Cambourakis sind bisher vier Comic-Bücher von Zeina Abirached erschienen. Alle in schwarz-weiß. In diesem Frühjahr verlegt der Berliner Comic-Verlag avant eine erste Erzählung der Zeichnerin auf Deutsch. In "Spiel der Schwalben" schildert Abirached auf über 200 Seiten einen einzigen Tag in Beirut im Kriegsjahr 1984. Dabei verwebt sie erste eigene Erinnerungen mit Erzählungen von Verwandten und Nachbarn und auch politischen Geschehnissen.

"Bis ich zehn war, lebten wir eigentlich nur in zwei Straßen. Alle anderen Straßen waren verbarrikadiert. Man konnte nirgends durchgehen, weil es überall Scharfschützen gab. Der Raum war sehr begrenzt, sehr eng."

Zeina Abirached ist 1981 in Beirut geboren, mitten im libanesischen Bürgerkrieg. Ihre Familie wohnt damals in einem Haus genau an der Demarkationslinie, die die Stadt in West und Ost zerteilt. Erst nach Kriegsende entdeckt die Zeichnerin das wirkliche Beirut.

"Das werde ich nie vergessen. Wir sind im Auto durchs Zentrum der Stadt gefahren, das damals ja das No-Man’s-Land war. Alles war zerstört, ich erinnere mich an das Grau überall, die Verwüstungen. Nach dem Zentrum kamen wir nach Beirut-West, wie wir es damals nannten. Dort ist es sehr schön, mit einer Strandpromenade, ein bisschen wie in Nizza. Wir fuhren also am Meer entlang und es war wunderbar. Wir kamen aus dem grauen Stadtzentrum und hier gab es Himmelsblau und bunten Farben. Es gab Eisverkäufer und ein Riesenrad, das steht noch immer dort. Es war unglaublich, und als allererstes kauften wir uns Badeanzüge."

Der Bürgerkrieg im Libanon prägt die Zeichnerin und ihre Arbeiten bis heute. In ihren schwarz-weißen, sehr ornamentalen Zeichnungen macht sie sich immer wieder auf die Suche nach dem Beirut ihrer Kindheit. Nähert sich dem Schrecken, der Bedrohung des Krieges und versucht das damals Unverstandene zu entschlüsseln.

"Meine Arbeit ruht auf einer autobiografischen Basis. Auch weil der Aspekt des Alltags im Krieg für mich sehr wichtig ist. Wie haben die Menschen 15 Jahre lang mit diesem Krieg gelebt? Menschen wie meine Eltern, die in der Stadt geblieben sind. Ich möchte zeigen, wie das Leben im Innern der Häuser, Wohnungen, der Leben aussieht. Dieser dokumentarische Aspekt interessiert mich. Ich erzähle, was alles unternommen wurde, um an Wasser zu kommen, an Strom, Gemüse, Benzin, all so was."

Zeina Abirached kehrt regelmäßig nach Beirut zurück, um Freunde und ihre Familie zu besuchen.

"Heute spricht man im Libanon nicht mehr vom Bürgerkrieg. Es herrscht so etwas wie eine offizielle Amnesie. Das zeigt sich auch im Wiederaufbau Beiruts. Heute ist die Stadt wunderschön, super sauber. ... Als sei zwischen 1970 und heute nichts passiert."

So oft es geht, liest Abirached in libanesischen Schulklassen aus ihrem Comic "Spiel der Schwalben" – oft ist es für die Schülerinnen und Schüler das erste Mal überhaupt, dass irgendjemand mit ihnen über den Bürgerkrieg spricht.

"Es ist ganz bestimmt so, dass es mir ein großes Anliegen war, diese Dinge auszudrücken, zu Papier zubringen. Ich hätte keine erfundene Comic-Geschichte zeichnen können. Zuallererst musste ich von diesen Dingen erzählen."
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