Identitäten

"Auch bestimmte Szenen sind keine homogenen Gebilde"

Der queere Künstler Tucké Royale im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Der queere Künstler Tucké Royale im Studio von Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio / Andreas Buron
Tucké Royale im Gespräch mit Timo Grampes · 08.12.2016
Dass nach den Wahlerfolgen von Rechtspopulisten jetzt manche Intellektuelle ein Ende des "Identitätszirkus" fordern, findet der queere Künstler Tucké Royale arrogant. Menschen seien unterschiedlich schutzbedürftig, und jede Szene sei "von Mehrfachverknüpfung durchdrungen".
Angesichts von Neo-Nationalismus, Brexit, Trump und AfD fordern führende Akteure aus Intelligenz und Politik, die Soziale Frage wieder ins Zentrum zu stellen; Schluss zu machen mit dem "Identitätszirkus", wie Claus Leggewie sich ausdrückte. - Klasse statt Gender, Sozial- statt Identitätspolitik – also der Kampf für Rechte und gegen Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen, Migranten usw. - müsse wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden.
Dass manche Menschen vielfältige Identitäten als "Identitätszirkus" abtun, macht den queeren Künstler Tucké Royale traurig:
"Weil ich das als einen arroganten Ausspruch empfinde und ich mich frage, welche Person in der Lage ist, sowas sagen zu können, da so herabschauend zu sein auf Leute, die sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben, einen Alltag sicher bestreiten zu können, unterschiedlich schutzbedürftig auch sind. Wenn ich mir die Frage stellen, als was für eine Gesellschaft wollen wir eigentlich in die Zukunft gehen, da würde ich die Frage doch gerne beantworten: möglichst mit allen und nicht mit der Verhöhnung einzelner davon."

Erfahrungen mit einer heteronormativen Welt

Dass Identitätszuschreibungen zwischen einer Mehrheit und einer Minderheit unterschiedlich verlaufen, hat er in seiner Jugend selbst erfahren:
"Die Frage der Zugehörigkeit finde ich mitunter sehr schwer zu beantworten, auf der queeren Ebene ist es deshalb schwer, weil ich aus einer Welt komme, die mir nicht von meiner Existenz erzählt hat und auch nicht gleichberechtigt erzählt hat und mich auch nicht dazu ermutigt hat, die Person zu sein, für die ich erst fahnenflüchtig werden musste.
Eine heterosexuelle, heteronormative Welt, in der wurde mir nicht gleichberechtigt von queeren Existenzen erzählt, wenn überhaupt ist mir sehr spät davon erzählt worden als ne Leidensgeschichte, als ne mögliche Todesursache und das sind natürlich lauter Sachen, die haben natürlich einen Eindruck auf eine Pubertät oder auch auf Sportumkleidekabinen und sich durch diese Erfahrungen durchzubewegen mit nem Selbstbewusstsein und zu wissen, dass die anderen falsch sind mit ihrer Unterstellung, dass man ein schwieriges Leben haben wird, das ist nicht so leicht."

"Seit wann ist die Arbeiterklasse heterosexuell?"

Überhaupt hält er nichts davon, von nur einer Identität oder einer festen Zuschreibung zu sprechen, er selbst sieht sich z.B. als "hero-sexuell".
"Auch bestimmte Szenen sind keine homogenen Gebilde, die sind von Mehrfachverknüpfung durchdrungen. Wenn ich höre, dass es um eine weiße Arbeiterklasse geht, diese Idee würde ich ja schon wieder ganz weit wegschieben: Seit wann ist ne Arbeiterklasse weiß, seit wann ist die heterosexuell? Seit wann ist ne schwul-lesbische Szene in Berlin rein weiß? Da arbeiten verschieden Vereine seit Jahrzehnten dran, um auf diese Mehrfachverschränkung hinzuweisen."
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