"Ich wollte niemals bloß Videos drehen"

Von Carsten Probst · 14.09.2012
Der schottische Medienkünstler Douglas Gordon versucht in seinen Arbeiten, die Erzählstrukturen des gängigen Kinos aufzubrechen und sucht nach neuen Möglichkeiten, sich an Filmen – wie er sagt - "berauschen" zu lassen.
Ein an Multipler Sklerose erkrankter Mann versucht, vom Bett aufzustehen, stürzt dabei zu Boden und kann sich anschließend nicht mehr erheben. Der Betrachter sieht die Szene in ständiger Wiederholung in Zeitlupe und Schwarzweiß und in extrem grobkörniger, bewusst schadhafter Filmqualität, so als leide das Filmmaterial gleichsam mit.

Mit diesem kurzen Film erlebte Douglas Gordon seinen internationalen Durchbruch auf der Venedig-Biennale von 1995, mit gerade 29 Jahren. Filmisches Pathos und die höchst anschauliche Reflexion über die suggestive Realität bewegter Bilder zeichneten Gordons Werk schon immer aus, von seinen ersten Anfängen an, als er 1993 mit einer auf 24 Stunden gedehnten Version von Alfred Hitchcocks Filmklassiker "Psycho" hervortrat.

"Ich wollte niemals bloß Videos drehen, ich wollte immer Filme machen. Früher wollte ich immer einen Feature-Film beginnen - ich habe gewartet, bis ich die passende Idee dazu hatte, und dann machte ich 24 Hour Psycho nach Alfred Hitchcocks berühmtem Film. Das war ein Feature, länger als ein normales Feature, der einfach dadurch entstand, dass ich Filmmaterial kidnappte, das mich interessierte. Ich habe Psycho nie gesehen. Das war wirklich ein Experiment, mit Psychologie im Film zu arbeiten. Und nachdem ich dieses Riesending gemacht hatte, konnte ich zu den kleinen Arbeiten zurückkehren, die ich vorher gemacht hatte."

Seine jetzt in Berlin aufgebaute Arbeit ist nicht neu. Nicht unbedingt sein bestes Werk, aber untypisch – eine Art Memorial des Künstlers für sich selbst, bei dem er alle seine Arbeiten auf 50 aufeinandergehäuften Monitoren gleichzeitig laufen lässt. Ein krasser Gegensatz jedenfalls zu den oft riesigen Filmleinwänden, die Gordon gern in abgedunkelten Räumen frei schweben lässt, um damit geradezu mystische Bilderlebnisse heraufzubeschwören.

"Es ist vermutlich der am meisten verdichtete, am meisten konzentrierte Überblick über meine Arbeiten, den Sie an einem Ort wie diesem haben können. In gewissem Sinn schließt sich mit der Präsentation hier für mich ein Kreis. Denn diese Arbeit wurde 1997/98 erdacht, als ich zum ersten Mal in Berlin lebte. Damals sollte ich eine Ausstellung in der Foksal Galerie in Warschau machen - einem Ort mit riesiger Reputation, aber nur mit einem sehr kleinen Raum. Große Arbeiten passen da nicht hinein, also beschloss ich, einfach alles zu geben, was ich damals hatte, und dachte mir in Berlin diese Präsentation auf vielen kleinen Bildschirmen aus. Schön, heute wieder etwas zu zeigen, was ein paar Jahre früher an diesem Ort entstand."

Viele inzwischen berühmte Arbeiten Gordons lassen sich bei der Umkreisung des Monitor-Gebirges im kleinformatigen Zitat entdecken: Jener Film von 2003, der einen dressierten Elefanten zeigt, der sich tot stellt. Ein Feature Film zur Filmmusik aus Hitchcock "Vertigo”, wobei Gordon nur Gesicht und Hände des Dirigenten James Conlon zeigt, der das Orchester der Opera National de Paris dirigiert. Gordon zufolge vermag die Musik auch ohne Bilder allein die Wirkung des Filmes wachzurufen. Gordons berühmtes Projekt über den einstigen Weltfußballer Zinedine Zidane fehlt allerdings in dieser Aufstellung, wie alle anderen, die er in Kooperation mit anderen Regisseuren gefertigt hat. Stattdessen sieht man auch viele unbekannte Skizzen.

"Das ist wohl einer der frühesten Filme, was Sie an meinem noch vollen Haar und meiner Kleidung sehen können. Aber es gibt keine bestimmte Ordnung. Es beginnt 1992 bis 2006. Und hier, das ist ein weiteres Filmchen, als ich noch Student in Glasgow war. Und diese Esel hier, die habe ich mal im Papstpalast im Vatikan aufgenommen. Ich gab ihnen bei wenig zu trinken, da kam gleich ein Wärter und sagte: Bitte nichts zu trinken geben, sonst pinkeln sie auf den Boden. Ich habe eigentlich gar nichts gegen den Papst, aber damals habe ich ihnen dann erst recht noch mehr gegeben."

Fast befremdlich stark für einen so vergleichsweise jungen Künstler wie Douglas Gordon wirken seine Arbeiten freilich heute in ihrer Reminiszenz an die neunziger Jahre, jener Zeit, in der Gordons Werk besonderen Anklang fand. Das damals starke Verlangen nach der Rückkehr des "Sinnlichen" und Erhabenen in der Kunst, nach einer Antwort auf die als zu theorielastig empfundene Konzeptkunst.

Die Suche nach dem Übergroßen, Pathetischen in einer neuen, ergriffenen Kunstbeschwörung - all das macht Gordons Werk durchaus vergleichbar mit dem anderer einstiger Young British Artists, Altersgenossen wie Damien Hirst, Rachel Whiteread oder Sam Taylor Wood. Sie alle verbindet miteinander das große, nie erreichte Vorbild Bruce Nauman und die Absicht, Bilder eher vom Design her zu denken, sie zugleich auratisch und möglichst existenziell wirken zu lassen. Erstaunlich lang scheinen diese Zeiten zurückzuliegen.