"Ihr Lachen muss umwerfend gewesen sein"

Margarethe von Trotta und Barbara Sukowa im Gespräch mit Susanne Burg · 06.01.2013
Dass die jüdische Philosophin Hannah Arendt mehr war als ihr Wort von der "Banalität des Bösen", will die Regisseurin Margarethe von Trotta in ihrem neuen Film zeigen. Arendt sei "eine der wichtigsten Personen und Denkerinnen des letzten Jahrhunderts" gewesen.
Susanne Führer: Ihr Wort von der Banalität des Bösen angesichts des Eichmann-Prozesses ist zu einem festen Begriff geworden, aber es wäre grob verkürzt, die Philosophin Hannah Arendt auf ihn reduzieren zu wollen. Die Regisseurin Margarethe von Trotta hat ihren jüngsten Film über Hannah Arendt gerade auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt, in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Barbara Sukowa. Als die minutenlangen Ovationen verklungen waren, hat meine Kollegin Susanne Burg in Toronto mit den beiden gesprochen.

Susanne Burg: Margarethe von Trotta, Sie haben Filme gemacht über Rosa Luxemburg, über Gudrun Ensslin, Hildegard von Bingen - historische Figuren. Und häufig betonen Sie dabei in den Filmen die Charakterzüge, die sozialen Gemengelagen, die für unsere Zeit wichtig sind. Rosa Luxemburg beispielsweise entstand 1986, zur Zeit der Friedensbewegung. Da haben Sie Rosa Luxemburgs Kampf gegen den Krieg dargestellt. Nun also ein Film über Hannah Arendt - wie wichtig ist denn heute die Auseinandersetzung mit Hannah Arendt?

Margarethe von Trotta: Na ja, ich denke, die war eine der wichtigsten Personen und Denkerinnen des letzten Jahrhunderts. Und wir sind noch nicht fertig mit dem letzten Jahrhundert. Also genau als Deutsche wird uns das noch lange verfolgen. Ich sage immer, also Hitler wollte das tausendjährige Reich. Das hat nur zwölf Jahre gedauert. Aber wir werden damit noch tausend Jahre zu tun haben. Insofern können wir jetzt nicht sagen, na ja, 2000, jetzt ist alles vorbei.

Und als ich die Dokumente über den Eichmann-Trial gesehen habe, es gibt einen wunderbaren Film, der heißt "The Specialist", von einem Israeli gemacht, und da habe ich zum ersten Mal gedacht, diesen Mann will ich in einem Film. Und das war noch, bevor ich wusste, dass ich Hannah Arendt beschreibe. Weil der zeigt mir, was Deutschland war. Nicht die Größen, nicht Hitler, nicht Göring, nicht Goebbels, all die, also, die wir als Böse sozusagen in Erinnerung haben. Aber das sind diese mittelmäßigen Leute, die haben die Geschichte geprägt.

Burg: Ich wollte Sie fragen, warum Sie beschlossen haben, echte Bilder von dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 mit reinzunehmen, denn Eichmann ist ja durchaus in Spielfilmen auch schon von Schauspielern gespielt worden.

von Trotta: Ja, ja. Und das wollte ich eben nicht. Weil ein Schauspieler, der Eichmann spielt, da sieht man nur: Mensch, der macht das aber gut, ja, das ist ja brilliant, wie er das da hinlegt. Aber man sieht die wirkliche Dimension des Nichtdenkens und der Mittelmäßigkeit, kann man nur am Eichmann selber zeigen.

Und ich meine, wenn man ihn hört, der kann ja keinen Satz richtig sprechen, ja. Und der gibt sich ja als Person völlig auf in diese Nazi-Ideologie. Das können Sie nur an dem Mann selber zeigen. Und ich hab das eben benutzt. Die Tatsache, dass sie auch hauptsächlich im Press Room gesessen hat und nicht im Court Room, weil sie so viel geraucht hat, und da durfte man rauchen. Sodass ich also auch vom Stilistischen her das Recht hatte, diese Schwarzweißbilder zu zeigen, weil im Press Room waren eben diese Monitore überall, wo die Leute, die Journalisten das mit ansehen konnten.

Burg: Barbara Sukowa, man sieht Sie da eben. Sie sitzen in dem Presseraum, die Bilder von dem Prozess, die laufen im Fernsehen, und man sieht Sie da relativ fassungslos sitzen und zuhören, wie Eichmann eigentlich sich in seiner Beamtensprache versteckt, alles von sich weist. Wie haben Sie, Barbara Sukowa, die Bilder aus der zeitlichen Distanz wahrgenommen? Wie nachvollziehbar fanden Sie diese Beobachtungen von Hannah Arendt, die sie damals gemacht hat?

