Ideologisch und voller Vorurteile

Rezensiert von Klaus-Rüdiger Mai · 25.11.2012
Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz widmet sich in diesem Buch der Islamophobie. Unter anderem setzt er sich dazu mit der Islamkritikerin Necla Kelek auseinander, deren wissenschaftliche Arbeit er schlichtweg abqualifiziert. Mehr noch: Er bietet dem salafistischen Imam Muhammed Ciftci Raum für dessen Propaganda.
Wolfgang Benz will in seinem Buch zeigen, wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet. Vollmundig behauptet er, dass die Debatte ...

"weiterhin ohne historisches Bewusstsein und ohne Sachkompetenz geführt wird."
Wahllos verwendet er Begriffe wie Islamophobie, Islamfeindschaft, Muslimfeindschaft und Islamkritik. In der Vielzahl der Phrasen erkennt Benz zwar an, dass der Islam vielschichtig und facettenreich ist, aber die Feststellung hat keine Folgen. Um den Islamgegner zu kreieren, benötigt er folgerichtig den Islam. Eine gesellschaftliche Minderheit, die eine Mehrheit als Muslime einordnet, wird diskriminiert. Ein Taschenspielertrick kommt dem Autor zu Hilfe:

"Das Paradigma des Antisemitismus kann zur Erklärung des Gruppenverhaltens gegenüber Muslimen gute Dienste leisten."

Aus den Juden des 19. Jahrhunderts werden im Computer des Professors flugs die Muslime des 21. Jahrhunderts. Wer einzuwenden wagt, dass dadurch Juden und Muslime gleichgesetzt würden und der Holocaust marginalisiert werde, beweist nur:

"Ebenso starke Emotionen wie dahinter zurückstehende intellektuelle Fähigkeiten."

Demzufolge wird aus dem Historiker Heinrich von Treitschke, der den Antisemitismus mitbegründete, im 21. Jahrhundert der Muslimfeind Thilo Sarrazin. Einer der Gründe für die Islamfeindschaft besteht für ihn im:

"Aggressivem Philosemitismus."

Um die seltsame Opfertranslation zu rechtfertigen, benutzt der Autor Begriffe wie Opferkonkurrenz und die Alleinstellung einer Opfergruppe. Das Weltbild des Professors ist schlicht: Die Vielfalt des Islams lässt er außer Acht, ihn interessiert nur, dass eine muslimische Minderheit gesellschaftlich diskriminiert wird, weil der deutsche Wohlstandbürger diffuse Ängste fühlt. Diese Ängste werden nun von Islamfeinden oder Islamkritikern geschürt.

Als Islamkritikerin macht der Professor unter anderem die Publizistin Necla Kelek aus. Der Umgang mit Kelek ist symptomatisch für das Buch. Über Kelek sagt er: Es sei Wagnis, an dem schon viele gescheitert sind ...

"... persönliche Erfahrung mit der Erforschung ihrer Umstände zu verknüpfen."

Vor dem Studium der Volkswirtschaft und Soziologie war Necla Kelek technische Zeichnerin und hat in verschiedenen Branchen gearbeitet. Wolfgang Benz benutzt die Methode, die Person der Autorin zweifelhaft zu machen, denn die Ausbildung zur technischen Zeichnerin und die Arbeit in verschiedenen Branchen stehen in keinem Zusammenhang mit ihren Büchern. Der Professor urteilt über das Buch "Die fremde Braut":

"Die empirischen Belege für den geschilderten Sachverhalt überzeugen."

Damit wäre der Wissenschaft genüge getan, aber:

"Die Lebensgeschichten ihrer Interviewpartnerinnen berührten viele."

Viele sind nicht alle, und schon gar nicht keine Wissenschaftler. Denn:

"Die Botschaft über die Rückständigkeit der türkischen Familien .... war aber auch den Fremdenfeinden willkommen."

Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Die technische Zeichnerin, die sich in die geheiligten Gefilde der Wissenschaft wagt, die Frau, die besser an ihrem Zeichenbrett geblieben wäre, dient Kreisen, die ...

"in völkischen und chauvinistischen Kategorien denken."

Wie immer man zu den Vorstellungen von Frau Kelek steht, wenn man über sie schreibt, muss man sich inhaltlich mit ihren Büchern auseinandersetzen. Wissenschaft nach Benz ist auch, dass man Bücher, über die man urteilt, nicht gelesen haben muss. Empörend wird es, wenn angesichts der gesellschaftlichen Realität, Forderungen, wie keine Gewalt gegen Kinder und Frauen in der Familie oder die Ächtung von Rassismus, Gewalt und Diskriminierung in Schulen als, "banal" abgetan werden.

Da Benz die Interviews von Kelek abqualifiziert, lohnt ein Blick auf die Interviews, die der Wissenschaftler selbst führte. Befragt wurde nur, wer aufgrund seiner Stellung die Thesen des Wissenschaftlers bereitwillig illustrierte, Funktionäre von Islamverbänden.

Eine Verfehlung ist es, wenn das Buch de facto dem salafistischen Imam Muhammed Ciftci eine Bühne bietet, um den verabscheuungswürdigen Mord an Marwa El-Sherbini für die salafistische Propaganda zu missbrauchen. Für den Islamwissenschaftler Professor Mouhanad Khorchide ist der Salafismus eine völlig neue Religion und kein Islam.

Mit solchen Details kann sich Wolfgang Benz selbstverständlich nicht abgeben. Der Professor, früher Antisemitismusforscher, mokiert sich lieber darüber, dass der Holocaustleugner Ahmadinedschad in einem Video als "rhetorischer Fanatiker vorgeführt" wird. Das Video ist ohne Frage ein Hetzvideo, dennoch bleibt davon unberührt, dass Ahmadinedschad ein "rhetorischer Fanatiker" ist, der den Holocaust leugnet.

Die Wahrheit ist immer konkret. Man verlässt die Wissenschaft und landet in der Ideologie, wenn die Abstraktion die Wirklichkeit ausblendet. Dringend erforderlich wäre ein Religionsgespräch, das nicht von Politikern und Verbandsfunktionären, sondern von Theologen, Philosophen, Gläubigen geführt wird. Die kommenden Krisen werden wir nur gemeinsam erfolgreich bestehen. Wir können alle voneinander lernen. Dazu leistet das Buch von Wolfgang Benz keinen Beitrag. Es ist ein klassischer Fall für die wissenschaftliche Disziplin der Vorurteilsforschung, in der sich der Autor selbst engagiert.

Wolfgang Benz: "Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet"
C.H. Beck Verlag, 2012
Cover: "Die Feinde aus dem Morgenland" von Wolfgang Benz
Cover: "Die Feinde aus dem Morgenland" von Wolfgang Benz© Beck