IG Metall erwartet ein "Mega-Tarifjahr"

Moderation: Birgit Kolkmann · 02.01.2008
Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber geht in den anstehenden Tarifrunden von harten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften aus. Zugleich zeigte sich Huber optimistisch, dass 2008 für die Arbeitnehmer gute Abschlüsse zu erreichen seien.
Birgit Kolkmann: Die deutsche Industrie macht hervorragende Gewinne. Die Aktienkurse der DAX-Konzerne steigen ebenso wie die Verbraucherpreise. Teuere Energie, hohe Verbrauchssteuern, 2,2 Prozent Inflationsrate mussten die Konsumenten in Deutschland im vergangenen Jahr verkraften. Selbst wenn es Gehaltssteigerungen gegeben hat, die hohen Preise haben das mehr als aufgefressen. Deshalb fordern die Gewerkschaften für die anstehenden Tarifrunden 2008 ein deutliches Plus bei den Löhnen und Gehältern. Den Auftakt macht der öffentliche Dienst jetzt im Januar, die IG Metall ist für die Metall- und Elektroindustrie erst im Herbst dran, aber die Metaller vertreten auch die Textil- und Bekleidungsindustrie und die beginnt ebenfalls im Januar, ebenso wie Stahl. Wir sind jetzt mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber verbunden. Guten Morgen!

Berthold Huber: Ich grüße Sie! Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Huber, acht Prozent mehr fordert ver.di. Werden die Metaller da gleichziehen?

Huber: Das kann man noch nicht sagen. Wir haben bei Stahl unsere erste Tarifrunde. Die Verhandlungen beginnen im Januar. Die liegen noch vorm öffentlichen Dienst und der chemischen Industrie. Dort fordern wir acht Prozent, weil wir eine außerordentlich gute Situation bei Stahl haben. Das ist ja bekannt.

Kolkmann: Was können die Arbeitgeber Ihrer Meinung nach verkraften, acht Prozent oder sogar noch mehr?

Huber: Wenn man einzelne Betriebe anschaut, dann könnte man zu höheren Forderungen kommen. Das tun wir nicht. Wir schauen uns die gesamtwirtschaftliche Situation an. Dort haben Sie wichtige Fakten genannt: Inflationsrate 2,2 Prozent. Gesamtwirtschaftliches Wachstum von etwa zwei Prozent ist prognostiziert. Da bin ich vorsichtig. Das könnte auch höher sein. Ich hoffe das. Und daran orientieren wir unsere Forderungen. Produktivität und Inflation, das sind unsere Grundparameter. Und wenn es einer Branche ganz besonders gut geht, dann legen wir dort etwas drauf. Und wir gehen nicht an den äußersten Rand, weil wir haben ja Tausende von Betrieben, die davon betroffen sind. Und da geht’s den einen gut, den anderen sehr gut. Und es gibt auch einige, den es ganz normal und manche, denen es schlecht geht. Im Moment sind wir in der Phase, wo die Arbeitgeber offen zugeben, dass das Jahr 2007 zum Beispiel bei Metall und Elektro mit einem Wachstum von acht Prozent außerordentlich gut gelaufen ist. Wir haben neue Prognosen von Gesamtmetall für die Metallindustrie von 4,5 Prozent. Ich würde eher höher gehen. Sie sollten nicht blockieren angesichts solcher guten Situationen, Wirtschaftswachstum und auch Ergebnissen. Wenn es auf eine Blockade hinauslaufen sollte, dann werden wir einem Streik ganz gewiss nicht aus dem Weg gehen. Das sind wir in der Vergangenheit auch nicht. Und für 2008 gilt das erst recht.

Kolkmann: Im vergangenen Jahr hat es ja in einigen Branchen doch schon starke Auseinandersetzungen gegeben. Bei der Bahn gehen die Streiks weiter. Es war ein recht streikintensives Jahr, das Jahr 2007. Haben Sie den Eindruck, dass die Auseinandersetzungen, auch vor dem Hintergrund der Mindestlohndebatte, in Deutschland durchaus härter werden?

Huber: Ja, das kann man schon so sagen. Ganz offensichtlich ist das Jahr 2008 ein Mega-Tarifjahr. Dort geht es für die Beschäftigten um sehr viel und für die Gewerkschaften natürlich auch. Und ich gehe davon aus, dass es ein anstrengendes Tarifjahr wird. Und ich gehe aber auch davon aus, dass die Arbeitnehmerschaft gute Abschlüsse bekommt. Wir sind nicht der billige Jakob in der Republik. Es kann nicht richtig sein, dass die Aktienkurse permanent steigen, die Ausschüttungen an die Aktionäre permanent steigen, die Managergehälter immer höher werden, und die Arbeitnehmer kommen gerade so plus/minus null raus. Nicht bei Metall, aber doch in vielen Branchen, und das würden wir versuchen, gemeinsam zu beenden.

Kolkmann: Nun hat ja der Bundesbankchef Axel Weber gerade vor zu hohen Lohnforderungen gewarnt in der kommenden Runde. Das gefährde die Konjunktur und koste im Zweifel auch Arbeitsplätze, also eine deutliche Warnung auch von dort.