Sukowa: Na, ich hab extra mir das vorher nicht angeguckt. Weil, ich wollte eigentlich, dass ich so ein ähnliches Erlebnis habe wie Hannah Arendt. Und das hatte ich dann auch. Hannah Arendt hat ja geglaubt, dass sie eben da das radikale Böse sehen würde und das Dämonische und war dann eigentlich schockiert, wie quasi normal dieser Mann wirkte. Also was das für ein Würstchen war. Das wollte ich auch sehen.

Burg: Diese Banalität des Bösen, von der sie dann geschrieben hat, die ist uns ja heute allen geläufig. Sie hat es damals im Artikel für den "New Yorker" geschrieben. Und es gab heftige Reaktionen. Wie heftig waren die denn wirklich? Wie muss man sich die aus heutiger Sicht vorstellen?

von Trotta: Ja, ich meine, ein paar Sachen haben wir ja im Film untergebracht. Und der Brief, der verlesen wird von der Julia Jentsch im Film, der ist ein echter Brief, ja. Also, wo man ihr den Tod wünscht. Das gab viele dieser Briefe. Und das war sehr, sehr, sehr heftig und es auch lange angedauert. Also, wir hören 1964 auf, aber das ging ja noch weiter, und das ist bis heute, ist das noch nicht ganz überwunden.

Burg: Barbara Sukowa, Sie haben schon häufig historische Figuren auch schon gespielt, eben, die ich erwähnt hatte. Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, jetzt eben Hannah Arendt. Es ist ja auch immer eine Herausforderung, Menschen zu spielen, von denen die Öffentlichkeit ein Bild hat. Wie haben Sie sich dieser Person Hannah Arendt angenähert.

Sukowa: Erst mal müssen Sie sich darum kümmern, was die Person gemacht hat. Sie versuchen, alles Material zu kriegen, was zu kriegen ist. In dem Fall war das natürlich riesig, weil die Frau hat ihr ganzes Leben lang gelesen, gelernt, gelehrt. Das kann man natürlich nicht in ein paar Monaten als Schauspielerin nachholen. Also, man kann sich darum nur kümmern, soweit das eben zeitlich begrenzt möglich ist.

Und dann gibt es Material über sie, Filmmaterial, und die Frage ist, inwieweit nähert man sich dem an, inwieweit versucht man diese, also ein Impersonator zu sein. Und wir haben uns eigentlich dagegen entschieden, zu versuchen, genau Hannah Arendt in allen Bewegungen und Stimme und so nachzuahmen, weil das hätte einfach abgelenkt von dem, was sie denkt. Und das war in diesem Film einfach das Wichtige: Was ist ihre Meinung? Was denkt sie, was tut sie? Und nicht so sehr also eine schauspielerische Leistung, so auszusehen oder sich zu bewegen wie Hannah Arendt.

Burg: Deutschlandradio Kultur. Der Film "Hannah Arendt" hat hier in Toronto seine Weltpremiere gefeiert. Ich spreche mit der Regisseurin des Filmes, mit Margarethe von Trotta und der Schauspielerin Barbara Sukowa, die Hannah Arendt darstellt. Das, was man dann da sieht, ist eine sehr lebenslustige Frau, eine sehr sinnliche, unkonventionelle, starke Frau, an der auch immer diese massive Kritik, die ja ihr entgegengebracht wurde, abzuperlen scheint?

von Trotta: Sie perlt überhaupt nicht ab. Aber sie wird nicht selbstmitleidig. Sie stellt sich nicht so als das Opfer dar jetzt, was jetzt immer weint. Das hat sie eben abgewiesen. Also sie war nie sentimental. Und sie war nie selbstmitleidig. Aber es ist nicht abgeperlt. Da hat sie schon drunter gelitten.

Burg: Ich habe mich nur gefragt, wie dieses abstrakte Denken, wie das zusammenpasst mit diesem ganz lebenslustigen, sinnlichen - in einer Szene heißt es ja in dem Text über den "New Yorker", wo bleibt eigentlich der Schmerz von Hannah Arendt?

von Trotta: Na ja, den hat sie schon gespürt. Aber sie zeigt den nicht so. Und das ist ja auch sehr mutig von ihr - oder das ist einfach ihre Natur. Weil sie eben so unsentimental ist. Und sie sieht sich als jemand, der das beschreibt, ohne dass er sich selber dauern einbringen muss. Natürlich hat sie gelitten. Sie ist ja vertrieben worden von Deutschland. Sie ist im Internierungscamp gewesen. Natürlich hat die unheimlich viele schreckliche Momente in ihrem Leben. Aber sie geht nicht rum und bemitleidet sich selbst. Und das ist eine große Tat von ihr.

