Ideengeschichte

Die vergessenen Denker des 20. Jahrhunderts

Altes Buch mit vergilbten Seiten und angestoßenen Kanten am Buchdeckel, aufgenommen am 2.4.2012. Foto: Jens Kalaene dpa/lbn
Axel Honneths Buch ist Lesern zu empfehlen, die Anregungen jenseits des vertrauten Werkkanons des 20. Jahrhunderts suchen. © dpa / Jens Kalaene
Von Catherine Newmark · 17.07.2014
Pünktlich zum 65. Geburtstag von Axel Honneth hat Suhrkamp ein kleines Bändchen mit Aufsätzen herausgebracht. Der Frankfurter Philosoph stellt darin einige - nur wenig bekannte - Denker des vergangenen Jahrhunderts vor.
Wer in Axel Honneths gesammelten Aufsätzen zu wichtigen Denkern (und einer Denkerin) des 20. Jahrhunderts publikationspolitische Beliebigkeit vermutet, irrt. Zwar sind viele der Texte Gelegenheitswerke, sind aus Laudationen hervorgegangen oder ursprünglich als Vor- oder Nachwort zu einem Textband des betreffenden Denkers erschienen.
Aber sie sind Gelegenheitswerke im besten Sinne: Honneth ist ein präziser Leser, der uns – oft über einen zunächst biografischen Zugriff – in kluger, aber allgemein verständlicher Weise in den Denkhorizont von zu wenig bekannten oder schon wieder ein bisschen vergessenen Philosophen oder unbekannte Werkaspekte anerkannter Denker einführt.
So bietet der Band erhellende Einblicke beispielsweise in das kaum mehr gelesene Werk des ungarischen Phänomenologen Aurel Kolnai, in den Versuch des amerikanischen Pragmatisten John Dewey, die deutsche Mentalität aus der Kantschen Pflichtethik heraus zu erklären, oder in die biografischen Wurzeln der Soziologie des großen Kommunitaristen Amitai Etzioni.
Quentin Skinner - der Großmeister der der Ideengeschichte
Oder er bringt uns die politische Philosophin Judith Shklar nahe, die hierzulande erst in allerjüngster Zeit überhaupt ansatzweise rezipiert wird. Honneth ordnet sie neben John Rawls und Hannah Arendt ein in die Reihe der ganz großen liberalen Denker, die im 20. Jahrhundert in den USA gewirkt haben. Mit Arendt teilt Shklar nicht nur den Ausnahmestatus, als Frau zu den wirkmächtigsten Intellektuellen der Nachkriegsgeneration zu gehören, sondern auch die jüdische Herkunft und die Erfahrung des Exils. Shklar begründet ihren Liberalismus, durchaus auch vor diesem biografischen Hintergrund, auf der historischen Erfahrung der Furcht vor Ausbeutung und Unterdrückung, der Menschen seit Jahrhunderten ausgesetzt sind; die Notwendigkeit, individuelle Freiheitsrechte zu verteidigen, ergibt sich für sie vor allem aus dem Blick auf die schwächsten und am meisten bedrohten Glieder einer Gesellschaft.
Ein weiterer sehr schöner Text ist dem Großmeister der Ideengeschichte Quentin Skinner gewidmet. Ursprünglich als Laudatio gehalten, zeigt er in besonders interessanter Weise, wie sich Honneth an einer ihm fremden Denkweise abarbeitet: an einer Ideengeschichte, die das Historische zunächst für sich, in seinem eigenen Kontext zu verstehen sucht. Das bleibt aber nicht, wie Nietzsche es formuliert hat, in einer bloß "monumentalischen Geschichtsbetrachtung" stecken, sondern ist auch erkenntnisfördernd für die Gegenwart, nämlich indem es historische Alternativen zu heutigen Selbstverständlichkeiten aufzeigt. Besonders schön ist es hier, der Denkbewegung Honneths zu folgen: dessen Formulierungen zeigen, dass auch er einer solchen historischen Denkweise zunächst durchaus skeptisch gegenübersteht, um sich ihr dann aber doch auch wertschätzend anzunähern.
Den Denkbewegungen Honneths zu folgen, ist überhaupt ein Vergnügen. Ein empfehlenswertes kleines Buch für all diejenigen, die Anregungen jenseits des vertrauten Werkkanons des 20. Jahrhunderts suchen.

Axel Honneth: Vivisektionen eines Zeitalters
Suhrkamp 2014
308 Seiten, 18 Euro