Huber: Sagen Sie mir bitte mal einen Bundesbankpräsidenten, der in den letzten 20 Jahren etwas anderes gesagt hat. Vom Hocker, auf gut Deutsch gesagt, reißt mich das nicht. Das ist das, was man von dem Bundesbankpräsidenten erwarten kann. Wir haben, das ist doch unstrittig, in den letzten Jahren eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik gemacht. Und wir sind an das äußerste Ende nach unten gegangen, viele Gewerkschaften, die IG Metall nicht, weil wir bessere Situation hatten. Wir haben immerhin 4,1 Prozent Abschluss gemacht im Mai letzten Jahres. Und wir haben ja auch die Situation zu verzeichnen, dass wir teilweise Löhne haben in Deutschland, die liegen um fünf Euro und unter fünf Euro. Und dort müssen ja wenigstens mal Mindestlöhne her für die Leute. Die können ja von 40 Stunden pro Woche, wenn sie da voll arbeiten, nicht mal von leben. Da brauchen die staatliche Zuschüsse, Kombilöhne sozusagen. Und so kann das ja nicht weitergehen.

Kolkmann: Die Diskussion um die Leiharbeit, um die Mindestlöhne, ist ja etwas, was nicht nur die Gewerkschaften umtreibt, sondern im Moment die gesamte politische Diskussion bestimmt. In sechs westlichen Nachbarländern Deutschlands, da gelten Löhne unter acht Euro pro Stunde als sittenwidrig. Und wir diskutieren über einen flächendeckenden Mindestlohn von 4,50 Euro. Ist das eigentlich für eine Nation wie Deutschland unwürdig?

Huber: Ja. 4,50 Euro, so einen Vertrag über Mindestlöhne werden wir nicht unterschreiben. Das werden wir bekämpfen. Wir haben als erste Stufe, alle deutschen Gewerkschaften, 7,50 Euro verlangt. Und das ist nicht zu viel. Sie sprechen zu Recht die Vergleiche in anderen europäischen Ländern an. Die Menschen müssen ja von ihrer Arbeit auch leben können. Und das kann man mit 4,50 Euro nicht. Das ist ein Modell, was einem doch wirtschaftlich wohlständigen Land wie Deutschland nicht angemessen ist. Das ist schlicht und ergreifend unanständig.

Kolkmann: Nun kommt immer wieder das Argument, solche Mindestlöhne, die über sieben Euro liegen, kosten auf jeden Fall Arbeitsplätze.

Huber: Entschuldigung, hat das denn in den anderen europäischen Ländern, wo es über acht Euro Mindestentgelte gibt pro Stunde, Arbeitsplätze gekostet? Es gibt schon Spezialisten, die drehen die Zahlen so, wie es ihnen gerade passt. Ich verweise auf die Realitäten in diesen, von Ihnen genannten sechs europäischen Ländern. Dort hat es zum Beispiel in Großbritannien nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen geführt, sondern zum Aufbau. Und in Frankreich ist das auch der Fall. Und in Luxemburg erst recht. Also bitte schön: Es gibt eine Wahrheit. Und das ist dann eine europäische. Aber es gibt doch nicht eine spezielle deutsche Wahrheit an der Stelle.

Kolkmann: Die Mindestlöhne und vor allen Dingen auch die Leiharbeit hat in zum Beispiel in Skandinavien oder auch in Österreich nicht den Stellenwert, auch in den Diskussionen nicht, wie gerade hier bei uns. Allerdings ist da auch die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigen eine ganz andere. Wenn man einmal vergleicht: In Skandinavien werden 80 Prozent der Beschäftigten unter dem Dach von Tarifverträgen entlohnt, in Österreich sind es 45, in Deutschland nur noch 25. Sind die Gewerkschaften in der Bundesrepublik zu schwach?

Huber: Ja, natürlich sind die Gewerkschaften in der Bundesrepublik zu schwach. Ich will nur ergänzen. Der Organisationsgrad zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie ist signifikant höher. Da kommen wir immerhin auf 35 Prozent. Dort sind ja auch unsere Tarifabschlüsse, darauf möchte ich schon hinweisen, Frau Kolkmann, signifikant höher. Und das lässt natürlich den Schluss zu: Dort, wo die Gewerkschaften gut organisiert sind, wo sie gut aufgestellt sind, können sie auch mehr erreichen für ihre Mitglieder und für die Beschäftigten.

Kolkmann: Das war insofern eine Einladung des IG-Metall-Vorsitzenden, einer Gewerkschaft beizutreten?

Huber: Ja, sicher. Das wäre ein gutes Vorhaben für 2008. Und die Menschen spüren sehr wohl, dass die Kluft zwischen Ärmeren und Reicheren immer größer wird. Und sie spüren sehr wohl, dass sie schlecht behandelt werden und dass sie nicht fair am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben. Aber da kann ich den Menschen nur sagen: Dann werdet Mitglied in einer Gewerkschaft. Wir kämpfen dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Fortschritt beteiligt werden.
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