Burg: Ein guter Teil des Filmes, der spielt ja auch in New York, und dort sprechen Sie, Barbara Sukowa, auch Englisch, mit sehr deutschem Akzent. Und zu dem Zeitpunkt, muss man ja sagen, lebt sie schon seit 20 Jahren in den USA. Außerdem sieht man, dass sie sich sehr in den deutschen Exilkreisen, dass sie in denen verkehrt. Ist sie dann doch nie richtig in den USA angekommen, sondern immer irgendwie eine Deutsche in Amerika geblieben?

Sukowa: Das ist schwer zu sagen. Sie ist eine Jüdin geblieben, auch, und sie - das war ein großer Teil ihres Bewusstseins. Ich glaube, wenn man ab einem bestimmten Alter nach Amerika kommt und in Deutschland gebildet wurde, also ihre entscheidenden Jahre der Bildung hat sie ja in Deutschland gemacht, ihre entscheidende intellektuelle Formierung hat sie in Deutschland gemacht. Ich glaube, das bleibt natürlich mit einem. Und sie ist aufgewachsen und gebildet in der klassischen Philosophie, in der europäischen Denkungsweise. Das gibt man nicht auf.

Aber sie hat sich natürlich sehr engagiert auch in amerikanischer Politik und hat über amerikanische Politik geschrieben und über amerikanische Zustände also. Und sie hat in Amerika gelehrt. Es war, glaube ich, beides. Und natürlich war diese deutsche Emigrantengruppe für sie ungeheuer wichtig. Das war natürlich das Stück Heimat, wo sie mit Leuten sprechen konnte, wie sie das gewohnt war, und wo sie ihr intellektuelles Futter auch fand.

von Trotta: Ja, und sie hat immer wieder gesagt, die Sprache ist ihr wichtig. Was ist ihr von Deutschland geblieben: die Sprache. Sonst nichts. Die Sprache und natürlich Menschen, die auch aus Deutschland kamen. Aber sie hat natürlich amerikanische Democracy - ich kann jetzt schon nicht mehr deutsch reden - das war für sie wichtig. Ich meine, sie kam aus Frankreich, das war damals besetzt von den Deutschen, und aus Deutschland, wo Diktatur bestand. Also, für sie war natürlich Amerika die Zuflucht überhaupt. Und die Demokratie, nicht nur Amerika, sondern weil es dann ein demokratisches Land war. Und sie war heilfroh, als sie die Staatsangehörigkeit bekam. Da musste sie ja auch erst lange drauf warten, war ja staatenlos vorher. Also sie war schon in einer gewissen Weise Amerikanerin, aber mit diesem Background und diesem Kulturgut der deutschen Sprache und der deutschen Philosophie.

Burg: Frau von Trotta, Sie haben viele Filme über bedeutende Frauen der Geschichte gemacht. Die Zeiten haben sich geändert. Was die Frauenbewegtheit der Gesellschaft angeht. Frauen, könnte man sagen, haben eine größere Gleichberechtigung erstritten. Hat sich damit auch Ihr Interesse an Frauenfiguren verändert?

von Trotta: Na ja, sie haben was erreicht, aber noch lange nicht alles. Außerdem mache ich ja keine Programmfilme. Ich mache keine Filme, damit die Frauen also mehr Rechte bekommen. Ich mache die Filme, weil sie mich interessieren. Und weil mich ihre Komplexität - Sie haben vorhin gesagt, wie kann eine Frau, die so eine Denkerin ist, auch noch eine Lebensfreude haben. Natürlich. Das ist eine komplexe Person. Soll sie da immer nur trist in der Wohnung herumsitzen und denken? Nein. Die hat gelebt, die hat Freunde gehabt, die hat Spaß gehabt am Leben. Die hat gelacht. Denn ihr Lachen muss umwerfend gewesen sein, also, ja.

Sukowa: Denken ist ja auch ein ganz - also für Hannah Arendt war das zumindest auch ein fast sinnlicher Prozess. Also wenn sie sich auf ihr Sofa gelegt hat und gedacht hat, ich glaube, da war das sehr aufregend für sie. Das war nicht irgendwie was nur so Abstraktes, Abgehobenes. Ich glaube, das hat sie mit ihrer ganzen Person, hat sie gedacht.

von Trotta: Ja, die haben ja auch immer über das leidenschaftliche Denken - also Leidenschaft und Denken zusammengefügt. Das war es.

Susanne Führer: Margarethe von Trotta und Barbara Sukowa im Gespräch mit meiner Kollegin Susanne Burg über den Film "Hannah Arendt", der auf dem Filmfestival in Toronto seine Weltpremiere feierte.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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