"Identitären-Demo" vs. Theater in der Kuhlen Wampe

Mit Brecht tanzen, wo die Rechten brüllen

Blick auf den legendären Campingplatz "Kuhle Wampe" an der Großen Krampe(See), Müggelheim in Berlin - Köpenick
Blick auf den legendären Campingplatz "Kuhle Wampe" an der Großen Krampe(See), Müggelheim in Berlin - Köpenick © dpa/ picture-alliance/ Manfred Krause
Von Gerd Brendel · 18.06.2016
Ein paar hundert "Identitäre" demonstrieren in Berlin für ihre Version einer Nation. Und wenige Kilometer weiter, auf dem Campingplatz Kuhle Wampe, fragt ein gesamteuropäisches Ensemble, wem die Welt wirklich gehört. Zweimal Bühne mit unterschiedlichen Antworten auf dieselbe Frage.
Freitagnachmittag: Straßenpolittheater in Berlin. Vor dem S-Bahnhof Friedrichstraße versammeln sich knapp Hundert Mitglieder der "identitären Bewegung" zur Demonstration. Junge Männer mit Hipster-Bärten schwenken Deutschlandfahnen und das Symbol ihrer Gruppierung: Der stilisierte griechische Buchstabe "Lambda" auf gelbem Grund: Ein Hollywood-Symbol aus dem Film "300" mit dem spartanische Muskelprotze, den legendären Thermophylen-Pass gegen die Übermacht barbarischer Perser verteidigten. Ihr Programm? "Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti-Endstation."
Die deutsche Heimat, Freiheit des deutschen Volkes von allem fremden Multikulti und die deutsche Tradition versteht sich, "es geht um dieses Berufen auf eine Kultur, die mir gehört - die Nationalität, die Kultur, die Religion, das das alles fester Bestandteil meiner Identität".
Aber vor allem, sagt der Performer und Schauspieler Malte Scholz, geht es der identitären Bewegung darum, "dass ich Angst habe, dass mir durch Vermischen das gestohlen werden kann".

Im Film "Kuhle Wampe" ging es auch um Identität

Malte Scholz setzt sich in seiner Arbeit immer wieder mit den neuen rechten Bewegungen auseinander. Wir haben uns am Startpunkt der Neonazi-Demo verabredet, um über seinen nächsten Auftritt zu sprechen.
Eine dreistündige Performance, Schrägstrich Theaterstück, Schrägstrich Happening nach der Vorlage des Films "Kuhle Wampe - oder wem gehört die Welt" von Bertolt Brecht und der Musik von Hans Eissler. Gespielt wird eine knappe S-Bahn-Stunde außerhalb Berlins auf dem Original-Drehort, dem Campingplatz Kuhle Wampe am Müggelsee. "Wo wir das Publikum durch verschiedene Stationen schleusen, an den Müggelsee, auf den Campingplatz, in den Wald hinein."
Bei Brecht ging es auch um die Frage der Identität, der Identität der Arbeiterklasse. Was bleibt, nach dem Selbstmord des arbeitslos gewordenen Familienvaters, was bleibt nachdem seine Familie auf die Straße gesetzt wurde und auf dem Campingplatz Kuhle Wampe Zuflucht findet. Regisseur Kiriakos Hadjiioanno greift in seiner Adaption des Stoffs die Frage auf.
In der Schlussszene des Films diskutieren die Arbeiter mit blasierten Wohlstandsbürgern in der S-Bahn. Bei Hadjiioanno sitzen am Schluss alle an einem Tisch, Darsteller, Tänzer Publikum, Camper: "Wir haben ein gemeinsames Abendessen und da gibt es eine Art Streitgespräch zwischen Margareta Zumo und mir, wo es darum geht zu fragen was ist Solidarität heutzutage, ist sie möglich und wie könnte sie aussehen?"
Maltes Theaterkollegin Margareta Zumo stammt wie der Regisseur aus Griechenland. Andere Darsteller kommen aus der Schweiz, aus Israel. Eine grenzüberschreitende Familie hat der Regisseur um sich gescharrt: "Wenn ich selber, mich mit anderen Menschen vermische und austausche, das ist etwas, was meine Identität stärkt, nicht dass ich mich verbarrikadiere und abgrenze über meine Identität."

Gegen den Migrationsdruck von einer Milliarde Menschen

Auf dem Platz vorm S-Bahnhof Friedrichstraße formiert sich inzwischen der Protestzug der rechten "Identitären". Ein junger Mann der sich als Fitz Daniel und Demo-Organisator vorstellt. Hat eine sehr genaue Vorstellung seiner deutschen Identität. Dazu zählt vor allem: "Dass wir in Europa über viele Jahrhunderte vom Christentum geprägt wurden, und nicht vom Islam." Das alles ist in Gefahr, laut Daniel durch den "Migrationsdruck von einer Milliarde Menschen".
Eine Milliarde Menschen? Dass ist knapp die Gesamtbevölkerung Afrikas. Aber für eine längere Diskussion bleibt keine Zeit. Die Demo macht sich auf den Weg. An der ersten Kreuzung warten die Gegendemonstranten. Ein paar Ecken weiter, kesselt eine Hundertschaft Polizisten die Gegendemonstranten ein. Während ihre Kollegen die "Identitären" durch menschenleere Seiten-Straßen eskortieren. Polittheater als immer gleiches Ritual. Nur das jetzt die Akteure am rechten Bühnenrand statt von Rasse vom "christlichen Abendland" reden und statt Hakenkreuzfahnen ein Symbol aus einem Hollywood Sandalenfilm schwenken und gepflegte Bärte tragen statt Glatze. Die Wut auf alles Fremde ist die selbe geblieben.

Beim Kuhle Wampe-Theater bleiben mehr Fragen als Antworten

Auf dem Campingplatz Kuhle Wampe werden keine Parolen gebrüllt. Selbst das berühmte Solidaritäts-Lied von Hans Eisler aus der Schluss-Szene des Films ertönt hier nur als melancholisches Trompetensolo: "Wir enden eher mit Fragen, statt mit Antworten."
Sagt Malte Scholz. Am Freitagnachmittag in Berlin Mitte konnte man erleben, wie mit diffusen Verlustängsten und neuen Begriffen alte Nazi-Politik gemacht wird. Heute und morgen auf dem Zeltplatz Kuhle Wampe kann man vielleicht eine Ahnung davon bekommen, wie Menschen zusammen leben könnten. Teilen ist Teil der Antwort. Und ganz nebenbei Teil einer europäischen Werte-Identität, die unter anderem von den Marschierern der sogenannten identitären Bewegung bekämpft wird.